Eskalation/ schwere MS-Fälle

04.09.07 - Deeskalation ist in der täglichen Praxis häufig, so Prof. Dr. Erich Mauch im AMSEL-Expertenchat zum Thema.

Moderator Patricia Fleischmann: Einen wunderschönen guten Abend, liebe AMSEL-Chatter, ich hoffe, Sie hatten alle einen erholsamen Sommer. Heute begrüßen wir Prof. Dr. Erich Mauch als Experten - die Chattore sind geöffnet!

 
 
Prof. Dr. Erich Mauch
 
 
 

Ärztlicher Direktor der Fachklinik für Neurologie Dietenbronn in Schwendi

  • 1972 - 1979 Studium der Medizin an den Universitäten Ulm und Düsseldorf
  • 1979 - 1985 Assistenzarzt-Tätigkeit
  • 1985 Leitender Oberarzt in der Fachklinik für Neurologie in Dietenbronn (Neurologische Universitätsklinik)
  • 1985 Arzt für Neurologie und Psychiatrie
  • 1996 Ärztlicher Direktor der Fachklinik für Neurologie Dietenbronn, inzwischen Akademisches Krankenhaus der Universität Ulm
  • 1996 Ernennung zum Honorarprofessor der Universität Ulm

Caroline: Hallo, Diagnose meiner MS im Jahre 2003 prim.progred.Form. Keine Therapie vorerst, nur Physiotherapie. Ca. 12 Jahre zurück muss ich sagen, daß ich immer wieder Symptome hatte, die kurz da waren und wieder verschwanden, zB.: einmal morgens kein Gefühl für die Blase, war dann wieder weg. Dann ca. 4 bis 6 Wochen plötzliches einschlafen der Arme kurz und gleich wieder aufwachen. Leichte Schwäche beim Sport im rechten Bein. Nur beim Sport ganz kurz. Diese Schwäche hat sich bis heute dann erweitert mit Spastik jetzt in beiden Beinen. Außerdem hatte ich auch nur ein paar Wochen Augenblitze von Zeit zu Zeit, verschwand dann auch wieder. Ich zweifle deshalb an der primären Form! Könnten diese "Minisachen" nicht doch schwache, kleine Schübe gewesen sein die dann in der sekundäre Form übergingen? Vom Aug.2006 bis Juni 2007 spritzte ich Copaxone ohne Erfolg. Verträglichkeit wäre sehr gut gewesen aber die Verschlechterung in den Beinen ging weiter! Momentan sprüre ich auch eine ganz leichte Schwäche im linken Arm. Deshalb meine Frage: was kann ich noch tun? Ich habe Angst, daß sich die Schwäche in den Armen auch wieder massiv ausbreitet! Ist mein Fortschreiten progressiv zu nennen? Welche Therapien könnte ich noch versuchen? Vor ca. 2 Jahren hatte ich ein Kortisonbehandlung von 3x 1000 mg als Versuch! Konnte eine leichte Gehverbesserung feststellen, die aber in kurzer Zeit wieder verschwand. Nichts ergreifendes. Kann im Haus noch ohne Rolli zurechtkommen für außerhalb benötige ich den Rollstuhl. - Vielen Dank für Ihre Mühe.

Prof. Erich Mauch: Hallo Caroline, Oft ist es sehr schwer, festzustellen, ob ein MS-Verlauf wirklich primär progredient ist. Bei Ihren kurzzeitigen Ereignissen gehe ich aber nicht von Schüben aus, da sich hier in der Regel die Symptome langsam entwickeln, meist Tage oder Wochen anhalten und wieder langsam abklingen (es sind ja Entzündungsprozesse, die Zeit brauchen). Ich würde aber in jedem Fall noch nach Therapiealternativen zum Copaxone suchen, das tatsächlich bei den primär oder sekundär progredienten Verlaufsformen wenig effektiv ist. Nach meiner Erfahrung könnten hier immunsuppressive Substanzen günstiger sein, zumal Sie nach einer Kortison-Behandlung eine zumindest vorübergehende Verbesserung erlebten. Um aber die wirklich optimale Behandlung für Sie zu finden, müsste aus meiner Sicht auch ein aktueller Kernspinstatus von Gehirn und Rückenmark erhoben werden sowie eine ausgedehnte Untersuchung des sonstigen Gesundheitszustandes. Dies könnte gerne einmal für 3 Tage in unserer Klinik in Dietenbronn geschehen. Dies wäre ein Angebot. Mit freundlichen Grüßen

Karin: Hallo Herr Prof. Mauch ! Ich bekomme ICA intrathekale V.A. + 5mg Mitox, die mir sehr gut bekommen. (Laufen geht für fast 3 Mon. besser), aber bei Mitox bin ich schon bei 118mg. Nun soll versucht werden das Mitox zu reduzieren und nur eine Therapie gemacht werden. Frage: Da ich i.M. im UKE Bochum behandelt werde,aber aus NS komme ca.350km Anfahrt,frage ich mich, ob eine andere Therapie (und welche und wo) für mich SPMS in Frage kommt ? Rebif,Cellcept, Mitox u. TCA hatte/habe ich schon. Vielen Dank

Prof. Erich Mauch: Hallo Karin, wenn Sie mit der bisherigen Therapie gute Erfahrungen gemacht haben, würde ich zunächst dabei bleiben. Auch wir versuchen bei Dosen ab 120 mg Mitox, die Dosis zu reduzieren bzw. zu pausieren. Dies führt häufig zu keinen Verschlechterungen, so dass Sie dem Rat Ihrer bisherigen Behandler folgen können (zumal auch noch die intathekale Behandlung fortgeführt wird). Sollte sich jedoch wieder eine Verschlechterung einstellen, könnte man aus meiner Sicht nochmals mit dem Mitox einsteigen, da in begründeten Fällen und in kompetenten Zentren nach wie vor 140 mg/qm Körperoberfläche gegeben werden können (dies sind ca. 250 mg pro Person). Viele Grüße

susanna: ich darf morgen in die Klinik kommen nach Dietenbronn. Mein Hausarzt wusste nicht weiter, mein Neurologe am Telefon auch nicht. Denke das ich in die Mrt, sollte um festzustellen was ist. Eigentlich hätte ich am Freitag einen Termin für Tysabri, wie es nun weitergeht ist mir unklar.

Prof. Erich Mauch: Hallo Susanna, dass Sie morgen in unsere Klinik kommen finde ich prima! Wir können dann sehr eingehend Ihre Probleme besprechen und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir für Sie eine brauchbare therapeutische Strategie finden werden. Dann bis morgen - ich werde auf Sie zukommen.

Moderator Patricia Fleischmann: Verehrte Chatter, wir empfehlen Ihnen, ein Nickname, einen erfundenen Namen zu wählen. Das gilt allgemein fürs Internet, speziell MS-Betroffene möchten oft anonym bleiben, damit Dritte nicht auf diese Art erfahren, dass Sie MS haben.

Chantal: Ich stehe kurz vor Ende meiner Mitoxtherapie. Bestimmte MS-Fälle können, heißt es, wieder zurück zur Basistherapie nach der Eskalation. Welche sind das?

Prof. Erich Mauch: Hallo Chantal, mit den Basistherapien nach Eskalation (z.B. mit Mitoxantron) sind die Interferone gemeint sowie Glatirameracetat (Copaxone). Alle 3 Interferonhersteller (Avonex, Betaferon, Rebif) sowie auch TEVA, das Copaxone produziert, haben Studien iniziiert, welche die Wirksamkeit dieser De-Eskalationsstrategie prüfen. Ein Wechsel von Mitoxantron zurück zu einem Interferon oder zu Copaxone wird auch in der täglichen Praxis häufig durchgeführt. Viele Grüße

Moderator Patricia Fleischmann: Verehrte Chatter, Sie können sich auch jederzeit über das Feld "allgemeiner Beitrag" untereinander unterhalten, Erfahrungen austauschen etc.


Allgemein - Simon Conrad: wer kennt von euch Tysabri???



Allgemein - Chantal: Hallo, kenn ich nur aus dem Forum hier bei Amsel. Sind einiige Erfahrungsberichte drin


Sirius: Guten Abend Herr Prof. Mauch! Ich habe von einer Studie der Uni München gehört, bei der Mitoxantron zusammen mit einem Kortikoid (Methylprednisolon) bei PPMS und SPMS vergleichsweise erfolgreich(!?) eingesetzt wurde. Wie ist Ihre Erfahrung damit?

Prof. Erich Mauch: Hallo Sirius, mit solch einer Kombinationstherapie habe ich keinerlei Erfahrungen. Aus meiner Sicht sind Langzeitbehandlungen mit Kortikoiden bei der MS problematisch, da langfristig vor allem das Osteoporose- und Thromboserisiko nicht zu unterschätzen ist. Wir verabreichen gerade deshalb Mitoxantron, um Kortisonbehandlungen weitgehend zu vermeiden. Viele Grüße


Allgemein - Sirius:

Linktipp: www.ms-netz-hamburg.de/Immunthera.116.0.html

 



Allgemein - Sirius:

@Simon Conrad: de.wikipedia.org/wiki/Tysabri

 


Chantal: Kommt Deeskalation also einem Versuch gleich, oder gibt es besondere Tests undDiagnosemittel, zum Abschätzen der Wirksamkeit bei einzelnen Patienten?

Prof. Erich Mauch: Es ist tatsächlich so, dass der Erfolg der Deeskalation mit einem bestimmten Medikament nicht vorausgesagt werden kann. Dieses Problem besteht aber auch bei jedem Neubeginn einer Behandlung. Ich kenne bisher keine Tests oder diagnostische Verfahren, welche einen Behandlungserfolg vorhersagen können. Dies wird evtl. möglich sein, wenn es gelingt, die Patienten den bisher bekannten 4 histologischen Gruppen mit klinischen Mitteln zuzuordnen (diese Einteilung gelang bisher nur aus Hirnbiopsien).

Sirius: Worin liegen die grundsätzlichen Unterschiede bei der Behandlung der schleichenden Verlaufsformen (SPMS/PPMS) und wann bzw. warum kann es zu einem "Stillstand" der Krankheit kommen? Wie beurteilen Sie den Versuch einer psychische Einwirkung auf die Krankheit (z.B. mit Imagination)?

Prof. Erich Mauch: Hallo Sirius, vermutlich handelt es sich bei den schleichenden Verlaufsformen um andere Schädigungsmuster und -mechanismen im Vergleich zum schubförmigen Verlauf. So findet man bei der primär progredienten MS häufig den histologischen Subtyp IV (primäre Degeneration der Oligodendrozyten). Daraus ergibt sich wiederum, dass verschiedene Medikamente mehr oder weniger wirksam sind (z.B. Azathioprin, Tysabri wirken vor allem gegen T-Lymphozyten, Rituximab und Mitoxantron hemmen vor allem die B-Zellen). Wir beobachten tatsächlich häufig, dass bei MS-Kranken ein Stillstand der Erkrankung eintritt (klinisch und im Läsionsvolumen der Kernspintomographie) und zwar sowohl nach einer Therapie oder auch spontan. Warum dies so ist weiss ich nicht. Ich halte es aber durchaus für lohnenswert, auch psychische Kräfte in der MS-Behandlung zu nutzen (z.B. Imagination), da wir in der Praxis oft sehen, dass massive psychische Einwirkungen zu Schüben führen können (z.B. Verlust des Partners) und psychische Stabilisierung (Wechsel des stressigen Arbeitsplatzes) zu Verbesserungen der MS führt. kann.


Allgemein - Sirius:

Buchtipp: www.elsevier.de/artikel/1027724

 


Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, das wars für heute. Im Namen von Herrn Prof. Erich Mauch und mir herzlichen Dank für Ihre Beteiligung! In zwei Wochen gehts weiter mit Dr. Walter Pöllmann und "Therapie für Neuerkrankte". Übrigens können Sie an expertenrat@amsel.de Ihre medizinischen Fragen auch per Mail richten. - Einen guten Abend Ihnen allen.

Redaktion: AMSEL e.V., 22.11.2007