Heute ist Welt MS Tag !

Multiple Sklerose ist jeden Tag. Doch am 30. Mai erfährt die neurologische Autoimmunerkrankung besondere Aufmerksamkeit. Und das weltweit.

MS ist kompliziert. Wer selbst MS hat oder jemand sehr Nahestehenden kennt mit MS, dem braucht man sie nicht groß zu erklären. Anders ist das, wenn man nur am Rande von MS erfährt: die frühere Kollegin, die MS hatte oder ein Nachbar oder eine entfernte Cousine vielleicht.

"Die" MS gibt es gar nicht

Fast jeder kennt – im breiteren Umfeld zumindest – jemanden mit MS. Deshalb kennt er die MS noch lange nicht. Das fängt schon ziemlich vertrackt an, denn "die" MS gibt es gar nicht.

MS kann schubförmig auftreten oder schleichend. Oder zuerst schubförmig und dann schleichend. Oder von Anfang an schleichend. Doch selbst innerhalb eines der sogenannten Verläufe gibt es riesige Unterschiede.

Da ist Gerda, die frischgebackene Rentnerin mit MS bereits seit mehreren Jahren. Die MS irritiert sie jedoch kaum, sie hat nur sehr wenige Symptome, konnte bis zur offiziellen Berentung Vollzeit arbeiten, geht nach wie vor mit ihrem Mann spazieren.

Da ist auf der anderen Seite eine junge Frau, Luana, Anfang 20. Als Teenager bekam die Hobby-Fußballerin bereits die Diagnose. Längst sitzt sie im Rollstuhl. Sämtliche Therapien sind ausprobiert, ohne viel Erfolg. Sie ist auf einem Auge blind, hat Probleme nicht nur mit den Beinen, sondern auch mit den Armen und inzwischen bereits mit der Atmung. Von der Spastik und der abnormen Ermüdbarkeit ganz zu schweigen. Ihren Schulabschluss hat sie gerade noch geschafft, einen Job konnte sie nicht einmal anfangen. Beziehung? Pustekuchen!

Das sind zwei Extreme, die beide eher selten zu finden sind bei MS. Die meisten MS-Schicksale liegen irgendwo dazwischen. Doch es ist keine MS wie die andere.

Wenn man also auf jemanden trifft, der an bestimmten Dingen nicht teilnehmen kann wegen seiner MS, dann ist es überhaupt nicht hilfreich, darauf zu verweisen, dass man jemanden kenne, der das aber noch sehr gut könne trotz MS. Ganz im Gegenteil. Für manche Menschen mit MS ist die Tatsache, sich stets und ständig rechtfertigen zu müssen, erklären zu müssen, warum man etwa abends nicht mit Pizza essen gehen kann, obwohl man vielleicht letztes Wochenende bei dem Konzert doch ganz toll drauf war und ewig durchgehalten hat, eines ihrer hinderlichsten „Symptome“. Sie müssen mit dem Symptom und dem Misstrauen der andern klarkommen.

Eine riesige Palette an Symptomen

Die möglichen Symptome einer MS sind sehr zahlreich. Dazu können gehören:

  • verschwommen oder Nebelsehen, Doppelbilder, oft ausgelöst durch eine Sehnerventzündung
  • Taubheit oder Kribbeln und andere Missempfindungen an Händen, Füßen, Armen und Beinen, aber auch im Gesicht
  • Schwäche von Armen und Beinen, Schwierigkeiten zu gehen, zu greifen
  • Rumpfinstabilität, Probleme, aufrecht frei zu sitzen
  • Atemprobleme
  • Engegefühl am Rumpf und an anderen Körperteilen
  • Spastik, oft einhergehend mit Schmerzen
  • schmerzhafte Gesichtsnerven (Trigeminusneuralgie)
  • Blasenprobleme
  • mangelnde Balance
  • kognitive Einschränkungen, Probleme zum Beispiel mit der Aufmerksamkeit und/ oder dem Arbeitsgedächtnis
  • abnorme Ermüdbarkeit (Fatigue)
  • Depressionen

In Zeiten von Doktor Google wird daraus teils der Umkehrschluss gezogen und etwa bei kurzzeitigen Missempfindungen rückgeschlossen, man habe vielleicht Multiple Sklerose. Das ist zum Glück meistens Quatsch. Wenn einzelne Symptome einen beunruhigen, sollte man diese freilich vom Arzt abklären lassen. Bei „größeren“ Ausfällen, etwa einer herabhängenden Gesichtshälfte ist sogar Eile geboten, um etwa einen Schlaganfall auszuschließen.

Alle Symptome können bei jedem MS-Diagnostizierten auftreten, sie müssen es aber nicht. Und treten unterschiedlich stark in Erscheinung. Darum gleicht keine MS der anderen. Jeder Betroffene hat seinen individuellen Symptom- und Behinderungs-"Mix".

Gesundes Aussehen täuscht Außenstehende oft

Auf Menschen ohne Multiple Sklerose wirkt eine mangelnde Mobilität oft am schlimmsten. Dazu trägt natürlich auch unsere bildgesteuerte Medienwelt bei. Gern wird ein Mensch im Rollstuhl gezeigt, wenn es um MS geht. Nicht mehr selbstständig gehen zu können, erscheint Gesunden außerdem oft als die größte Strafe. Das geht auch manchen MS-Erkrankten am Anfang ihrer „MS-Karriere“ so. Sie haben Angst davor, eines Tages an den Rollstuhl „gefesselt“ zu sein.

Zum einen heißt MS aber nicht automatisch Rollstuhl. Viele Betroffene kommen ohne Gehhilfe aus. Zum anderen nehmen aber auch Betroffene, wenn sie denn einen Rollstuhl brauchen, diese Hilfe meist gern an. Sie akzeptieren den Gehstock, den Rollator, den Rollstuhl als Hilfsmittel, um eben weiter mobil zu sein. Um weiter am Leben teilzuhaben.

Fatigue ist... fies

Als eines der herausforderndsten und zermürbendsten Symptome betrachten viele MS-Patienten dagegen die Fatigue. Gegen die abnorme Erschöpfbarkeit gibt es nämlich kein Hilfsmittel, auch keine zufriedenstellende Therapie. Die Fatigue kommt über einen und raubt einem alle Energie, als würde man den Akku aus seinem Handy herausnehmen. Dann geht einfach gar nichts mehr. Völlig unabhängig davon, ob man an etwas Spaß hat oder nicht. Ein typisches Beispiel ist es, dass sich ein Betroffener sein Frühstück zubereitet, danach aber viel zu platt ist, um es überhaupt zu essen. Oder ein anderer gespannt einem Vortrag lauscht, dem Referenten jedoch nach kurzer Zeit nicht mehr folgen kann.

Kenn' ich! – Wirklich?

Mal müde sein, mal nicht aufmerksam sein. Das kennen wir natürlich alle. Das kannten auch MS-Betroffene vor ihrer Diagnose. Das einzuwenden, hilft den Betroffenen aber auch nicht. Denn Fatigue hat mit dem normalen "müde" rein gar nichts zu tun, ist unendlich stärker, zwingt einen, sofort und gleich die Bremse reinzuhauen, egal was man tut. Während man sich als Gesunder nach wenig Schlaf durchaus noch durch den Tag kämpfen kann, vielleicht etwas langsamer als sonst. Das Gleiche gilt für die Aufmerksamkeit. Die geht uns allen mal flöten. MS-bedingte Kognitionsstörungen sind jedoch anders. Da hilft kein guter Wille, kein Sich-Kneifen oder Mal-kurz-an-die-frische-Luft-Gehen. Da ist dann einfach vorzeitig Feierabend. Gut, wenn der Vortrag, den man anhören wollte, aufgezeichnet wurde, wie bei den Webseminaren der AMSEL.

Weil man dieses und andere Symptome als Außenstehender nicht sieht, haben viele MS-Betroffene viel zu tun, das Symptom zu erklären. Sie sehen vielleicht glänzend und gesund aus, fühlen sich aber krank und kraftlos. Klar, dass das zu Missverständnissen führen kann. Oft ist es so, dass die Betroffenen sich ihre Tage sehr gut einteilen und vorausschauend planen müssen, um mit dem Energiepensum, das ihnen bleibt, bis zum Abend durchzustehen. Fatigue ist auch ein häufiger Grund für Berentungen.

Die Muskulatur kann nichts dafür, marode  Kabel im Gehirn dagegen schon

Die Symptome einer MS können nur innerhalb eines Schubs auftreten und danach wieder so gut wie vollständig abklingen. Es können jedoch auch Symptome dauerhaft bleiben. Es kommt, Schub für Schub oder eben schleichend, zu einer Behinderungsprogression. Nicht zu wissen, ob und wann welches Symptom hinzukommt, ist eine große psychische Belastung für MS-Erkrankte und ihre Angehörigen.

Gesteuert werden unsere Funktionen und auch der Ausfall derselben alle über das Zentrale Nervensystem. Dort steckt auch die Ursache für MS-Symptome. Hat ein Patient also Probleme, beim Gehen den Fuß zu heben, dann sitzt die Ursache nicht in der Muskulatur oder den Beinnerven (als Teil des peripheren, also äußeren Nervensystems), sondern im Zentralen Nervensystem, also im Gehirn oder Rückenmark. Dort "fressen" Antikörper die Ummantelung der Nerven "an". Das führt zu Missfunktionen, ähnlich wie bei einem Kurzschluss an einem Elektrokabel. MS ist eine neurologische Autoimmunerkrankung.

MS lässt sich behandeln, leider nicht heilen

Gegen die Symptome stehen eine ganze Reihe an medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapien, aber auch Rehabilitation zur Verfügung. Wobei etwa bei Fatigue Medikamente kaum helfen. Andere symptomatische Therapien, zum Beispiel gegen Spastik, mögen zwar die Spastik reduzieren, haben dafür aber vielleicht andere Nachteile, zum Beispiel, dass man wegen „weicher“ Knie nicht mehr gut stehen kann. Einzelne Schübe kann man mit hochdosiertem Kortison eindämmen.

Zum Glück gibt es mittlerweile eine ganz schön angewachsene Menge an verlaufsverändernden Therapien. Das sind Immuntherapien, mitunter auch immunsuppressive Therapien mit dem Ziel, den Krankheitsverlauf zu bremsen. Stoppen oder gar heilen kann man die Multiple Sklerose bisher leider nicht.

Für MS-Betroffene:

30. Mai ist Welt MS Tag - und das heißt: aufklären, aufklären, aufklären!

Immer am und um den 30. Mai machen Organisationen, Vereine, Verbände, Privatleute und Firmen, Betroffene wie nicht Betroffene auf die "Krankheit mit den 1.000 Gesichtern" aufmerksam. – Zum 14. Mal schon heißt es rund um den Globus: Welt MS Tag!

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Redaktion: AMSEL e.V., 30.05.2022