Legalize it?

22.08.07 - Zum ersten Mal erlaubt die Bundesopiumstelle einer Multiple Sklerose-Patienten den Cannabis-Konsum. In Kanada ist ein Derivat bei MS bereits zugelassen.

Die Bundesopiumstelle hat erstmals einer Patientin gestattet, Cannabis in der Apotheke zu kaufen. Claudia H. aus Baden-Württemberg, die seit 14 Jahren an Multipler Sklerose leidet, darf, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, von Ende August an einen Extrakt aus der Hanfpflanze legal kaufen, wobei diese Erlaubnis mit strengen Auflagen verbunden ist und ein Arzt die Therapie begleitet.

Immer mehr wissenschaftliche Studien beschäftigen sich mit der Wirkung von Cannabis auf Spastiken und Schmerzen, zwei von vielen Symptomen, wie sie unter anderem bei Multiple Sklerose auftreten (wir haben berichtet). Bei anderen Krankheiten zeigte sich Cannabis hilfreich, da es zum Beispiel auch apetitanregend wirkt. Die Droge ist hierzulande jedoch verboten, lediglich der synthetisch hergestellte Cannabis-Wirkstoff Dronabinol darf verschrieben werden, wobei die Kassen die hohen Kosten nicht übernehmen, da der Wirkstoff in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen ist.

Geringe Mengen selten strafrechtlich verfolgt

Einigen Patienten gilt daher natürliches Cannabis als Mittel der Wahl, womit sie sich freilich - Schwarzmarkt oder Selbstanbau sind die Alternativen - am Rande der Illegalität bewegen. Durch das Betäubungsmittelgesetz ist der Besitz von Cannabis verboten. Geringe Mengen werden in der Regel allerdings nicht verfolgt.

Claudia H. kann kaum noch gehen. Muskelverkrampfungen sind die Folge ihres beschädigten Zentralen Nervensystems, ausgelöst durch die MS. Abends brüht sie sich bei starken Beschwerden einen Cannabistee. Die Nebenwirkungen anderer Mittel konnte sie nicht akzeptieren, Dronabinol brachte ihr keine Linderung und so hatte sie der Droge eine Chance gegeben. Der Tee half ihr, sorgte dafür, dass sie trotz der spastischen Lähmungen nachts wieder schlafen konnte, ohne deshalb Rauschzustände zu erleben.

Bis Mai 2005 hatte die Bundesopiumstelle sämtliche Anträge von MS-Erkrankten, Cannabis als Medizin einsetzen zu dürfen, ausnahmslos abgewiesen. Lediglich wissenschaftliche oder "im öffentlichen Interesse liegende" Zwecke heiligten den Einsatz, war die Begründung für diese Pauschalabfertigung. Als jedoch das Bundesverwaltungsgericht argumentierte, dass auch die Gesundheit von einzelnen Patienten im öffentlichen Interesse läge, ging damit die Aufforderung an die Bundesopiumstelle einher, von nun an jeden Einzelfall zu prüfen.

Mangel an Alternativen

Claudia H.'s Antrag ist der erste genehmigte von vielen, die bereits beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn, dem Sitz der Bundesopiumstelle, eingegangen sind. Teil des Antrags von Claudia H. war der Nachweis, dass alle verfügbaren Therapien keine Wirkung erzielt hatten und
kein anderes zugelassenes Arzneimittel die Beschwerden behandeln kann sowie die Nutzen-Risiko-Abwägung eines Arztes und ein Therapieplan.

Nach über einem Jahr kam die Behörde zu dem Schluss, die Cannabis-Behandlung sei bei Claudia H. aus klinischer Sicht zu
befürworten. Ein Jahr lang dürfe sie nun einen
"standardisierten Cannabis-Extrakt" in einer Apotheke kaufen, so zitiert die Süddeutsche Zeitung. Den Stoff sicher zu verwahren, gehört zu den Bedingungen, weshalb sowohl die Apotheke wie Claudia H. das Cannabis in einem Tresor lagern.

Schwedische Gardinen?

Die Selbsttherapie mit Cannabis sollte aus mehreren Gründen unterbleiben: Zum einen ist sie ohne Zustimmung nach wie vor illegal - die Süddeutsche Zeitung berichtet von zwei Fällen chronísch Kranker Konsumenten, die erst kürzlich verurteilt wurden - und zum anderen sind bei Cannabis durchaus (Langzeit-) Nebenwirkungen wie Psychosen zu befürchten. Ob positive Wirkungen über den Einzelfall hinaus zu erwarten wären, lässt sich schwer nachweisen, da die ausbleibende Rauschwirkung das Plazebo in einer doppelblinden Studie verraten würde. Deutlich günstiger als die synthetisch hergestellte Variante ist das Naturprodukt definitiv. Und das Sommerloch in Zeitungen und Online-Magazinen stopft die Geschichte allemal.

 
 
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Quelle: Süddeutsche Zeitung

Redaktion: AMSEL e.V., 22.08.2007