Radfahren

Selbstständig, unabhängig und mobil sein – das ist gerade für MS-Erkrankte ein hohes Gut, das es trotz gesundheitlicher Einschränkungen zu erhalten gilt. In diesem Zusammenhang kann das Fahrrad der ideale Partner und manchmal auch die Rettung sein. Es ist nicht nur ein effektives Trainingsgerät, das Körper und Geist fit hält, es eröffnet auch neue Möglichkeiten, wenn eine eingeschränkte Gehfähigkeit das tägliche Leben beeinträchtigt.

Radfahren ist mehr als ein Sport. Die Fortbewegung auf dem Fahrrad vereint das Schöne mit dem Nützlichen, bietet Erholung, Training, Mobilität und Gemeinschaft. MS-Erkrankte, die Schwierigkeiten mit dem Gehen haben, können mit dem Fahrrad wieder längere Strecken zurücklegen. Radfahren stärkt Ausdauer, Gleichgewicht und Kraft und wirkt der motorischen Fatigue entgegen. Es hat aber auch ganz allgemein einen positiven Effekt auf die Gesundheit: Es trainiert Herz und Kreislauf, aktiviert den Stoffwechsel und schont Muskeln und Gelenke, weil der Sattel bis zu 80 Prozent des Körpergewichts auffängt. Es arbeiten zudem jene Muskeln, die für das Gehen bedeutend sind und bei MS-Erkrankten häufig früh schon schwach sind: Fußheber, Hüftbeuger, untere Bauch- und Oberschenkelmuskulatur. Wenn Sie sich aufs Fahrrad setzen, sind Sie aber nicht nur sportlich aktiv, sondern auch mittendrin im Leben. Ob zum Sport, zum Treffen, zum Einkaufen – Orte und Dinge rücken wieder in erreichbare Nähe. Sie können mit der Familie oder mit Freunden gemeinsam unterwegs sein, schöne Ziele ansteuern und Ihre Freizeit wieder neu genießen. Mit allen Sinnen und in netter Gesellschaft draußen aktiv zu sein, ist ein wirksames Mittel gegen Depressionen und soziale Isolation.

Sicher und mit Freude unterwegs

Damit Sie mit Freude in die Pedale treten können, sollten Sie einige Dinge beachten: Sofern Sie nicht einfach nur zum Einkaufen fahren, planen Sie Ihre Route sorgfältig und versuchen Sie, möglichst ebene Wege zu wählen. Fahren Sie in einem Tempo, bei dem Sie sich wohlfühlen und das Ihnen gut tut. Falls Sie in einer Gruppe mit schnelleren Fahrern unterwegs sind, teilen Sie sich gegebenenfalls auf und vereinbaren Sie Treffpunkte im Verlauf der Strecke. Tragen Sie beim Fahren möglichst einen Helm und festes Schuhwerk für einen guten Halt auf den Pedalen. Und last but not least, achten Sie darauf, dass Ihr Fahrrad in einem einwandfreien technischen Zustand ist, vor allem, dass Licht und Bremsen in Ordnung sind.

Fahrradfahren beibehalten

Wenn Sie gerne Fahrrad fahren, sollten Sie sich auch bei zunehmender Symptomatik und den damit verbundenen Schwierigkeiten nicht entmutigen lassen. Nutzen Sie andere Möglichkeiten, wenn Sie sich das klassische Zweirad nicht mehr zutrauen, und trainieren Sie spezifisch Ihr Gleichgewicht durch Physiotherapie. Wer zu Anfang unsicher ist, sollte mit seinem Physiotherapeuten den richtigen Umgang mit dem Fahrrad üben und verschiedene Radtypen ausprobieren. Da Spezialräder wie das Pedelec oder Dreirad in der Regel relativ teuer in der Anschaffung sind, sollten Sie auch die Möglichkeit prüfen, Ihr vorhandenes Fahrrad umrüsten und Ihren Bedürfnissen anpassen zu lassen. Spezielle Lenkhilfen, Pedale, tiefe Einstiege sowie Fixierungen für die Füße können häufig schon den entscheidenden Unterschied machen.

Die acht Glückspunkte des Radfahrens

  • Selbst wenn Gehen schwerfällt – Radfahren geht oft trotzdem noch.
  • Der Bewegungsradius erweitert sich um ein Vielfaches.
  • Radfahren ist ein wirksames Mittel gegen motorische Fatigue.
  • Radfahren steigert die Grundfitness, weil es Ausdauer, Muskelkraft und Gleichgewichtssinn trainiert.
  • Eine Radtour mit der Familie oder mit Freunden macht Spaß und verbindet.
  • Wer Rad fährt, sieht mehr und eröffnet sich neue Möglichkeiten.
  • Auch für Menschen mit starken körperlichen Einschränkungen gibt es passende Räder.
  • Radfahren ist gut für Körper und Seele, umweltfreundlich und günstig.

Pedelec

In Deutschland ist es derzeit eines der beliebtesten Fahrzeuge: Das Pedelec (Pedal Electric Cycle) ist ein Fahrrad, bei dem Sie bei Bedarf einen Elektromotor zuschalten können. Das hat viele Vorteile:

  • MS-Erkrankte können hiermit dem Ausdauerproblem oder der motorischen Fatigue entgegenwirken und trotzdem wirksam trainieren.
  • Wer körperlich beeinträchtigt ist, kann durch die elektrische Unterstützung beim Treten länger Fahrrad fahren.
  • Lange oder hügelige Strecken lassen sich bewältigen, ohne zu schwitzen und ohne zwischendurch schieben zu müssen.
  • Wenn Ihr Partner schneller fährt als Sie, können Sie mit dem Pedelec wieder mithalten und gemeinsam Spaß am Fahrradfahren haben.

Bei aller Freude über die Unterstützung sollten Sie den Motor jedoch nur nutzen, wenn Ihre Kräfte wirklich nicht mehr ausreichen. Das Pedelec ist in erster Linie immer noch ein Fahrrad für die sportliche Nutzung.

Dreirad/Trike

Weniger bekannt, aber ideal bei Gleichgewichtsproblemen ist das Dreirad für Erwachsene (Trike). Traditionell hat es eine Doppelbereifung hinten und ein Rad vorne oder umgekehrt. Der Fahrer sitzt relativ hoch über dem Tretlager und hat eine nach unten gerichtete Tretrichtung. Weil das Rad fest steht, ist das Aufsteigen deutlich leichter als beim Zweirad. MS-Erkrankte können sich – selbst wenn das Gehen und das normale Fahrradfahren Schwierigkeiten bereiten – mit dem Dreirad noch ein hohes Maß an Mobilität erhalten und gegebenenfalls die Nutzung eines Rollstuhls hinauszögern. Aufgrund der drei Räder haben Sie ständigen Bodenkontakt und fallen nicht um. Vor allem, wenn Sie viel im Stadtverkehr unterwegs sind, ist das Dreirad ein ideales Gefährt, mit dem Sie bequem einen Einkaufskorb transportieren können. Auch Dreiräder sind mit Motor erhältlich.

Handbike

Das Handbike ist ein Fahrzeug, vergleichbar mit dem Fahrrad oder Liegerad, das allein durch die Arme angetrieben wird. Es gibt zwei Grundtypen: das Adaptivbike, das sich an fast jeden handelsüblichen Rollstuhl montieren lässt, und das reine Rennbike, das ohne Rollstuhl auskommt. Das Handbike eignet sich für MS-Erkrankte, bei denen der Antrieb über die Beine nicht oder nur schwer möglich ist. Es ist eher für das Fahren in der Ebene als im hügeligen Gelände geeignet. Achtung: Wenn Sie Handbike fahren, trainieren Sie Ihre Beine gar nicht mehr, so dass Sie eventuell noch vorhandene Restkraft in den Beinen auch nicht weiter aufbauen können. Wenn Sie noch treten können, ist das Fahrrad oder Dreirad, gegebenenfalls mit Motor, auf jeden Fall empfehlenswerter.

Tandem, Laufrad, Rollstuhl-Antrieb

Das Tandem ist eine gute Alternative, um gemeinsam mit einem nicht an MS erkrankten Partner unterwegs zu sein. Bei den meisten Tandems sitzen zwei Personen hintereinander auf einem Fahrrad. Der Lenkende wird als Pilot oder Kapitän, der Nichtlenkende als Stoker oder Heizer bezeichnet. Beide Fahrer treten in die Pedale, aber der Rollwiderstand ist mit einem Einzelrad vergleichbar. Das hat zur Folge, dass das Fahren weniger Anstrengung erfordert und eine höhere Geschwindigkeit in der Ebene möglich ist. Besonderer Vorteil für MS-Erkrankte: Da beide Fahrer unabhängig voneinander pedalieren können, kann sich einer immer wieder zwischendurch erholen. So können unterschiedlich leistungsfähige Radler gemeinsam Strecken bewältigen.

Ein Tipp für besonders Mutige und Experimentierfreudige ist das Laufrad für Erwachsene. Es ist ein erstklassiges Fitnessgerät, vor allem für das Gehen, da die Füße ständigen Bodenkontakt haben. Der extrem niedrige Einstieg beim Laufrad gibt zusätzliche Sicherheit. Ausdauer, Beweglichkeit, Koordination und Kraft lassen sich hervorragend trainieren. Wie beim Radfahren ruht das Körpergewicht auf dem Sattel und die Gelenke sind entlastet. Idealerweise hat nur der Vorderfuß Bodenkontakt und der Fahrer gleitet schwebend dahin. Laufradfahren ist eine tolle Alternative zum Joggen, Radfahren und Walken.

Rollstuhlfahrer, die draußen im Gelände ihre Mobilität im Rollstuhl erhöhen möchten, können das Rollstuhlfahren an sich als Trainingsmöglichkeit nutzen. Außerdem gibt es einen Zusatzantrieb (E-motion), der bei Bedarf zugeschaltet werden kann. Der am Rad montierte Motor hilft, Steigungen und längere Strecken besser zu bewältigen und gibt beim Bremsen bergab zusätzliche Sicherheit. Dies kann auch lange Wanderungen und Spaziergänge von Fußgängern gemeinsam mit Rollstuhlfahrern ermöglichen.

Letzte Änderung: 29.04.2020