Fatigue bei MS: Überblick [Stand: April 2020]
- Definition und Häufigkeit
- Ursachen und Forschungsstand zur Entstehung
- Diagnostische Einordnung der Fatigue
- Therapie
4.1 nicht medikamentöse Therapie
4.2 Medikamentöse Therapie
Definition der MS-assoziierten Fatigue
Über das übliche Funktionsniveau im Alltag hinausgehende, anhaltende und subjektive Empfindung von physischer und mentaler Erschöpfung und Mangel an Energie in Zusammenhang mit MS 1
(1998 definierte das National Multiple Sclerosis Council NMSC die MS assoziierte Fatigue 1)
1 Sehle A et al. , neuroreha 2014; 1 : 22 28
Wie häufig ist Fatigue bei MS?
- 70-97 % aller MS Patienten klagen über Fatigue 1,3
- In ca. 30 % Erstsymptom bei MS 2 (ohne, dass körperliche Einschränkungen bestehen)
- Tritt in jedem Stadium auf
- Männer und Frauen gleichermaßen betroffen
- Mehr als jeder 3. MS Patient benennt Fatigue als das belastendste Symptom der MS 1und zwar im Hinblick auf die Arbeit (häufigste Ursache für Berentung bei MS) und das soziale Leben
1 Tedeschi G et al., J Neurol Sci 2007;263(1 2): 15 19;
2 Veauthier et al. The EPMA Journal 2016, 7:25 ; 3 Patejdl R et al ., Autoimmunity Reviews 2016; 15:210 220
Ursachen und Forschungsstand zur Entstehung
Welche Ursachen sind bekannt?
Ursachen noch unklar, sicher multifaktoriell.
Keine sichere Abhängigkeit von
- Alter
- Geschlecht
- Art der MS (schubförmig vs. progredient)
- Erkrankungsdauer (widersprüchlich)
- T2-Veränderungen im Kernspin (sog. Läsionslast)
- Verteilung der Herde im Kernspin
Hypothesen: Wodurch entsteht Fatigue?
- lokale Demyelinisierung und Nervenfaserschädigung
im Hirnstamm (retikuläres aktivierendes System)
► Defizite in Wachheit, Aufmerksamkeit, Konzentration
- diffuse Demyelinisierung und Nervenfaserschädigung
verminderter Stoffwechsel im Stirnhirn und Stammganglien
► Defizite bei Bewegungsprogrammierung
Leitungsschädigung führt zu verzögerter Reizweiterleitung
► vermehrte Anstrengung bei Reizweiterleitung
- neuroendokrine (=hormonelle) Störungen durch entzündliche Botenstoffe (Interleukine...)
► Abgeschlagenheit
Diagnostik der Fatigue
- Fatigue ist ein subjektives Symptom1
- Bis dato existiert kein Gold-Standard zur Diagnosestellung1
- Verwendung von Scores zur Bestimmung der Fatigue
Fatigue Severity Scale (FSS)1 | Fatigue Impact Scale (FIS)3 | Modified Fatigue Impact Scale (MFIS)1 | Fatigue Scale for Motor and Cognitive Functions (FSMC)1 |
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Verfügbar seit 19892 Eindimensionaler Score2 zur Messung der physischen Fatigue1 | Verfügbar seit 19943 Häufiger Score in der Forschung, vor allem bei MS mit 40 Abfragepunkten3 Messung der Einschränkungen des letzten Monats, hinsichtlich kognitiven/ physischen/ psychosozialen Einschränkungen3 | Verfügbar seit 19982 Auf 21 Abfragepunkte verkürzter FIS4 Messung von physischer, kognitiver und psychosozialer Fatigue1 | Verfügbar seit 20092 Differenzierte Messung der Schwere der Gesamt-Fatigue und der Fatigue beruhend auf Einschränkung der kognitiven und motorischen Funktionen1 |
1 Patejdl R et al., Autoimmunity Reviews 2016; 15: 210–220;
2 Veauthier C et al., The EPMA Journal 2016; 7:25;
3 Frith J and Newton J, Occupational Medicine 2010;60:159;
4http://www.nationalmssociety.org/For-Professionals/Researchers/Resources-for-Researchers/Clinical-Study-Measures/Modified-Fatigue-Impact-Scale-(MFIS) [letzter Zugriff
23.01.2017]
Therapie der Fatigue
Nicht-medikamentöse Therapie der Fatigue
Leitlinien-Empfehlungen zur nicht-medikamentösen Therapie der Fatigue
Sport und Bewegung
- Aerobes Ausdauertraining auf Ergometer oder Laufband bzw. Widerstandstrainin haben sich als wirkungsvoll erwiesen1
- Evidenz inkonsistent und insgesamt nur unzureichend1
Energie-Management-Programm
- Prioritätensetzung, Tagesstrukturierung, Einhalten regelmäßiger Pausen1
- Kann Fatigue reduzieren1
Entspannung
- Entspannungstraining und Yoga1
- Effekte in einzelnen Studien, Ergebnisse inkonsistent, keine generelle Empfehlung1
Kühlung bei wärmeempfindlichen Patienten
- Klimaanlage, kaltes Duschen, Tragen einer Kühlweste1
Psychologische Interventionen
- Bspw. kognitive Verhaltenstherapie, Gruppenangebote oder Selbstmanagement-Programme1
1 DGN-Leitlinie, Januar 2012, Ergänzung August 2014, verlängert bis 29.09.2017: http://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2012/pdf/030-050l_S2e_Multiple_Sklerose_Diagnostik_Therapie_2014-08_verlaengert.pdf [Letzter Zugriff: 06.01.2017]
Medikamentöse Behandlung der Fatigue
Leitlinien-Empfehlungen zur medikamentösen Therapie1
Amantadin1 | Modafinil1 | Pemolin, L-Carnitin, Prokarin, 4-Aminopyridin (Fampridin), Ginkgo biloba1 |
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GBA: Aufgrund einer rezenten Empfehlung des GBA soll die Amantadin-Therapie für diese Indikation nicht mehr erstattungsfähig sein1 | Leitlinie: Einzelfallversuch kann unternommen werden, vor allem bei Aufmerksamkeits-Störung als Ursache der Fatigue1 | Leitlinie: keine Empfehlung1 |
Bis dato ist keine anerkannte medizinische Therapie der MS-assoziierten Fatigue in Deutschland verfügbar2
1 DGN-Leitlinie, Januar 2012, Ergänzung August 2014, verlängert bis 29.09.2017: http://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2012/pdf/030-050l_S2e_Multiple_Sklerose_Diagnostik_Therapie_2014-08_verlaengert.pdf [Letzter Zugriff: 06.01.2017] ,
2 Wendebourg MJ et al., International Journal of MS Care 2016; 18:129–137
Fatigue bei Multipler Sklerose: Zusammenfassung
- Mindestens zwei Drittel aller MS Patienten leiden unter Fatigue
- Wichtig: Ursachen analysieren, Differentialdiagnosen beachten
- Eine frühzeitige Therapie mit Immunmodulatoren kann die Krankheitsprogression und damit auch die Fatigue verhindern bzw. reduzieren
- Eine starke Zunahme der Fatigue kann Ausdruck eines Schubes sein?!
- Fatigue ist eine neurologische Herausforderung und erfordert eine vielseitige Behandlung
Quelle: Vortrag Prof. Mathias Mäurer im AMSEL-Web-Seminar zu Fatigue bei Multipler Sklerose am 16.04.2020.
Letzte Änderung: 01.07.2020