Spastik bei MS

01.06.10 - Muskelzuckungen können ganz verschiedene Ursachen haben, von denen Spastik nur eine ist, erklärt Dr. Dieter Pöhlau im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Hallo, liebe Chatter und willkommen zum AMSEL-Expertenchat! Ab 19 Uhr antwortet Dr. Dieter Pöhlau. Ihre Fragen dürfen Sie aber gern jetzt schon stellen - wir sind gespannt!


Allgemein - Gaby: Guten Abend


Elli: Hallo Herr Dr. Pöhlau, sind starke Muskelverspannungen bei MS schon angehende Spastiken? Kann man normale Verspannungen von neurologisch bedingten Spastiken genau unterscheiden? Und sind Spastiken bei MS zwangsläufig mit Läsionen im Rückenmark verbunden oder können sie auch vorkommen, wenn der Patient ausschließlich Läsionen im Kopf hat?

Dr. Dieter Pöhlau: natürlich kann man mit MS auch "normale" Muskelverspannungen haben, allerdings ist es doch recht wahrscheinlich, dass die von Ihnen angesprochenen "starken" Verspannungen etwas mit Spastik zu zun haben, insbesondere, wenn wenn diese in Muskeln auftreten, die auch von der MS betroffen sind. Spastik tritt auf, wenn "das erste Motoneuron" betroffen ist, also bei Läsionen im Gehirn und/oder Rückenmark, aber eben auch bei entsprechenden Läsionen im Gehirn.

 
 
Dr. Dieter Pöhlau
 
 
 

Seit 01.01.2001 Chefarzt der Kamillus-Klinik in Asbach, 120 Betten Akut-Neurologie mit überregionalen Schwerpunkt in der Behandlung der Multiplen Sklerose neben der Regionalversorgung für neurologische Patienten.

  • Vom 01.01.1998 bis 31.12.2000 Chefarzt der Sauerlandklinik Hachen in Sundern, einer neurologischen Fachklinik, die überwiegend Patienten mit Multipler Sklerose behandelt.
  • Zivildienst beim Roten Kreuz, Anerkennung zum Rettungssanitäter, Psychologiestudium in Erlangen, danach Medizinstudium.
  • Doktorarbeit zum Thema: "Akustisch evozierte Potentiale".
  • Arbeit als Arzt: zunächst an der Neurologischen Universitätsklinik am St. Josef Hospital bei Prof. Przuntek, dann Ausbildung in Psychiatrie am Westfälischen Zentrum für Psychiatrie Bochum (Universitätsklinik) bei Prof. Dr. Dr. Payk. Anschließend wieder an der Neurologischen Universitätsklinik am St. Josef Hospital bei Prof. Przuntek.
    Dort: Ernennung zum Oberarzt, Aufgaben: Neuroimmunologisches Labor, Intensivstation, Therapie neuroimmunologischer Erkrankungen.

Mia: Hallo. Ich habe seit 12 Wochen Muskelzuckungen die langsam in Krämpfe übergehen. Es gibt keine Stelle die nicht zuckt, oftmals viele Stellen auf einmal. Seit 12 Tagen bekomme ich Tabletten. Tolparison. Zu Beginn hat das die Zuckungen/Krämpfe auch beruhigt doch jetzt fängt es wieder an stärker zu werden.

Dr. Dieter Pöhlau: Muskelzuckungen können ganz verschiedene Ursachen haben, Spastik ist nur eine mögliche Ursache. Sie sollten mit Ihrem Neurologen sprechen, was die Ursache für Ihre Muskelzuckungen ist, um diese "ursachennah" zu behandeln.

Moderator Patricia Fleischmann: Hallo Gaby, hallo, Elli!


Allgemein - Elli: Guten Abend Gaby, Guten Abend Frau Fleischmann


Amélie: ist Carmabazepin besser als Baclofen gegen eine Mischung von Spastik und Krämpfen? Erhöht das Copaxone die Muskelprobleme? Weche Techniken kann man entwickeln, um gegen Spastik und Krämpfe zu kämpfen?

Dr. Dieter Pöhlau: Also Carbamazepin wirkt antiepileptisch und auch antispastisch, wir beginnen meist mit einem Antispastikum wie Baclofen, wenn das nicht ausreicht oder in höheren Dosierungen nicht toleriert werden kann, dann kommt evtl. eine Kombination mit anderen Medikamenten in Frage. Generell ist es wichtig, wenn Spastik auftritt bzw. zunimmt, mögliche Auslösefaktoren zu berücksichtigen, also kann z.B: eine Blasenentzündung Spastik verstärken, Schmerzen, auch "Stress". Es ist nötig, evtl. zusammen mit einem Krankengymnasten ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Postitionen, Haltungen Spastizität hervorrufen und wie man dagegen vorgehen kann. Es gibt krankengymnastische Techniken z.B: nach Bobath, die angewendet werden können um Spastizität zu vermindern, das gilt auch für einschiessende Spastiken. Copaxone selbst erhöht die Spastik kaum. Auch die Fähigkeit, sich zu entspannen vermindert oft Spastizität (es sollte sowieso jeder Mensch mindestens eine Entspannungstechnik erlernen).


Allgemein - ralf: Hallo Dr. Dieter Pöhlau und Patricia Fleischmann


Moderator Patricia Fleischmann: Hallo auch, Amélie! Sie dürfen gern untereinander "tratschen" über das Feld "Allgemeiner Beitrag". Das verkürzt die Wartezeit bis die Frage beantwortet ist :-)

Amélie: Ist Baclofen besser als Carmabazepein? Weche Strategien kann man entwickeln, um gagen Spastik und Krämpfe zu kämpfen?

Dr. Dieter Pöhlau: Schon beantwortet :)

kate: Hallo und guten Abend Herr Dr.Pöhlau meine Spastik nimmt immer weiter zu, oft sind die Beine wie Bretter.Jetzt hat mein Neurologe eine Botoxinjektion in die Adduktoren erwähnt. Was halten Sie davon?Geht die Spastik dann vollkommen zurück? Man braucht aber auch Spastik zum Stehen!

Dr. Dieter Pöhlau: Ja, es gibt das was wir "spastische Krücke" nennen, nämlich die nützliche Spastik, auf der man evtl. trotz schwacher Beine noch stehen kann. Botox wirkt in den Muskeln, in die man es spritzt sehr gut, z.B. bei Spastik der Adduktoren, einem spastischen Spitzfuß oder einer Spastik der Schulter. Wenn viele Muskeln von der Spastik betroffen sind, dann muss man wahrsceheinlich über andere Strategien nachdenken (Medikamente, evtl. "Kortison" in das Nervenwasser spritzen oder in seltenen Fällen auch eine Pumpe zur rückenmarksnahen Gabe von Baclofen)

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend, ralf! Schon 7 Chatter unterwegs, scheint eine nette Runde zu werden.

Moderator Patricia Fleischmann: Okay, ich begrüße nochmal mit einem Streich alle Chatter, die neu hinzugekommen sind, sonst komme ich aus dem Begrüßen gar nicht mehr raus: Hallo im AMSEL-Expertenchat alle miteinander!

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau Bekomme gegen die Spastik Lioresal, kann diese Medikament auch längere Zeit eingenommen werden, sprich Jahre? Könnte sich eine Medikamentenabhängung ergegeben?

Dr. Dieter Pöhlau: Ja es kann über Jahre eingenommen werden, man entwickelt keine Sucht.

ralf: Könnte eine höhere Lioresal Dosis eine Übelkeit hervorrufen? >125mg

Dr. Dieter Pöhlau: Ja man kann mit 125mg Baclofen pro Tag durchaus Übelkeit bekommen, ist eine recht hohe Dosis.

Tilla: ich bin ms-diagnostiziert seit 1996 und mache Basistherapie mit rebif seit 2001. In den ersten Jahren sehr gute Rückbildungen nach Schüben mittlerweile schränken mich Koordinationsstörungen, Sensibilitätsprobleme, Gangunsicherheit, fatigue und Seh- und Aufmerksamkeitsprobleme ein. Seit geraumer Zeit habe ich oft Rückenschmerzen und meine Hände werden steif besonders zu den mittleren Fingern hin, zieht bis zu den Oberarmen (immer nur einseitig, machmal rechts manchmal links). Besserung nach Ruhepause. Ich nehme tolperison 150 am Abend. Hat das mit Spastik zu tun, mein Neurologe spricht generell eher von Ataxie. Physiotherapie vermutet und behandelt muskuläre Verspannungen, was kurzfristig immer hilfreich ist. Wie kann ich noch gegensteuern?

Dr. Dieter Pöhlau: Ataxie ist eine Koordinationsstörung insbesondere bei zielgerichteten Bewegungen (z.B. mit der Zeigefingerspitze die Nasenspitze berühren). Wenn die Hände/Arme steif werden, dann klingt das schon eher nach einer Spastik. Tolperison als Antispastikum wird in der Regel 3*150mg dosiert. Wenn dies nicht reicht, Baclofen, Tizanidin oder andere Medis versuchen. Wenn aber insgesamt die MS fortschreitet, stellt sich die Frage, ob die Basistherapie mit dem Interferon noch ausreichend ist, sprechen Sie mit Ihrem Neurologen darüber.

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau Ich habe ein Problem durch diese Spastik bei Physiotherapien die meine Muskelatur stärken, dadurch wird auch meine Spastik verstärkt. Verhält sich dann so das ich dann fast nicht mehr gehen kann. Was könnte hier helfen, außer Botox?

Dr. Dieter Pöhlau: Also die Reihenfolge der Spastiktherapie ist: 1) Auslösefaktoren ausschalten 2) Krankengymnastik, eigene "Bewegunsgtherapie" 3) Medikamente "Tabletten" 4) bei Herden im Rückenmark evtl. i.th. Kortison 5) evtl. bei sehr schweren Spastiken eine "Pumpe" - vorher muss durch Probeinjektionen die Wirksamkeit bewiesen sein 6) etwas auserhalb der Reihenfolge: bei lokalisierten Spastiken, wenn einzelne Muskeln besonders betroffen sind: Botulinum-Toxin. Wenn die Beine "zu steif" aber nicht zu schwach sind, dann sollten Sie antispastische Medikamente versuchen

kate: Wenn Botox in die Adduktoren gespritzt wird u. sonst keine Kraft mehr in den Beinen ist, dann könnte man ja nicht mehr stehen? Wie ange hält die Injektion an ?

Dr. Dieter Pöhlau: Die Wirkung kann durchaus 6 Monate anhalten. Wobei die Adduktoren nicht die Muskeln sind, die beim Stehen die Hauptarbeit machen müssen


Allgemein - ralf: Danke an Dr. Dieter Pöhlau + Patricia F.


Amélie: Beim MRT vom Rücken Ende April waren keine neuen Herde aufweisbar und keine Verschleterungen sichtbar. Mein Neurologe will ein MRt vom Kopf machen lassen, um auszuschließen, dass da was im Busch ist. Können die vermehrten Spastiken daher kommen?

Dr. Dieter Pöhlau: Spastik kann auch dann zunehmen, wenn keine neuen Herde im MRT von Kopf oder Rückenmark nachweisbar sind, man sieht auch im MRT nicht alles.

Moderator Patricia Fleischmann: Gerne, ralf, dafür sind wir da.

Moderator Patricia Fleischmann: @ Amélie: Bitte Ihre Frage unter "FRage an den Experten" einstellen. Das andere Feld ist für Gespräche unter den Chattern gedacht.

ralf: Hilft Magnesium auch gegen die Spastik? (Muskeln)

Dr. Dieter Pöhlau: eher wenig, hilft eher gegen Krämpfe, insbesondere dann wenn wirklich ein Mangel vorliegt


Allgemein - kate: Habt ihr schon etwas von der Botoxinjektion gehört?



Allgemein - Amélie: Patricia, soll ich meine fragen dann im allgemeiner Beitrag stellen?


Moderator Patricia Fleischmann: @ Kate: Das würde mich auch interessieren, wie Betroffene die Behandlung mit Botox erfahren haben. Sind vielleicht welche unter den Chattern?

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau Sind Herde im Rückenkanal die Auslöser für Spastik in den Füßen und Arme/Hände? Wie oft wird/kann man diese Rückenmark evtl. i.th. Kortisonbehandlung durchführen?

Dr. Dieter Pöhlau: Ja Herde im Rückenmark können der Auslöser für Spastik sein (Herde im Gehirn, wenn diese die "Motorikbahnen" befallen aber auch). Eine solche i.th. Therapie wird in der Regel zu Beginn mehrfach hintereinander ausgeführt, wir geben meist 40 mg Triamcinolonacetonid, das hält dann meist für einige Wochen, bis zu 3 Monaten, selten auch länger, dann kommt die Spastik wieder. Diese Therapie ist aber keine reine antispastische Therapie, sie vermindert auch die Entzündungsreaktion im Nervenwasser und kann z.B. auch zu Besserungen der Blasenfunktion führen.


Allgemein - Amélie: Erhöht Copaxone die Spastik?



Allgemein - kate: Ein Bewegungstrainer ist auch gut bei Spastik


Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Amélie, nein, bitte in Frage an den Experten". Ist wohl vorhin aus Versehen im andern Feld gelandet.

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau ich bemerke im Herbst/Winter ist meine Spastik weniger durch die Temperaturen, ist das nur subjektives Gefühl? In Sommer >27°C bekomme ich Nervengrippeln in den Füßen und Zuckungen, abhilfe schafft hier nur mehr Körperabkühlung!

Dr. Dieter Pöhlau: Gefühle sind real, und auch gar nichts Eingebildetes, und es ist gut möglich, dass Spastik im Winter besser wird, andere berichten über eine Zunahme im Winter. Erhöhte Körpertemperaturen führen bei vielen MS-Betroffenen zu einer Verschlechterung von Funktionen (sog. Uthoff-Phänomen)

Tom: Ich bin fast 56 und habe die Diagnose- "MS nicht näher bezeichnet". Ich nehme zur Zeit noch keine Medikamente,habe aber in diesem Jahr zwei heftige Schübe hinter mir die mit Kortison-wochenlang bis zu 2000mg behandelt wurden.Habe einiges davon behalten mein rechter Arm lässt an Kraft nach.Ich muß dabei sagen das ich zweimal schon an der HWS operiert worden bin und ein Bandscheibenimplantat im BereichC4-C5 habe. Nun zu meinen Fragen: .Wäre es besser vielleicht mit einer Basistherapie zu beginnen? Was heißt genau MS nicht näher bezeichnet? Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen im voraus.

Dr. Dieter Pöhlau: Ja, bei zwei schweren MS Schüben, die sich auch inkomplett zurückgebildet haben, besteht die Indikation zur Einleitung einer Immuntherapie. MS - nicht näher bezeichnet heißt, dass der Verlaufstyp nicht angegeben wurde, z.B. "schubförmiger Verlauf".

Elli: Ich mache Rückengymnastik und habe zwar das Gefühl dadurch etwas beweglicher zu werden, aber die Rücken/Nackenschmerzen nehmen nicht wirklich ab (nur ganz wenig), sondern die Muskeln scheinen durch das "Training" noch härter und schmerzhafter zu werden (dabei mache ich nur leichte Übungen, ohne Gewichte u. Geräte). Sollte man bei MS mit Muskelstärkung, die für den Rücken gut wäre, lieber vorsichtig sein?

Dr. Dieter Pöhlau: KG ist gut und wichtig, aber Sie sollten auch "entspannende" Übungen machen, Ihr Therapeut wird Sie beraten und anleiten, wenn KG nicht ausreicht, sollten Sie antispastische Medikamente einnehmen und zusammen mit Ihrem Neurologen auch untersuchen, woher die Schmerzen kommen, möglicherweise löst der Schmerz Spastiken aus und diese können dann in einem Teufelskreis wieder die Schmerzen verstärken. Diesen Kreis aus Schmerz - Spastik - Schmerz...muss man durchbrechen, auch durch eine konsequente Therapie der Schmerzen

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau Habe auch Spastik in den Fingern, bei mir wirken aber diese Anti-spastikmedikamente nicht so wie in den Füßen! Sollte ich andere Medikamente versuchen?

Dr. Dieter Pöhlau: Ja und evtl. mit einem Ergotherapeuten überlegen, was Sie selbst gegen diese Spastiken tun können

Ada: Also, das Gehen bereitet mir zunehmens mehr Schwierigkeiten, manchmal ist das linke Bein sehr schwer und z.Zt. fühlen sich beide Beine schwach an. Auf jeden Fall bekomme ich Schmerzen, wenn ich die Beine beanspruche (z.B. durch Gehen, Stehen,...). Meistens ignoriere ich die Schmerzen und mache weiter (die Arbeit muß ja getan werden). Doch dann werden die Schmerzen immer schlimmer und das Gehen mühsam. Es fühlt sich so an, als ob die Muskeln in den Beinen verkrampfen. Nun meine Frage: Ist dies nur eine Überbelastung oder fällt das auch unter den Bereich „Spastik“? Und das Wichtigste: Was kann ich selbst da am besten machen? Ist es o.k.,einfach weiterzumachen, oder kann ich dadurch was verschlimmern? Ganz herzlichen Dank!

Dr. Dieter Pöhlau: Das ist ein typischer Teufelskreis: Schmerz löst Spastik aus, die Muskeln spannen sich an, das führt zu einer Verstärkung der Schmerzen, der Schmerz verstärkt die Spastik...Sie sollten lernen, wie Sie durch entsprechende Körperhaltungen, Entlastungen die Spastik vermindern, wahrscheinlich brauchen Sie Schmerzmedikamente und Antispastika und dann wird man sicher auch untersuchen, woher die Schmerzen kommen (Wirbelsäulenprobleme, Gelenkprobleme sind bei der MS z.B. recht häufig)

Pia: Sehr geehrter Herr Dr. Pöhlau, im August letzten Jahres wurde ich in Ihrer Klinik u. a. mit intrathekalem Kortison behandelt und konnte anschließend wieder fast normal gehen. Seit ca. 2 -3 Monaten merke ich, daß das Laufen wieder sehr schwierig ist, nach 10 bis 15 min. fühlen sich die Beine ganz steif an, längere Strecken sind nur sehr beschwerlich und auch nur sehr langsam möglich. Gymnastik mache ich jeden abend, was kann ich noch dagegen tun? Ganz herzliche Grüße

Dr. Dieter Pöhlau: Wieder intrathekales TCA nehmen, es ist ganz typisch, dass die Wirkung nach ca. 3 Monaten nachläßt.

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau führt eine Spastik auf längere Zeit auch zu Haltungsschäden, sind hier Studien bekannt?

Dr. Dieter Pöhlau: Ja, Spastik bzw. die meist dahinterstehenden nicht symmetrischen Muskelschwächen führen zu Haltungsschäden und langfristig auch zu Schäden am Achsenskelett ("Wirbelsäule") und evtl. an überbelasteten Gelenken

Amélie: Irgendwie bleibt meine Frage unbeantwortet: Kann Copaxone (Ich spritze seit August 2010) die Spastik erhöhen?

Dr. Dieter Pöhlau: Ich denke eher, dass es andere Gründe für die Zunahme der Spastik bei Ihnen gibt, als Copaxone...ganz sicher ausschliessen kann man es nicht

manu: Guten Abend, mein linkes Bein beginnt in der Nacht "zu arbeiten" - ich denke es ist eine Spastik: Ich muss Druck ausüben (gegen das Fußende treten), um es auszuhalten. Es dauert oft bis zu 1 Stunde bis ich Ruhe habe. Auch habe ich im linken Knie Schmerzen, ich kann z.B. nicht mehr den linken Unterschenkel unter den Po legen (Fersensitz). Könnte letzteres mit der Spastik zusammenhängen? Sie sprechen heute Abend von Gelenkschäden durch Spastik. Ich mache 3 - 4 x die Woche Nordic Walking und danach habe ich im rechten Oberschenkel an der Innenseite (zum Knie hin) enorme "Stromgefühle", die ca. 15 MIn. andauern. Sind das mögliche ANzeichen dafür, dass auch im rechten Bein Spastik einsetzt? Ich habe Sorge, dass die Spastiken auch tagsüber z.B. beim Autofahren einsetzen. Wie sind die Erfahrungen zur Entwicklung von Spastiken? Danke für Ihre Antwort!

Dr. Dieter Pöhlau: Wenn vor dem Einschlafen Mißempfindungen der Beine auftreten, Bewegungsunruhe und auch Schmerzen, wenn man dann etwas tun muss, damit diese Gefühle "weggehen", kann das auch ein sog. Restless legs Syndrom (RLS) sein, das bei der MS nicht selten ist. Ein RLS ist oft rel. einfach zu behandeln, fragen Sie Ihren Neurologen danach. "Stromgefühle" nach/unter Belastung können u.a. dadurch auftreten, dass Herde im Rückenmark "Ärger" machen. Evtl. gibt es aber auch von der MS unabhängige Ursachen (z.B. Bandscheibenvorfälle, die das Rückenmark oder Nervenwurzeln "ärgern"). Schmerzen am Knie (besonders dann wenn auch eine Knieschwellung dazukommt) sollten Sie durch einen Orthopäden untersuchen lassen.

Lillyfee: Hallo. Ab wann spricht man von einer Spastik?

Dr. Dieter Pöhlau: Es gibt da keine "Untergrenze". Meist trennt man Spastik in "Plussymptome" (z.B. einschießende Spastiken, Krämpfe, steife Beine..) und "Minussymptome" (Schwäche...). Auch die Untersuchung u.a. das Auslösen von Reflexen, die bei Spastik oft gesteigert sind oder der Nachweis von pathologischen Reflexen ("Babinski-Zeichen") beweisen die Schädigung des sog. ersten Motoneuron, also der Bahnen in Gehirn und Rückenmark, die für die Ansteuerung der Muskeln verantwortlich sind. Schädigungen dieser Bahnen führen zur Spastik.

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau haben sie Kenntnis über neuere Medikamente gegen die Spastik, die jetzt in Erprobung sind und besser/schnellere Wirkung zeigen werden?

Dr. Dieter Pöhlau: Ja, bald wird eine Cannabismedikament unter dem Namen "Sativex" auf den europäischen Markt kommen, das in Studien Wirksamkeit gegen Spastik gezeigt hat. Es ist in Kanada zugelassen. Es wird als "Mundspray" verabreicht, wird über die Schleimhäute aufgenommen und durch diese Form der Aufnahme gibt es keine so hohen Spitzenkonzentrationen wie z.b. beim Rauchen von Cannabis, deshalb soll das Medikament so gut wie keine Sucht auslösen können.

jonna: Hallo Herr Pöhlau. Ich habe seit einigen Jahren MS ohne nennenswerte Einschränkungen - außer einer Ataksie...die wird nun stärker. Meine Frage, kann auch aus einer Ataksie raus eine Spastik entstehen??? Ebenfalls ...können taube, kreisrunden Stellen am Fußrücken zu einer Spastik führen? Beides nimmt die letzen Wochen zu? Danke im Voraus Jonna

Dr. Dieter Pöhlau: Wenn neue Ausfälle auftreten, dann ist die MS ja offenbar aktiv. Und so können dann natürlich auch Nervenbahnen befallen werden, die eine Spastik auslösen. Deshalb stellt sich mir vor allem die Frage, ob man die Immuntherapie nicht intensivieren sollte oder eine solche einleiten, evtl. auch erstmal eine Kortisontherapie durchführen. Reden Sie mit Ihrem Neurologen darüber.

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau ist eine öftere Kortisongabe nicht schädlich für den Körper auf längere Zeit gesehen,sprich schnellere Übergang in den progrendientem Verlauf?

Dr. Dieter Pöhlau:

Kortison ist ein ein veränderter körpereigener "Wirkstoff", ein Hormon, das allerdings zur Behandlung der MS in viel höherer Konzentration eingesetzt wird, als es der Körper produzieren kann. Wenn Kortison lange eingesetzt wird, dann treten Probleme mit der Knochenmasse ("Osteoporose"), mit den Muskeln, evtl. den Sehnen, mit der Haut, den Augenlinsen und weitere Probleme auf. Kortisonpulse, wie diese zur Therapie der MS eingesetzt werden, sind besser verträglich. Es besteht offenbar keine Gefahr, dass durch Kortisonpulse ein schubfömiger Verlauf der MS schneller in einen sekundär chronisch progredienten übergeht.

jonna: Ich bekomme keine Immuntherapie da im MRT keine Herde zu sehen sind, wohl aber die Oligoklonalen Banden positiv sind. Es wurde zwar als gesicherte MS " diagnostiziert, mit einer Therapie tut sich mein Neurologe aber schwer. Ich bin wohl so ein "Zwischenfall"

Dr. Dieter Pöhlau: Wenn Sie keine Herde im Gehirn und keine Herde im Rückenmark haben, und auch in den "evozierten Potentialen" keine typischen Befunde nachweisbar sind, muss man über die Diagnose nachdenken. Oligoklonale Banden beweisen keine MS, diese treten bei verschiedenen Erkrankungen auf.

kate: Das Medikament Sativex klingt recht interessant. Bis das wieder für uns verfügbar ist, vergeht eine lange Zeit. Habe eimal Dronnabinol versucht.Hat aber nicht viel geholfen.

Dr. Dieter Pöhlau: Sativex ist Dronabinol plus Dronabidinol 50:50 in dieser speziellen Darreichungsform.

ralf: @Dr. Dieter Pöhlau wann schätzen sie wird diese Cannabismedikament unter dem Namen "Sativex" auf den europäischen Markt kommen?

Dr. Dieter Pöhlau: Das ist nicht klar, meines Wissens sind die Unterlagen bei der Zulassungsbehörde eingereicht.

Elli: Könnte Neuraltherapie gegen die Rückenschmerzen helfen? Und können Sie zum Thema Elektrostimulation etwas sagen? Und wie kann denn der Neurologe die Ursache der Schmerzen feststellen, nur manuell und anhand der MRT-Bilder oder gibt es noch andere Messmethoden?

Dr. Dieter Pöhlau: Schmerzen kann man nicht direkt messen, aber durch eine sorgfältige körperliche Untersuchung, unterstütz evt. durch Bilder (Röntgen, MRT) kann man weiterkommen, auch Krankengymnasten können oft helfen, die Ursache der Schmerzen zu finden. Geärgerte Nerven (die z.B. durch Bandscheibenvorfälle eingeklemmt werden) kann man aber schon messen, entweder direkt oder durch Untersuchung der von diesen Nerven versorgten Muskeln ("EMG"). Elektrostimulation hilft oft gegen Schmerzen, am besten im Rahmen eines "schmerztherapeutischen" Gesamttherapieplanes, zu dem auch Medikamente, KG, evtl. Sport etc. gehört.

ralf: Bedanke mich für die Experten Infos und verabschiede mich Guten Abend an: Dr. Dieter Pöhlau Patricia Fleischmann + Plattform

Dr. Dieter Pöhlau: Gern geschehen, ralf, auch Ihnen einen schönen Abend!

jonna: Die Antwort meiner 2 Neurologen diesbezüglich war: Wenn alles andere auszuschließen ist ( und es wurde viel untersucht) dann bleibt nur noch die MS übrig. O Ton. Therapiert werde ich nicht- ich bleib nur mit den Symptomen alleine

Dr. Dieter Pöhlau: Fragen Sie Ihre Neurologen, evtl. gibt es ja für Ihre Symptome andere Ursachen als die MS oder - man kann auch Symptome möglicherweise als solche behandeln, auch wenn die Ursache noch nicht ganz klar ist...

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, haben Sie vielen Dank für Ihre Beteiligung hier heute Abend! Ganz herzlich danke ich natürlich Herrn Dr. Pöhlau, der einmal mehr unermüdlich Rede und Antwort in unserm Chat stand. Das kommende Thema plus Referent sind momentan noch nicht spruchreif; fest steht jedoch schon der Termin: 15. Juni. Bis dahin wünsche ich allen eine gute Zeit und möglichst moderate Tempraturen für diejenigen unter Ihnen, die an Uhthoff leiden. Bis bald!

Elli: Kennen sich alle Neurologen mit solch einem schmerztherapeutischen Gesamttherapieplan aus oder sollte man dann besser direkt zu einem Schmerztherapeuten bzw. einer entsprechenden Ambulanz gehen?

Dr. Dieter Pöhlau: Ich denke, dass vor allem Neurologen dafür gut ausgebildet sind, da ja Schmerzen stets über Nerven geleitet werden und Neurologen diese messen können und auch die Schmerzmedikamente überwiegend im Gehirn und Rückemark angreifen. Außerdem tritt bei chronischen Schmerzen ein "Anpassungsprozess" ein, das "Gehirn lernt Schmerz", man sagt, dass ein "Schmerzgedächtnis" aufgebaut wird, das durch entsprechende Medikamente evtl. "gelöscht" werden kann, darüber sollten Sie mit Ihrem Neurologen sprechen.

Moderator Patricia Fleischmann: Die offenen Fragen beatwortet Dr. Pöhlau noch. Bitte stellen Sie keine neuen Fragen mehr. Und nochmals einen schönen restlichen Abend an alle!

 

Redaktion: AMSEL e.V., 01.06.2010