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"Zytokin-Sturm" in TGN1412-Studie

17.08.06 - Das Zytokin-Release-Syndrom soll für die schweren Nebenwirkungen der Londoner Kleinstudie verantwortlich sein.

Im New England Journal of Medicine haben Londoner Forscher nun Details zu den Arzneimittelreaktionen vom März veröffentlicht, wie das Deutsche Ärzteblatt mitteilt. Vier Probanden der Phase-I-Studie mit dem Antikörper TGN1412 waren bei der Studie beinahe gestorben. Fraglich ist vor allem, warum die schweren Reaktionen in den Tierversuchen nicht auftraten.

Das Zytokin-Release-Syndrom ist auch bei anderen Antikörpern vereinzelte Komplikation bekannt. Nach der Injektion mit TGN1412 "fegte" dagegen ein "Zytokin-Sturm" fegtedurch alle Probanden mit bisher unbekanntem Ausmaß, was Kliniker wie Immunologen gleichermaßen überraschte. Bereits nach einer Stunde war der Tumor-Nekrose-Faktor alpha extrem angestiegen. Dies stimulierte die Bildung der Interleukine 2,6 und 10 und Interferon-gamma. Die umgehende Behandlung mit 200 mg Hyrocortison (aufgeteilt auf mehrere Dosierungen) habe nach Ansicht von Ganesh Suntharalingam vom Northwick Park and St. Mark’s Hospital in London und Mitarbeitern Schlimmeres verhindert, so das Deutsche Ärzteblatt. Bei vier der sechs Patienten normalisierten sich innerhalb von 2 Tagen die Zytokinwerte. Dass der "Zytokin-Sturm" bei zwei Patienten ein bis zwei Tage länger dauerte, könnte den besonders schweren Verlauf bei diesen beiden Patienten erklären. Einer der Patienten erlitt schließlich eine Gangrän an Fingern und Vorderfuß, die wohl zu Amputationen führen wird.

Zunächst kam es bei allen Patienten zu einem systemischen inflammatorischen Response Syndrom (SIRS), einer sepsisartigen Reaktion des Immunsystems aufgrund der Gabe von TGN1412. Eine dramatische Lymphopenie und Monozytopenie überraschte die Mediziner, denn in den vorangegangenen Tierexperimenten hatten sie eher eine leichte Lymphozytose festgestellt. Statt die Zahl der Abwehrzellen zu erhöhen, wie dies von dem "superagonistischen" Antikörper erwartet worden war, wurden diese Zellen offenbar massiv zerstört.

Ein Multiorganversagen setzte ein. Das Lungenversagen war möglicherweise die Folge einer direkten Schädigung der Lunge durch den Antikörper. Dass alle Patienten diese kritische Phase der Erkrankung überlebten, sei sicherlich dem Einsatz der Intensivmediziner der Klinik zu verdanken, wobei einer der Patienten allerdings bis zum 15. Tag beatmet werden musste. Bei ihm bildete sich die schwere Ischämie in den äußeren Gliedmaßen nur teilweise zurück.

 
 
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  Ungeklärt ist bislang, warum der Antikörper TGN1412 im menschlichen Körper völlig andere Wirkungen hatte wie in den tierexperimentellen Studien. Pathologen haben aber zwei Vermutungen. Zum einen würden die Versuchstiere anders als die Probanden unter keimarmen Bedingungen gehalten. Das menschliche Immunsystem, im Laufe des Heranwachsens mit allen möglichen Antigenen konfrontiert, legt hingegen eine Sammlung von Memory-Zellen an. Eventuell wurden diese T-Zellen von dem "superagonistischen" Antikörper aktiviert. Die zweite Erklärung betriffe die Unterschiede im Immunsystem zwischen Mensch und anderen Spezies, so das Deutsche Ärzteblatt. Die Affinität des "humanisierten" Antikörpers TGN1412 mit dem CD28-Rezeptor könnte beim Menschen wesentlich höher sei als bei der Maus und anderen Versuchstieren. Normalerweise eignen sich Mäuse deshalb so gut, weil ihr Immunsystem dem des Menschen nahe kommt, wie Prof. Burkhard Becher der Onlineredaktion in einem anderen Kontext erklärte (siehe Bericht).

Quelle: Deutsches Ärzteblatt

Redaktion: AMSEL e.V., 04.09.2006