#sichtbarwerden: Jutta, Vera und Matthias

AMSEL rückt die Multiple Sklerose in den Mittelpunkt der breiten Öffentlichkeit - mit ihren sichtbaren wie ihren unsichtbaren Seiten.

Multiple Sklerose (MS) ist eine bislang unheilbare und fortschreitende Erkrankung des zentralen Nervensystems. Bei den meisten verläuft sie zunächst in Schüben, später schreitet sie meist ohne Schübe voran. Der Körper attackiert sich selbst, genauer das Myelin, welches die Nervenfasern in Gehirn und Rückenmark ummantelt. Darum spricht man bei MS auch von einer Autoimmunerkrankung. Je nachdem, an welcher Stelle und wieviel Gewebe betroffen ist, können sehr vielfältige neurologische Symptome im ganzen Körper entstehen. Zum Beispiel:

  • Sehstörungen
  • Gesichtsschmerzen
  • Missempfindungen
  • Spastik
  • Schwäche in Armen und Beinen (nicht zu verwechseln mit "Muskelschwäche", einem anderen Krankheitbild)
  • Mobilitätseinschränkungen
  • schwache Rumpfmuskulatur
  • Blasen- und Darmstörungen
  • Konzentrationsprobleme
  • verwaschene oder abgehackte Sprache
  • abnormale Ermüdbarkeit (Fatigue)
  • Verschlimmerung der bestehenden Symptome bei erhöhter Körpertemperatur, egal ob durch hohe Außentemperatur, heiße Dusche, Sauna oder Fieber (Uhthoff-Phänomen)

Einen Teil der Schäden kann das Gehirn selbst regenerieren, aber leider nicht alles. Aktuell zugelassene Medikamente verlangsamen das Fortschreiten der MS, können sie jedoch nicht heilen. Deshalb bleiben nach manchen Schüben Symptome bestehen.

#sichtbarwerden – für mehr Verständnis

Welcher Patient ob und wann welches Symptom haben wird, kann niemand voraussagen. Genauso wenig, ob ein Patient viele und starke oder wenige, nur schwache Schübe erleiden wird, ob seine MS schnell oder langsam voranschreitet. Ob er eines Tages einen Rollstuhl brauchen wird oder nicht. Ob er weiter arbeiten kann oder Frührente beziehen muss. Keine Multiple Sklerose verläuft gleich. Weil die Multiple Sklerose so kompliziert ist, braucht es umso mehr Aufklärung. Genau das soll der Welt MS Tag: Der MS helfen beim #sichtbarwerden.

Noch einen Monat bis zum Welt MS Tag 2019

Weltweit sind rund 2,5 Millionen Menschen an Multipler Sklerose erkrankt. Nicht jedem davon sieht man an, dass er krank ist und deshalb vielleicht besondere Rücksicht oder einfach nur Verständnis braucht. – Drei von ihnen stellt AMSEL heute beispielhaft vor.

Gute Tage, schlechte Tage

Jutta. Von außen sieht man der top gestylten wie agilen Frau Anfang 50 keinerlei Krankheit an. "Jemand mit MS, der im Rollstuhl sitzt, braucht nichts zu erklären. Tauschen möchte ich natürlich nicht, aber es ist einfach wahnsinnig anstrengend, immerzu zu erklären.“ Dabei hat Jutta gleich zwei „unsichtbare“ chronische Erkrankungen: Fibromyalgie und Multiple Sklerose.

Ein bisschen ist die gelernte Friseurin auch mit daran schuld, dass Fremde ihr überhaupt nichts ansehen, räumt sie ein: „Ich gehe nur dann raus, wenn ich die Kraft habe, mich auch zurechtzumachen." Am meisten fehlt der Leiterin der AMSEL-Kontaktgruppe Freudenstadt ihre frühere Energie. Aufhören zu müssen, wenn andere weitermachen, weil man selbst nicht mehr kann. Sich nach einem anstrengenden Tag womöglich gleich 3-4 Tage erholen zu müssen. Das ist schlimm, zumal Jutta ein Mensch ist, der "eigentlich ständig Action braucht."

Gut drauf – trotz Multipler Sklerose

Vera. Beim Kartenspielen im Januar 2016 mit ihren Schwestern ließ sie ständig die Karten fallen, später konnte sie kaum noch eigene Sätze formulieren. Auf Umwegen landete sie dann im Krankenhaus und hatte nach MRT und Lumbalpunktion die Diagnose MS, eine Kortisontherapie und anschließend eine Reha in Bad Wildbad.

Heute fehlt der 28-jährigen dualen Studentin wenig. "Ich bin ein positiver, optimistischer Mensch, aber diese Eigenschaft hat sich durch die Diagnose nur noch verstärkt. Ich bin sechs Wochen lang jeden Tag vom Hauptbahnhof in die Südstadt am Rhein entlang gelaufen mit einem Grinsen im Gesicht, weil ich mich so gefreut habe, wieder so gut laufen zu können," sagt die aufgeweckte junge Frau mit Arbeitsplatz in Köln und Studienplatz in Karlsruhe.

Natürlich macht sich Vera öfter Gedanken darüber, wie ihre Zukunft aussehen wird. In der Reha und auch bei AMSEL-Veranstaltungen hat sie Menschen getroffen, bei denen die MS anfangs auch ganz moderat verlief, aber nach 2-3 Schüben, die nicht mehr zurückgingen, waren die Menschen dann deutlich eingeschränkt. Aber genau diese Menschen haben ihr auch Mut gegeben, denn "auch wenn man im Rollstuhl sitzt, kann man ein ganz normales Leben führen," so die sportbegeisterte Pendlerin.

Zum Welt MS Tag sagt sie: „Ich wusste zum Beispiel nicht, was MS ist, bis ich meine Diagnose bekam, und wünsche mir, dass die Bevölkerung besser Bescheid weiß über MS." Das lässt sich auch zusammenfassen als #sichtbarwerden.

Multiple Sklerose: unberechenbar

Matthias. Heute geht es dem Leiter der AMSEL Initiative Lörrach und Dreiländereck verhältnismäßig gut. Doch der Schopfheimer hat schon ganz andere Zeiten gesehen. Da musste er sich den Rollator seiner Schwiegermutter leihen, um in die Stadt zu laufen. Und erhielt Mitleid und Hilfe von seinen Mitmenschen. Heute kann er kurze Strecken gehen, ohne dass man etwas sieht. Das hat Vor- und Nachteile.

Die Taubheitsgefühle im Gesicht schränken ihn beim Essen ein, seine Sprache klingt manchmal verwaschen. Das Schlimmste für ihn aber ist: Auch wenn er keinen Rollator mehr braucht, er kann sich nicht auf seine Energie verlassen.

Der Musikfreund kann schon mal ordentlich aufdrehen, bei einem Konzert etwa. Weil er aber stets damit rechnen muss, dass seine Kraft plötzlich nachlässt, hält er sich in der Nähe eines Sitzplatzes auf oder nimmt seinen Rollstuhl mit. Auf einer Vier-Stunden-Strecke wie nach Stuttgart muss er "ordentlich Pausen" einlegen.

#sichtbarwerden: nicht bequem, "nur" Multiple Sklerose

Seine Kumpels wissen Bescheid, andere wundern sich. Auch, wenn seine Frau die Sprudelkisten aus dem Auto hebt, während er danebensteht. Nein, ein Chauvi ist Matthias gewiss nicht. Er hat "nur" MS. Und er wäre froh, dies könnte manchmal #sichtbarwerden.

Die Multiple Sklerose ist ein gutes Beispiel dafür,

  • dass nicht jeder, der bequem aussieht, auch bequem ist.
  • dass nicht jede, die gut aussieht, sich auch gut fühlt.
  • dass nicht alle gut gelaunten Menschen gesund sind.
  • dass es gute und schlechte Tage gibt, im Laufe einer chronischen Erkrankung.

Vielleicht hat er oder sie MS. Oder Fibromyalgie. Oder eine andere Erkrankung, die ihn oder sie behindert, auch wenn man sie nicht sieht. Wichtig ist, dass mehr Menschen über Multiple Sklerose Bescheid wissen. Gerade weil sie so unberechenbar ist. Gerade weil sie oft unsichtbar scheint.

Darum der Welt MS Tag. Darum das Motto #sichtbarwerden.

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Insgesamt sechs Menschen mit MS sind auf den Grafiken zum Welt MS Tag 2019 abgebildet. Hier geht es zu den übrigen drei Porträts.

AMSEL e.V. bedankt sich bei der DAK für die freundliche Unterstützung zum Welt MS Tag 2019.

Redaktion: AMSEL e.V., 29.04.2019