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Welt MS Tag virtuell – #MSverbindet auch im Netz

Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass es einen zweiten virtuellen Welt MS Tag geben würde? Corona-bedingt traf sich die AMSEL Community auch dieses Jahr online. Und diesmal noch interaktiver durch Gesprächskreise für individuelle Fragen.

Zu einem regen Erfahrungsaustausch kam es in den Gesprächsrunden mit den Experten des AMSEL-Beratungsteams: Schwerpunkte waren Beruf und Multiple Sklerose, Pflege und Unterstützung im MS-Alltag sowie die 1.000 Gedanken und 1.000 Fragen bei der Neu-Diagnose MS. Die Teilnehmer waren sich einig: Der Austausch mit anderen Betroffenen ist Gold wert. Gleiches gilt für die Unterstützung in allen praktischen Fragen durch das AMSEL-Beratungsteam.

Nach intensiven Gesprächen boten vor dem Einstieg ins Nachmittagsprogramm Lockerungsübungen mit Klara Kiess von der Physiotherapiepraxis Lamprecht eine willkommene Abwechslung und brachten den Kreislauf wieder in Schwung. Unter dem Titel „Im Gespräch mit …“ standen dann MS-Spezialisten aus Klinik und Praxis den Teilnehmern Rede und Antwort.

MS und Corona

Der Dauerbrenner bei den Themen der MS Community. PD Dr. med. Mathias Buttmann, Caritas Krankenhaus Bad Mergentheim und Mitglied im Ärztlichen Beirat der AMSEL, fasste den Stand der Wissenschaft zusammen: MS birgt kein erhöhtes Risiko für eine Covid 19-Infektion. Bei steigendem Behinderungsgrad kann es aber zu einem schwereren Covid-Verlauf kommen. Deshalb empfiehlt er eine rasche Impfung - egal mit welchem Impfstoff. Nach aktuellem Kenntnisstand seien alle zugelassenen Impfstoffe effizient und sicher.

Interessant die Frage nach einer 3. Impfung unter Immuntherapie: In Frankreich wird dies trotz dünner Datenbasis schon praktiziert, in Deutschland wird es von der STIKO bisher noch nicht empfohlen. Bei der Frage nach einer möglichen Schubauslösung durch die Impfung konnte Dr. Buttmann die Teilnehmer beruhigen: mRNA- wie auch Vektorimpfstoffe, und nur diese beiden Wirkstofftypengibt es aktuell gegen Corona, sind wie andere Totimpfstoffe in der Regel gut verträglich.

Beziehungsarbeit: Mehr Liebe, weniger Medikamente

Dr. med. Lienhard Dieterle, Neurologe und Psychiater aus Ravensburg und Mitglied im Ärztlichen Beirat der AMSEL, referierte über „Seelische Veränderungen bei der MS-Erkrankung“. Anhand von Fallbeispielen grenzte er Ängste, die in einer akuten Belastungssituation wie der MS-Diagnose nur zu verständlich sind, von Depressionen oder gar organischen Psychosen ab. Diese gehören unbedingt in die Hände von erfahrenen Psychologen oder Psychiatern. Beziehungsarbeit sieht er als zentralen Aspekt bei der Krankheitsbewältigung: Angefangen beim Arztgespräch, das eine Vertrauensbasis schafft und die Adhärenz zur gewählten Therapie fördert. Über die Familie, wo Bedürfnisse und Grenzen klar kommuniziert für Verständnis und praktische Lösungen sorgen. Bis hin zum Beratungsangebot der AMSEL mit Kontaktgruppen, Jungen Inis und auf den Social Media-Kanälen.

Alles rund um die MS

So der Titel der Gesprächsrunde mit Prof. Dr. med. Peter Flachenecker, Chefarzt des Neurologischen Rehabilitationszentrums Quellenhof in Bad Wildbad und Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der AMSEL. Aus der Vielfalt der Fragen hier einige Eckpunkte aus den Antworten von Prof. Flachenecker: Anstatt zu Diäten rät er zu ausgewogener Ernährung, ergänzt durch die Vitamine D3 und B12, sofern ein Mangel vorliegt (und nur dann!). Hippotherapie fördere Gehvermögen und Gangsicherheit und mindere Spastik und Ataxie. Kontrastmittelgaben beim MRT sind seiner Ansicht nach nicht immer erforderlich, wobei die modernen Präparate sicher und weniger kritisch bezüglich Ablagerungen und Schäden im Gehirn seien.

Die Vorträge am Abend:

Aktuelle und zukünftige Therapiestrategien der MS

Methylprednisolon wurde bisher als Standardtherapie bei Schüben ausschließlich stationär und intravenös verabreicht. Inzwischen gibt es das Glukokortikoid auch in Tablettenform, so PD Dr. med. Markus Krumbholz, Oberarzt in der Neuroimmunologischen Ambulanz und Studienambulanz der Uniklinik Tübingen. Es kann ambulant oder zu Hause eingenommen werden.

Als neue Substanzen nannte Dr. Krumbholz Ofatumumumab, einen B-Zell-Antikörper mit ähnlichem Wirkmechanismus wie Ocrelizumab. Eine weitere Neuheit ist das gerade erst zugelassene Ponesimod, in seiner Wirkung ähnlich wie Fingolimod oder Siponimod. Vorteil hier: durch die schrittweise Aufdosierung ist kein EKG-Monitoring erforderlich. BTK-Inhibitoren werden aktuell in einer Phase 2-Studie geprüft. Sie zeigen deutlich reduzierte Schubraten bei moderaten Nebenwirkungen und können künftig eine weitere Alternative sein. Bei der Therapiewahl sollten die Bedürfnisse des Patienten im Fokus stehen. Daneben spielt die bisherige Krankheitsaktivität und die benötigte Wirkstärke eine große Rolle.

Kraftfahreignung bei MS – ein heikles Thema

Verkehrsunfälle werden zu 87,7 % durch menschliches Versagen verursacht, nur 0,9 % durch technische Defekte – aber der Mensch muss nicht zum TÜV! Natürlich ist es bitter, auf die eigene Mobilität zu verzichten, aber die Strafen bei Verkehrsunfällen, die durch Alkohol, berauschende Mittel oder geistige/ körperliche Mängel verursacht wurden, sind empfindlich. Grund genug, sich selbst und seine Fahrtüchtigkeit kritisch zu prüfen, bevor man ins Auto steigt. Um sich abzusichern, rät Prof. Flachenecker MS-Erkrankten zum Gespräch mit dem Arzt, evtl. zu einer Fahrprobe mit einem Fahrlehrer, der die Eignung attestiert. Oder zur Abklärung der körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit mit entsprechender Bescheinigung in der Reha. Kritisch ist es, ein Fahrzeug unter Einnahme von Cannabinoiden zu führen. Hier gibt es in der Rechtsprechung eine Grauzone, so dass Prof. Flachenecker im Zweifel zum Verzicht rät: entweder auf den Sprühstoß oder auf das Auto.

MS und Corona – Impfungen und mehr

Auch unter Immuntherapie reagiert das Immunsystem auf die Corona-Impfung. Daher die Empfehlung von PD Dr. Buttmann, sich rasch impfen zu lassen, denn schon die erste Impfung schützt vor einem schweren Verlauf. Risiken durch den Astra Zeneca-Impfstoff sieht Dr. Buttmann kaum, er würde sich selbst jederzeit damit impfen lassen. Dem Gerücht, Astra Zeneca mache unfruchtbar, erteilt er eine klare Absage, da keine Evidenz vorliegt. Viel höher schätzt er die Gefahr durch Fake News in sozialen Medien ein. Als seriöse Quelle empfiehlt er das RKI und das Info-Angebot der AMSEL.

AMSEL kann digital – und holt auch weniger Internet-Erfahrene mit ins Boot

„AMSEL kann digital“so das Fazit des Welt MS Tages vom Vorstandsvorsitzenden der AMSEL Adam Michel. Das eng getaktete Programm aus Information, Austausch, Vorträgen und Rahmenprogramm ging professionell und gefühlt leider auch viel zu schnell über die virtuelle Bühne. So lange der Tag mit zusammen rund acht Stunden auch war es hätte noch viel Stoff für weitere Vorträge und den Austausch untereinander gegeben.

Die spontanen Reaktionen der Teilnehmer im Chat bestätigten eine rundum gelungene Veranstaltung. So sagte zum Beispiel Birgit: "Ich war sehr beeindruckt von der Organisation und der Themenvielfalt des Welt-MS-Tages. Aber vor allem wie es die AMSEL Teilnehmern wir mir, die sich überhaupt nicht mit Webinaren oder virtuellen Veranstaltungen auskennen, ermöglicht hat, trotzdem daran teilzunehmen, auch dass man ohne eigenen facebook-account die Vorträge verfolgen konnte."

Wer wollte, konnte den Abend gemeinsam mit anderen auf der virtuellen Insel ausklingen lassen. Hier wurden neue Kontakte geknüpft und alte bis ca. 22.00 Uhr aufgefrischt.

So überaus gelungen die virtuelle Begegnung war, für 2022 bleibt die Hoffnung, dass die AMSEL Community sich endlich wieder persönlich treffen kann, um die Verbindung im direkten Austausch zu stärken.

Einen Vorteil hat die virtuelle Welt der Videokonferenzen und Livestreams aber doch: Die Vorträge lassen sich bequem im Nachgang ansehen. Für alle, die nicht live teilnehmen konnten oder einfach nochmal zum Nachschauen, denn bei so viel geballter Information bleibt nicht alles gleich "hängen".

  • Hier der Mitschnitt auf Facebook zu den Vorträgen abends:
    • Aktuelle und zukünftige Therapiestrategien der MSPD Dr. Markus Krumbholz, Oberarzt, Facharzt für Neurologie, Neuroimmunologische Ambulanz und Studienambulanz, Universitätsklinikum Tübingen
    • Kraftfahreignung und MS - was ist dabei zu beachten?Prof. Dr. Peter Flachenecker, Chefarzt des Neurologischen Rehabilitationszentrums Quellenhof, Bad Wildbad, Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der AMSEL
    • MS und Corona: Impfungen und mehrPD Dr. Mathias Buttmann, Chefarzt der Neurologie am Caritas Krankenkhaus Bad Mergentheim, Ärztlicher Beirat der AMSEL
  • In den kommenden Tagen wird dieser Mitschnittt auch auf www.amsel.de/videozu sehen sein.

AMSEL bedankt sich bei der GKV Gemeinschaftsförderung Baden-Württemberg, die im Rahmen der Selbsthilfeförderung der gesetzlichen Krankenkassen die Patientenaufklärung der AMSEL unterstützt.

Redaktion: AMSEL e.V., 28.05.2021