Grundsätzliches

Gerätetraining, besonders die Medizinische Trainingstherapie, gewinnt in der MS-Therapie zunehmend an Bedeutung.

Das Üben, zum Beispiel auf dem Laufband, am Seilzug oder auf dem Ergometer, bietet eine Reihe von Vorteilen: Die Geräte können individuell eingesetzt werden, sie sind – etwa im Fitnessstudio – leicht zugänglich und sie machen vielen Menschen Spaß. So setzen die Wii® oder der Balancetrainer auf den Spieltrieb und motivieren fast nebenbei zu den gewünschten Übungen und Bewegungen.

Mit den verschiedenen Geräten kann die Leistungsfähigkeit auf vielen Ebenen gesteigert werden. Dabei geht es vor allem um Verbesserungen in den Bereichen Ausdauer, Koordination, Kraft und Gleichgewicht. Ein Aufbau der Leistungsfähigkeit ist für MS-Erkrankte mit motorischen Symptomen besonders wichtig, da sie durch die Krankheit selbst und durch geringe alltägliche Belastung – noch häufiger als Gesunde – in einen untrainierten Zustand geraten.

Außerdem müssen MS-Erkrankte mit Einschränkungen beim Training Rücksicht auf ihre Beeinträchtigungen nehmen, damit es nicht zu Verletzungen kommt. Wer zum Beispiel mit dem Gleichgewicht Probleme hat, sollte je nach Grad der Einschränkungen darauf achten, dass er sich gegen Stürze sichert. Auch Sehstörungen müssen beachtet werden – etwa dann, wenn das Training selbstständig mit Hilfe einer Bildschirmanzeige kontrolliert werden soll. Auch in diesem Punkt gilt es, die eigene Leistungsfähigkeit realistisch einzuschätzen und sich im Zweifelsfall frühzeitig von Experten wie dem behandelnden Physiotherapeuten beraten und unterstützen zu lassen. Generell gilt, dass nahezu alle MS-Erkrankten, mit leichter Symptomatik wie auch schwerer Betroffene, eine geeignete sportliche Betätigung finden können.

Studien zeigen: Bewegung und Sport steigern die Lebensqualität

Obwohl es bislang nur verhältnismäßig wenige Studien gibt, die systematisch untersucht haben, welche einzelnen Effekte sportliches Training speziell bei MS-Kranken hat, so ist doch die Tendenz eindeutig: MS-Kranke mit oder ohne einschränkende Symptome profitieren davon, wie jeder gesunde Mensch auch. Sport und Bewegungstraining haben darüber hinaus einen positiven Einfluss auf die sekundären Symptome der Krankheit. Sie können geeignet sein, um bei MS-Kranken neurologische Defizite wie etwa Muskelschwäche oder Gangstörungen wenigstens teilweise auszugleichen und ihnen dadurch einen deutlichen Zugewinn an Lebensqualität verschaffen.

So stellte eine Studie des Diplom-Sportwissenschaftlers Alexander Tallner von der Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Sportwissenschaft und Sport, fest, dass mit internetgestütztem Training bei MS-Patienten unter anderem die Muskelkraft gesteigert und die Fatigue verbessert werden kann. Dabei wurde nur zweimal wöchentlich 20 bis 30 Minuten trainiert, ein Aufwand, der auch für weniger Sportbegeisterte gut machbar ist.

Regelmäßiges Training bringt mehr Sicherheit im Alltag

Auch die Erkenntnisse der Physiotherapeuten aus ihrer täglichen Arbeit mit MS-Patienten und die persönlichen Erfahrungen der MS-Erkrankten weisen in die gleiche Richtung: Bewegung und Sport haben generell positive Auswirkungen. Dabei ist vor allem das Gerätetraining geeignet, möglichen Folgekomplikationen der MS vorzubeugen oder sie zu reduzieren – dazu gehören etwa Verspannungen, Muskelschwäche und Kontrakturen mit Fehlstellungen der Gelenke. MS-Erkrankte mit körperlichen Beeinträchtigungen, die regelmäßig trainieren, fühlen sich im Alltag oft sicherer – auch im Umgang mit erforderlichen Hilfsmitteln wie z.B. einem Rollator oder Rollstuhl.

Sportliche Erfolge steigern das Selbstwertgefühl

Doch Sport und Bewegung bewirken noch mehr. Wer mit anderen gemeinsam trainiert, kommt unter Menschen und profitiert vom positiven Einfluss sozialer Kontakte. Das steigert die Lebensfreude und verhindert, dass sich jemand zu sehr mit sich und seiner Krankheit beschäftigt und sich ausgrenzt.

Einen weiteren positiven Effekt bringen die Erfolgserlebnisse beim Erreichen sportlicher Ziele, wobei ein Erfolg je nach Grad der Erkrankung individuell sehr unterschiedlich definiert wird. Die Erkenntnis "Ich kann etwas!" ist für jeden Menschen eine wichtige Erfahrung und wirkt sich positiv auf die Lebenseinstellung aus. Wer aktiv ist und merkt, dass er durch eigenes Tun etwas bewirken kann, verliert das lähmende Gefühl, der Krankheit hilflos ausgeliefert zu sein.

Bewegung und Sport sind auch für MS-Kranke ein wichtiger Baustein zum Erhalt oder zur Verbesserung des körperlichen Gesundheitszustandes – da sind sich die Experten einig. Allerdings: Übertreibung tut gesunden und kranken Menschen nicht gut. Intensität und Dauer der sportlichen Aktivität sollten an die persönliche Leistungsfähigkeit angepasst werden. Sportliche Ziele sollten realistisch bleiben und permanente Überforderung durch Streben nach sportlichen Bestleistungen vermieden werden.

Bei Uhthoff-Phänomen auf kühle Umgebung achten

Etwa zwei Drittel der MS-Kranken fühlen sich durch das Uhthoff-Phänomen eingeschränkt. Eine erhöhte Körpertemperatur – etwa nach sportlichem Training oder durch zu hohe Außentemperaturen – führt bei ihnen zu einer Leitungsverschlechterung der Nervenfasern, so dass sich bestehende neurologische Symptome kurzfristig verstärken ("Pseudo-Schub"). Wichtig zu wissen: Die Symptome gehen nach Abkühlung, etwa durch eine kalte Dusche oder eine spezielle Kühlweste und Ruhe, rasch zurück. MS-Erkrankte, die stark vom Uhthoff-Phänomen betroffen sind, sollten beim Sport – vor allem beim Ausdauertraining – auf eine kühle Umgebung achten oder Kühlbekleidung verwenden.

Wer leicht "außer Atem" kommt, liegt genau richtig

Doch wo befindet sich denn eigentlich die individuelle Belastungsgrenze? Ein wichtiger Schwellenwert, um das persönliche Trainingsprogramm festzulegen, ist die Grenze zwischen aerobem und anaerobem Training. Im aeroben Bereich befindet sich ein sportlich tätiger Mensch, wenn er die nötige Energie ausschließlich durch die Verbrennung mit Sauerstoff erzeugt. Ist der Körper durch eine Erhöhung der Belastung gezwungen, einen Teil der Energie ohne Sauerstoff zu gewinnen, befindet er sich im anaeroben Bereich. Ziel des Trainings ist die aerobe Zone, wobei der Körper jedoch nur bis maximal 80 Prozent seiner Belastbarkeit gefordert werden sollte. In der Praxis bedeutet das, dass der Trainierende weitgehend noch gut bei Atem ist und während der Übungen problemlos sprechen kann. Jedoch gilt: keine Angst vor kurzfristiger Überforderung. Bewegung hilft und schadet nicht, auch nicht bei MS.

Wer sich nicht sicher ist, wo seine optimale Belastung liegt, kann sich nach der Borg-Skala richten. Dabei schätzt er den Anstrengungsgrad individuell ein – zwischen "überhaupt keine Anstrengung" und "größtmögliche Anstrengung". Ordnet er die Belastung für sich zwischen "leicht" und "etwas schwer" ein, liegt er genau richtig.

Grundsätzlich gilt: Die Intensität und Dauer des Trainings müssen über das subjektive Empfinden gesteuert werden. Vor allem müssen sie ständig dem individuellen Zustand angepasst werden, wobei ggf. auch kurzfristig auftretende Symptomveränderungen zu berücksichtigen sind.

Borg-Skala zur empfohlenen Intensität des Trainings

Skalenwert

Anstrengungsgrad

6überhaupt keine Anstrengung
7extrem leicht
9sehr leicht
11leicht
12optimaler Trainingsbereich
13etwas schwer
15schwer
17sehr schwer
19extrem schwer
20größtmögliche Anstrengung

Mit Hilfe der Borg-Skala können Sie einschätzen, wo Ihre Belastungsgrenzen liegen. Sie beurteilen jede körperliche Belastung selbst und weisen ihr einen Punktwert zwischen 6 und 20 zu. Die optimale Belastung liegt zwischen 11 und 13 - (kurzfristig kann sie auch darüber liegen) - das heißt, sie wird als leicht bis etwas schwer eingestuft.

Muskelkraft

Neurologische Störungen reduzieren die Muskelkraft, wobei bei MS-Erkrankten vor allem die untere Körperhälfte betroffen ist. Alle Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Kraft durch Training gesteigert werden kann. Negative Folgen treten nicht ein.

Ausdauerleistung

Die Leistungsfähigkeit von Herz und Atmung (kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit) kann bei MS-Erkrankten häufig geringer sein als bei Gesunden, was zu vorzeitiger Erschöpfung bei Belastung führt. Entsprechendes Training, zum Beispiel auf dem Laufband oder Fahrradergometer, kann die Ausdauerleistung langfristig verbessern.

Fatigue

Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass die Fatigue durch Ausdauertraining beeinflussbar ist. Vor allem ein angepasstes Aerobictraining, Walking und Ergometertraining sind hilfreich.

Depressionen

Durch aerobes Training konnte bei MS-Patienten eine antidepressive Wirkung bei leichten und mittelschweren Depressionen und eine verbesserte Stimmung nachgewiesen werden.

Vegetative Störungen

Beckenbodentraining und Ausdauertraining können Verbesserungen der Blasen- und Darmentleerung erzielen.

Beweglichkeit und Spastik

Spastik führt oft zu einer eingeschränkten Beweglichkeit. In der therapeutischen Praxis geht man davon aus, dass sanfte Dehnung der Muskulatur helfen kann. Die gut koordinierte Aktivierung der Muskeln ist der Schlüssel zu einer besseren Leistungsfähigkeit.

Gleichgewicht

Viele MS-Erkrankte haben Gleichgewichtsstörungen, diese sind eine häufige Sturzursache. Zu diesem Punkt gibt es nur wenige Untersuchungen. Eine Studie konnte allerdings belegen, dass die Sturzhäufigkeit durch regelmäßiges Balancetraining signifikant verringert wird.

Regelmäßiges Training ist wichtig!

Was für Gesunde gilt, trifft auch auf MS-Erkrankte zu: Bewegung und Sport müssen regelmäßig betrieben werden, damit alle positiven Effekte – ob physisch oder psycho-sozial – erhalten bleiben. Wer es schafft, regelmäßige Bewegung und Sport dauerhaft in den Alltag zu integrieren, profitiert langfristig. Bei der Gestaltung des Gerätetrainings ist es daher sinnvoll, Geräte einzubeziehen, die auch Zuhause oder im Fitnesscenter zur Verfügung stehen.

Letzte Änderung: 29.04.2020