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Sobek-Forschungspreise 2015: Multiple Sklerose im Rampenlicht

Mit der 16. Sobek-Preisverleihung ging am 11. Dezember eines der Highlights unter den Stuttgarter Veranstaltungen zu Multipler Sklerose über die Bühne: 340 Gäste kamen ins Neue Schloss und lauschten den Vorträgen der Preisträger.

Gleich 3 Neurologen zeichnete die Roman, Marga und Mareille Sobek-Stiftung in diesem Jahr für ihre herausragenden wissenschaftlichen Leistungen in der Multiple-Sklerose-Forschung aus. Der Sobek-Forschungspreis, mit 100.000 Euro der europaweit höchst-dotierte Preis für MS-Grundlagenforschung, ging an Prof. Dr. Heinz Wiendl vom Universitätsklinikum Münster. Den Sobek-Nachwuchspreis mit insgesamt 15.000 Euro Preisgeld teilten sich Prof. Dr. Christian Geis vom Universitätsklinikum Jena sowie Dr. Clemens Warnke vom Universitätsklinikum Düsseldorf.

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Die Sobek-Forschungpreise 2015 gingen an drei Wissenschaftler aus Münster, Jena und Düsseldorf. 340 Gäste waren bei der Feier im Neuen Schloss in Stuttgart dabei.

Prof. Jost Goller lobte in seiner Begrüßung den wissenschaftlichen Beirat der Sobek-Stiftung. 2004 war es nämlich Prof. Heinz Wiendl, der den Nachwuchspreis der Sobek-Stiftung erhielt. Ziel des Nachwuchspreises ist es, junge Forscher für die Multiple Sklerose zu interessieren. Das muss im Fall von Prof. Heinz Wiendl gelungen sein, denn nun, 11 Jahre später, steht er auf der gleichen Bühne in Weißen Saal des Stuttgarter Neuen Schlosses, um den Hauptpreis entgegenzunehmen.

Staatssekretär Jürgen Walter vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst hob hervor, dass die Verleihung des Sobek-Forschungspreises im Wissenschaftskalender des Landes ein wichtiges Ereignis sei. Er stehe für außerordentliches Engagement in der MS-Forschung in finanzieller wie in persönlicher Hinsicht. Der Staatssekretär erwähnte außerdem, dass der diesjährige Hauptpreisträger Prof. Heinz Wiendl seinen Nachwuchspreis 2004 zu seiner Tübinger Zeit erhalten hatte, was ihn ganz besonders freue, da es den Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg hervorhebe.

"Wie das Immunsystem mit dem Nervensystem spricht: vom Verständnis zur Therapie"

Es sei der "Traum eines jeden Wissenschaftlers", vom Labor zu Patientenbett zu kommen, die Theorie also auch anwenden zu können, so Prof. Heinz Wiendl in seinem Vortrag. Sehr anschaulich verglich er die Vorgänge im ZNS mit dem Fußball. Konnte Götze sein WM-Tor schießen, weil er Götze ist, oder weil die Mannschaft sich verändert hat, in dem Moment, in dem er eingewechselt wurde ? Ebenso muss man sich fragen, ob die einzelnen Zelltypen sich wie Mannschafts- oder Einzelspieler verhalten. Wiendl verficht die Mannschaftstheorie, nicht ohne einen kleinen Seitenhieb auf die Stuttgarter Gäste: Würde Messi beim VfB spielen, so würde es wahrscheinlich trotzdem nicht reichen für die Championsleague, stichelte der Neurologe aus Münster und brachte damit den Saal zum Lachen.

Besonders erforscht hat der 47-jährige gebürtige Oberpfälzer den monoklonalen Antikörper Natalizumab. Anhand dessen Entwicklung lässt sich auch sehr anschaulich zeigen, was ein Wissenschaftler meint, wenn er sagt, dass ihn seine Forschung vom Labor zum Patientenbett und - in diesem Fall - wieder ins Labor zurückführt. Natalizumab kann Zellen davon abhalten ins ZNS einzuwandern. Das macht es sehr gut, aber nicht vollständig, denn viele Zelltypen werden mit Natalizumab vom Einwandern ins ZNS abgehalten, nicht jedoch die "bösen" Th17 Zellen.

Um eine PML zu vermeiden, wäre es schön, man könnte diejenigen Patienten erkennen, die in Gefahr sind. Dafür bräuchte man einen Biomarker. Um solche Biomarker ausfindig zu machen, sind Biobanken sehr wichtig. So haben zum Beispiel Patienten mit niedrigen CD62L Werten (das ist ein Oberflächenmolekül) ein hohes Risiko, eine PML zu entwickeln. Und so schließt sich der Kreis: Vom Labor, wo Wirkstoffe gegen Multiple Sklerose getestet werden über ihren Einsatz wie das Feedback aus Patientenkohorten, was eventuelle Nebenwirkungen betrifft, und wieder zurück ins Labor, wo man lernt, die Nebenwirkungen zu vermeiden, um sie dann wieder den Patienten zu bringen.

Neuromyelitis optica (NMO)

Prof. Christian Geis, der mit gerade mal 35 Jahren in Jena habilitierte, beschäftigt sich mit der Erforschung von Autoantikörpern im ZNS. Deren Entdeckung nahm seit 2007 rasant zu. Hat ein Mensch Autoantikörper gegen Aquaporin 4, das ist ein Wasserkanal auf Astrozyten, dann spricht dies für eine Neuromyelitis optica (NMO). Diese Erkrankung galt früher als "optico-spinale" Form der Multiplen Sklerose. Inzwischen weiß man, dass es sich dabei um eine eigenständige Erkrankung handelt. Im Unterschied zur MS wird sie allein von diesen Autoantikörpern getriggert.

Auch bei der Multiplen Sklerose könnten Autoantikörper eine Rolle spielen. Hier verhalte es sich jedoch "viel komplexer", wie Prof. Geis im Gespräch mit der AMSEL-Onlineredaktion beipflichtete. Er plane dennoch Untersuchungen zu Autoantikörpern und Multipler Sklerose.

Jenseits des "Immun-Gens"

Unter anderem um Antikörper ging es auch in Dr. Clemens Warnkes Vortrag. Der Düsseldorfer Neurologe referierte über die richtige Balance in der Multiple-Sklerose-Therapie. Die Antikörperantwort gegenüber dem (potenziell eine PML auslösenden) JC-Virus sei durch bestimmte Gene des Individuums stark reguliert. Erwartungsgemäß liegen die Fälle hier hauptsächlich auf dem Chromosom 6, dem "Immungen". "Wir wollen in Zukunft mit größeren Kohorten auch außerhalb der bekannten Immungene Patienten finden, die ein besonders hohes PML-Risiko haben", so der 36-jährige Forscher.

Um eine PML schnell erkennen zu können, untersucht man heute die Antikörperantwort im Liquor. Ziel ist es jedoch, eine Risikoabschätzung noch vor dem PML-Ausbruch und möglichst einfach geben zu können. Hier wären Bluttests wünschenswert, eventuell auch genetische Untersuchungen.

Biomarker für Remyelinisierung

Gute Tradition bei der Verleihung der aktuellen Sobek-Forschungspreise ist es, dass frühere Preisträger berichten, wie sie das Geld der Sobek-Stiftung verwendet haben. In diesem Jahr war Prof. Catherine Lubetzki aus Paris an der Reihe, die 5 Jahre zuvor den Sobek-Forschungspreis erhalten hatte und die bekräftigte, welch "große Ehre und welch großes Privileg" es für sie sei, erneut hier in Stuttgart sprechen zu dürfen.

Lubetzki widmete sich weiter den demyelinisierenden Aspekten der MS und darin besonders den Ranvier'schen Schnürringen, benannt nach ihrem Entdecker Anatomen Louis-Antoine Ranvier, ebenfalls Franzose, einer Art regelmäßiger Einkerbungen an der ummantelten Nervenfaser. Ohne Myelin fehlt es einer Nervenfaser auch an Ranvier'schen Schnürringen. Diese Ringe sind wie Zwischenziele auf der Strecke von A nach B. Mit ihnen ist ein Nervenimpuls ca. 50 Mal schneller als ohne. Auf den Ringen wiederum sitzen Natriumkanäle.

Interessant ist dabei, dass im Rahmen einer teilweisen Re-Myelinisierung mikroskopisch nur die Natriumkanäle zu entdecken sind. Einer vollständigen Remyelinisierung, wenn also der Nerv wieder vollständig von Myelin ummantelt ist, geht hingegen immer die Einrichtung von Ranvier'schen Schnürringen voraus. Keine Remyelinisierung ohne diese Ringe. Sie können also als Marker für eine vollständige Remyelinisierung - bzw. ihr Ausbleiben als Marker für eine teilweise Remyelinisierung - dienen. Solche Marker sind nicht zuletzt wichtig, um den Erfolg von Therapeutika zu messen, welche die Remyeliniserung bei Multipler Sklerose ankurbeln.

Die Pianistin Fumiko Shiraga sorgte mit Werken von Bach, Schubert und Tschaikowsky im Weißen Saal des Neuen Schlosses für das passende musikalische Ambiente zu der feierlichen Preisverleihung.

Redaktion: AMSEL e.V., 16.12.2015