Spenden und Helfen

Näher an der Ursache der Multiplen Sklerose - ein Meilenstein

Deutsche Neuroimmunologen entdecken schlecht arbeitende NK-Zellen als Ursache, warum T-Zellen ungehindert das Immunsystem angreifen können. Im noch nicht zugelassenen Wirkstoff Daclizumab sehen sie ein geeignetes Gegenmittel.

Was genau läuft im Körper bei der Multiplen Sklerose (MS) falsch ? Und was kann man dagegen tun ? Dies zeigen Neuroimmunologen und Neuropathologen aus Münster und München, wie sie nun berichten.

 

 

Prof. Heinz Wiendl, rechts im Bild, erhielt den Sobek-Forschungspreis 2015 im Neuen Schloss in Stuttgart, hier mit Staatssekretär Jürgen Walter vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst.

Die beteiligten Forscher sprechen von einem Meilenstein: Neuroimmunologen und Neuropathologen der Universitäten Münster und München haben entdeckt, was genau im Körper bei der Multiplen Sklerose falsch läuft: Zellen des angeborenen Immunsystems - die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) - erfüllen bei MS ihre Schutzfunktion nicht mehr. Sie können Effektor-T-Zellen – das sind die Zellen, die bei der Krankheit im Körper Schaden anrichten - nicht ausreichend in Schach halten.

IL-2-Rezeptor hemmen, Multiple Sklerose in Schach halten ?

Zugleich zeigen die Neurowissenschaftler eine Therapie für die schubförmige MS, die geradezu maßgeschneidert sei, um das Defizit zu beheben: die Blockade des Interleukin-2-Rezeptors. Der dafür einsetzbare Wirkstoff Daclizumab wurde kürzlich von der EU-Arzneimittelbehörde EMA zur Zulassung empfohlen - Patienten können ihn also möglicherweise schon bald als Therapie verwenden.

Die Wirkung des neuen Medikaments wurde - auch unter Beteiligung der Münsteraner Neuroimmunologen - bereits in Studien nachgewiesen. Ihre Ergebnisse – erzielt im Sonderforschungsbereich TR-128 "Multiple Sklerose" – sind nachzulesen in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences".

Vergleich mit Verkehrskontrolle

Ein gesundes Immunsystem funktioniert wie eine effiziente Verkehrskontrolle. Die Raser – hier: autoreaktive T-Lymphozyten - werden herausgefischt und bestraft. Andererseits reicht allein die Drohung mit den "Knöllchen", damit die meisten der Fahrer den Fuß vom Gas nehmen. So werden potenzielle Gefährder in Schach gehalten. Bei der Multiplen Sklerose jedoch ist diese Kontrolle gestört: Autoreaktive T-Zellen überqueren ungehindert die Blut-Hirn-Schranke in das Gehirn und greifen dort die Schutzschicht der Nervenzellen, das Myelin an. Um im Bild zu bleiben: Die Raser werden nicht gestoppt und verursachen schwere Unfälle.

Molekularer Mechanismus entschlüsselt: So schützen NK-Zellen das Immunsystem

Die Projektleiter Dr. Catharina Groß und Prof. Heinz Wiendl von der münsterschen Uniklinik für Allgemeine Neurologie zeigten: Zellen des angeborenen Immunsystems – die NK-Zellen – tragen bei gesunden Menschen entscheidend dazu bei, gefährliche autoreaktive T-Zellen in Schach zu halten. Die Forscher entschlüsselten zudem den genauen molekularen Mechanismus, mit dem NK-Zellen das Immunsystem schützen. Außerdem fanden sie heraus, dass bei der MS nicht nur die Überwachungsmechanismen des Immunsystems versagen: Zusätzlich nutzen die schädlichen T-Zellen nämlich Tricks, um der Kontrolle der natürlichen Killerzellen zu entgehen - etwa so, als würden Verkehrssünder ihre Nummernschilder abschrauben, um nicht identifiziert zu werden.

Die Wissenschaftler belegten aber auch: Mit dem monoklonalen Antikörper gegen den Interleukin-2-Rezeptor (Daclizumab) gibt es einen vielversprechenden Wirkstoff, der die immunregulatorische Funktion des NK-Zellen stärken kann – eine Unterstützung für die Verkehrskontrolle sozusagen. "Wir konnten zeigen, dass Daclizumab nicht nur die positive immunregulatorische Funktion der natürlichen Killerzellen verstärkt", sagt Dr. Groß, deren Arbeit von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert wurde.

Daclizumab verbessert die "Verkehrskontrolle" wieder

Zusammen mit den Kollegen untersuchte sie unter anderem auch Blut von Patienten mit Multipler Sklerose, die bereits mit dem neuen Präparat behandelt wurden. Der Wirkstoff führe dazu, dass die schädlichen T-Zellen wieder empfänglicher für die Regulation durch NK-Zellen seien. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat nach erfolgreichen Phase-II- und Phase–III-Studien bei MS-Patienten das Präparat Ende April zur Zulassung empfohlen.

Für Forschungserfolge wie diese brauche es nicht nur das Wissen der Neuroimmunologen aus Westfalen, betont Projekt- und Arbeitsgruppenleiter Wiendl. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Neurowissenschaftlern Prof. Reinhard Hohlfeld und Priv.-Doz. Dr. Klaus Dornmair von der Universität München sowie Prof. Tanja Kuhlmann aus der münsterschen Neuropathologie habe das Projekt vorangetrieben. Alle Genannten kooperieren innerhalb des Sonderforschungsbereiches TR-128 "Multiple Sklerose" der DFG. Dessen klinische Translationsplattform stellte auch die notwendigen Blut- und Nervenwasserproben von Patienten für Analysen zur Verfügung.

Die Forscher sind optimistisch. Die Entschlüsselung des Mechanismus' ist ein entscheidender Schritt. Zugleich mit Daclizumab auf eine passende Therapieoption zu verweisen, ist mehr als erstrebenswert im Sinne des Patientenwohls. Allerdings sei auch hingewiesen auf das - laut bisherigen Studienergebnissen - gegenüber Interferonen sowohl erhöhte Wirkungs- als auch Nebenwirkungsrisiko der 4-Wochen-Spritze Daclizumab HYP wie der Infusion von Daclizumab (AMSEL.DE hatte 2015 darüber berichtet).

Quelle: Pressemeldung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 12.05.2016

Redaktion: AMSEL e.V., 17.05.2016