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Therapeutische Höhepunkte vom ECTRIMS/ACTRIMS-Kongress 2017 (Teil 2)

Vom 25.-28.10.2017 fand in Paris der alljährliche weltgrößte Spezialkongress für Multiple Sklerose statt. Wie im letzten Jahr berichtet wieder Privatdozent Dr. Mathias Buttmann vom MS-Schwerpunktzentrum am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim darüber. Im zweiten Teil geht es um Phase-3-Ergebnisse zu Ozanimod, das von Dr. Buttmann mit Fingolimod verglichen wird.

Bleiben wir noch bei den S1P-Rezeptor-Modulatoren, zu denen auch das in Teil 1 besprochene Fingolimod gehört. SUNBEAM und RADIANCE sind zwei große Phase-3-Studien mit insgesamt über 2.600 eingeschlossenen Erwachsenen mit schubförmiger MS. In beiden Studien wurde eine Behandlung mit Ozanimod, das ebenfalls geschluckt wird, mit intramuskulärem Interferon-beta1a verglichen. Während Fingolimod an vier von fünf bekannten S1P-Rezeptoren bindet, sind es bei Ozanimod ähnlich wie bei Siponimod, das ich letztes Jahr vorgestellt habe , nur die S1P-Rezeptoren 1 und 5. Eine der in Tierversuchen gewonnenen Ideen zur Entwicklung dieses Medikaments war es, unter Fingolimod zu beobachtende unerwünschte Auswirkungen auf das Herz durch Bindung an weniger Rezeptoren zu vermeiden und dabei gleichzeitig die gute Wirksamkeit zu erhalten.

Ozanimod zeigte sich sowohl in SUNBEAM als auch in RADIANCE in der höheren getesteten Dosis von 1 mg pro Tag bei der schubförmigen MS tatsächlich ähnlich gut wirksam wie Fingolimod. Ein Zusatznutzen gegenüber dem Interferon hinsichtlich des Risikos einer bleibenden Behinderung, was ein sekundärer Endpunkt war, konnte in einer gepoolten Analyse beider Studien über zwei Jahre gegenüber der aktiven Vergleichssubstanz allerdings nicht gezeigt werden. Das lag wahrscheinlich unter anderem daran, dass zum Glück auch nur jeder zehnte Interferon-Behandelte in diesen Studien ein bestätigtes Fortschreiten der Behinderung erlitt. Nur bei vier Patienten sank bei der Eindosierung von Ozanimod die Herzfrequenz vorübergehend unter 45 Schläge pro Minute, und es wurde kein AV-Block, also keine Störung der elektrischen Reizleitung im Herz, beobachtet.

Langsame Eindosierung

Bei Fingolimod rücken durch einen Rote-Hand-Brief vom 6.11.2017 mögliche Herz-Nebenwirkungen nun wieder verstärkt in den Fokus. Die bisherigen Warnungen der Fachinformation vor einer Anwendung bei verschiedenen Herzerkrankungen werden darin verstärkt, auch wird in dem Brief über einzelne Todesfälle durch Herzrhythmusstörungen unter Fingolimod berichtet. Wichtig: Wer ein gesundes Herz hat und Fingolimod einnimmt, muss sich auch weiterhin keine Sorgen machen. Nur bei einer Vorerkrankung des Herzens sollte die Indikation noch sorgfältiger als bereits bisher empfohlen geprüft werden.

Das positive Herz-Studienergebnis mit Ozanimod war aber wohl in erster Linie nicht dem etwas anderen Wirkmechanismus, sondern der langsamen Eindosierung des Medikaments über eine Woche geschuldet. Inzwischen geht man nämlich davon aus, dass beim Menschen anders als bei der Maus der gleiche Rezeptor, der für die immunologische Hauptwirkung verantwortlich ist, auch die Herzfrequenz reguliert. In den Ozanimod-Studien gab es zudem in Kenntnis des Nebenwirkungsprofils von Fingolimod ausgesprochen strenge Ausschlusskriterien, was Herzerkrankungen betrifft. Immerhin könnte allerdings mit der langsamen Eindosierung von Ozanimod vielleicht die Überwachung der Herzfrequenz zu Therapiebeginn wegfallen, die an Fingolimod unbequem ist. Ein weiterer Vorteil von Ozanimod könnte sein, dass Leberwerterhöhungen insgesamt etwas seltener als in den Fingolimod-Studien beobachtet wurden.

Therapieempfehlungen genau folgen

In dem aktuellen Rote-Hand-Brief zu Fingolimod wird außerdem erwähnt, dass die Warnungen und Vorsichtsmaßnahmen zum immunsuppressiven Effekt von Fingolimod, der möglicherweise – wir sprechen also nicht über gesicherte Zusammenhänge – zu schwerwiegenden Infektionen und Krebs führe, angepasst werden. Diese Punkte würden Ozanimod aufgrund eines ähnlichen immundämpfenden Effekts sicherlich genauso betreffen. Die Zulassung von Ozanimod für die schubförmige MS wird jetzt sicherlich bald beantragt werden.

Einen sinnvollen Einsatz des sehr gut wirksamen Medikaments könnte ich mir in der Nutzen-Risiko-Abwägung ebenso wie mit Fingolimod vor allem bei aktiven Verlaufsformen der schubförmigen MS vorstellen. Der aktuelle Rote-Hand-Brief zu Fingolimod mag manche erschrecken, jedoch ist das allermeiste darin schon länger bekannt. Fingolimod bleibt ein in meiner inzwischen vierzehnjährigen praktischen Erfahrung nicht nur sehr gut wirksames, sondern auch gut verträgliches und sicheres Medikament – wenn den Therapieempfehlungen genau gefolgt wird. Und bei Ozanimod wird es nach den bisherigen Daten ähnlich und vielleicht sogar noch eine Spur besser sein, wenn auch hier noch die langjährige Erfahrung fehlt.

Autor: PD Dr. med. Mathias Buttmann

Redaktion: AMSEL e.V., 15.11.2017