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Stammzelltherapie bei hochaktiver MS im Vergleich

Eine spezielle Form der Stammzelltherapie zeigte sich in einer multizentrischen Studie gegenüber anderen Therapien überlegen. Zum Standardverfahren bei (hochaktiver) Multipler Sklerose wird sie deshalb dennoch nicht.

Besteht bei einem Patienten Lebensgefahr, wie etwa bei Leukämie, dann kommen riskante Verfahren wie eine hämatopoetische Stammzelltherapie in Betracht, vor allem dann, wenn es keine Alternativen gibt. Beides ist bei Multipler Sklerose nicht der Fall: Es besteht keine akute Lebensgefahr und mit weit über zehn krankheitsmodifizierenden Wirkstoffen gibt es reichlich Therapieoptionen. Außerdem kann auch eine Stammzelltherapie die MS nicht heilen, wohl jedoch sehr stark und/oder sehr lange eindämmen.

In Deutschland wie in vielen anderen Ländern sind Stammzelltherapien bei Multipler Sklerose nur innerhalb von Studien zugelassen, und unterliegen dann noch recht rigiden Voraussetzungen, unter anderem sehr hohe Krankheitsaktivität und schubförmiger Verlauf.

Hohes Risiko

Es ist verständlich, dass Patienten mit MS gern selbst entscheiden möchten, welches Risiko sie auf sich nehmen. Sei es aus der Hoffnung heraus, mit einer Stammzelltherapie die MS doch noch "für immer" zu stoppen oder auch drohende Behinderungen so weit als möglich aufzuschieben. Manche Patienten gehen ins Ausland, etwa nach Russland, wo sie sich auf eigene Kosten einer solchen Stammzelltherapie unterziehen. Meist mit nur kurzer Nachbeobachtungszeit.

Die autologe hämatopoetische Stammzelltherapie ist momentan die potenteste Dämpfung des Immunsystems. Prof. Christoph Heesen erklärt im MS.TV-Video über Stammzelltherapie bei MS aber auch, dass sie zwar die entzündlichen Reaktionen sehr stark beeinflussen kann, nicht jedoch degenerative Abbauprozesse. Die Stammzelltherapie ist keine Heilung von der Multiplen Sklerose, sondern dämpft das Immunsystem und damit die entzündlichen Prozesse sehr stark. Mit dem Ausschalten des Immunsystems, bevor die eigenen gereinigten Stammzellen dem Patienten zurückgegeben werden, sind sehr hohe Risiken verbunden - bis hin zum Tod. Würde der Patient direkt nach der Chemo entlassen, würde er am nächsten Infekt sterben. Zwar erholt sich ein Teil des Immunsystems relativ schnell nach Rückgabe der Zellen. Noch bis zu einem Jahr nach der Therapie sollte man daher Infektionsrisiken wie größere Menschenansammlungen meiden.

Stammzelltherapie mit geringerem Risiko?

Am besten wäre also eine Stammzelltherapie ohne Risiko. Oder wenigstens mit minimiertem Risiko. Hier kommt die nicht-myeloablative Stammzelltherapie ins Spiel, die in der vorliegenden multizentrischen Vergleichsstudie verwendet wurde. Auch diese Stammzelltherapie zählt zu den autonomen hämatopoetischen Stammzelltherapien. Allerdings nach einer nicht-myleoablativen Konditionierung, welche die Stammzellen im Knochenmark nur teilweise zerstört. Dadurch wirkt sie weniger toxisch und die Patienten erholen sich schneller, sind also weniger lang "ungeschützt" vom eigenen Immunsystem Infekten ausgeliefert.

In der aktuellen Studie an Zentren in Chicago, Sao Paulo, Sheffield und Uppsala kam es weder zu Todesfällen noch zu schweren Nebenwirkungen wie Herzinfarkt, Sepsis oder Organversagen. Insgesamt 110 Patienten mit hochaktiver, schubförmiger MS, 37 Männer und 73 Frauen im Durschnittsalter von 36 und einem EDSS-Wert zwischen 2 und 6, mit mindestens 2 Schüben in den vergangenen 12 Monaten trotz Therapie wurden randomisiert zwei Armen zugeordnet:

Der erste Arm, 55 Teilnehmer, nahm einen stärkeren krankheitsmodifizierenden Wirkstoff als bisher ein oder einen aus einer anderen Klasse (laut ClinicalTrials.gov nur: Interferon beta, Glatirameracetat, Teriflunomide, Natalizumab, Fingolimod oder Tysabri - Ocrelizumab war noch nicht zugelassen und Alemtuzumab dem Deutschen Ärzteblatt zufolge deshalb nicht mit einbezogen, da es zu anhaltenden Lymphozytopenie führen kann und damit den Umstieg auf das Stammzellverfahren behindert). Der zweite Studienarm, ebenfalls 55 Probanden, erhielt (nach dem Zufallsprinzip ermittelt, aber selbstredend nicht verblindet) von Anfang an die nicht-myleoablative Stammzelltherapie.

Verbesserter EDSS-Wert

Die Stammzelltherapie zeigte sich (erwartungsgemäß) den zugelassenen krankheitsmodifizierenden Therapien gegenüber deutlich überlegen, wobei man diese Studie nicht mit verblindeten Vergleichsstudien gleichstellen kann. Kam es während des Beobachtungszeitraumes (durchschnittlich 2,8 Jahre) in der Stammzellgruppe nur bei 3 von 55 Patienten zu einer MS-Progression, so verschlechterte sich die MS in der Wirkstoffgruppe bei 34 von 55 Patienten. MS-Progression war hier definiert als 1 Punkt auf der EDSS-Skala (die von 0 Beschwerden bis 10 für Tod reicht). Der EDSS-Wert in der Stammzellgruppe verbesserte sich sogar durschnittlich um 1,02 Punkte nach einem Jahr, während  er in der Wirkstoffgruppe um durchschnittlich 0,67 Punkte abnahm. Das ist also eine Differenz von 1,7 Punkten auf der EDSS-Skala.

Interessant ist an der Studie neben der speziellen (und zumindest in diesem Rahmen nebenwirkungsärmeren) Stammzelltherapie der Vergleich mit bei MS zugelassenen Wirkstoffen, wobei einige der stärkeren Wirkstoffe nicht verglichen wurden. Die Autoren unterstreichen, dass weitere Forschung auf dem Gebiet notwendig sei, um die Ergebnisse zu bestätigen und die Langzeitfolgen zu untersuchen.

Quelle: JAMA, 15.01.2019; Deutsches Ärzteblatt, 16.01.2019; ClinicalTrials.gov; 30.01.2019; Videointerview Stammzelltherapie, MS.TV, 12.01.2018.

Redaktion: AMSEL e.V., 01.02.2019