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Nachgehakt: Lenkmoleküle bei Multipler Sklerose

Forscher der Charité in Berlin fanden einen neuen Ansatz zur Entzündungbekämpfung. Die AMSEL-Onlineredaktion hat nachgehakt, ob der auch bei MS eine Rolle spielt.

Im Fokus dieses neuen Ansatzes unter Federführung von Prof. Dr. Jan Schwab stehen sogenannte "Lenkmoleküle", welche die körpereigene Immunabwehr auf das benötigte Maß reduzieren und so eine übermäßige und schädliche Entzündung verhindern. Mögliche Anwendungsfelder sind Therapien bei Entzündungsreaktionen wie Blutvergiftungen, aber auch bei chronischen und immunologischen Entzündungen wie Rheuma und Organabstoßungen. Und ebenso die entzündlichen Reaktionen bei einer Multiplen Sklerose, wie die AMSEL-Onlineredaktion von Prof. Schwab erfuhr.

Nervenfasern den Weg weisen

Zwei Arten von Lenkmolekülen, anziehende und abstoßende, dirigieren das Wachstum von Nervenzellen hin zum eigentlichen Ziel. Die Bezeichnung dieser Moleküle ("Lenk"moleküle) beschreibt auch die ausschließliche Funktion, die ihnen bislang zugemessen wurde, nämlich den wachsenden Nervenfasern den Weg zu weisen. Der grundlegend neue Ansatz der Forschung von Prof. Dr. Schwab und seinem Team am Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) liegt in der Erkenntnis, dass diese Lenkmoleküle eine weitere, bislang unerkannte Funktion in der Immunabwehr haben.

Das Problem bei den sogenannten "übersteigerten" Entzündungsreaktionen des Körpers besteht darin, dass die Immunabwehr überreagiert und so die eigentliche Entzündung verschlimmert. Hier stellen sich nun die abstoßenden Lenkmoleküle den körpereigenen Abwehrmolekülen (Leukozyten) in den Weg und verhindern so, dass eine Entzündung außer Kontrolle gerät oder chronisch wird. Die Forschungsarbeit ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences publiziert.

Sanfter Therapieansatz?

Der neue Therapieansatz stellt möglicherweise eine sanftere, da spezifischere Alternative zu den orthodoxen Ansätzen der Entzündungsbekämpfung wie Cortison dar, da dessen unspezifische Wirkung ebenfalls mit vielen Nebenwirkungen assoziiert ist und ein Problem für viele Patienten darstellt. Prof. Dr. Schwab zeigt sich optimistisch, dass aus seiner Forschung eine neue, wirksame Therapie erwachsen könnte, die wegen ihres grundlegend neuen Verständnisses dieses bedeutenden Teilaspekts der Immunabwehr eine Anwendung in der Bekämpfung von übersteigerten Entzündungsreaktionen finden kann.

Nachgehakt: Die AMSEL-Onlineredaktion will es genau wissen:

Herr Prof. Schwab, könnten Ihre Forschungsergebnisse auch für das Verständnis der Multiplen Sklerose von Nutzen sein oder Basis für neue Therapieansätze auf diesem Gebiet liefern?

Prof. Dr. Jan Schwab: Tatsächlich können "Lenkmoleküle" Entzündungsreaktionen steuern. Wir konnten mittels dem von Friedrich Bonhoeffer postuliertem und später identifiziertem Molekül RGM-A eben genau dieses zeigen. Unsere Arbeiten untersuchten die akute Entzündungsantwort. Tatsächlich konnte jedoch auch eine Relevanz für die chronische ZNS Entzündung, genauer der MS nachgewiesen werden. Mit Hilfe eines großen schwedischen MS Patientenregisters wurde von Kollegen aus dem Karolinska Institut gezeigt, dass Menschen mit einer genetischen Mutation (sog. "single nucleotide polymorphysms", SNPs) in diesem Bereich ein erhöhtes Risiko haben an einer MS zu erkranken (Nohra et al., 2010; Genes & Immunity, 11, 279-93).

Und sind Lenkmoleküle eigentlich das Gleiche wie regulatorische T-Zellen (AMSEL.DE hat berichtet), oder wie unterscheiden sie sich von diesen?

Prof. Dr. Jan Schwab: Nein, Lenkmoleküle sind keine Zellen - sondern den Entzündungsverkehr mit steuernde "Botenstoffe" in deren Umgebung, die überdies einen Einfluss auf die Zellteilung aber auch deren Aktivierung haben - also eine "Zytokin"-ähnliche Wirkung ausüben.

Die eventuell resultierenden Therapieansätze, wären diese im Rahmen der MS-Behandlung eher als Ersatz für die Cortisonstoßtherapie zu betrachten oder wären sie möglicherweise, alles Zukunftsmusik heute, das ist schon klar, sogar immunprophylaktisch wirksam?

Prof. Dr. Jan Schwab: Lenkmoleküle sind eine Art Stellwerk für den Leukozytenverkehr und damit eine interessante Schnittstelle zwischen dem Nerven und Immunsystem. Diese birgt die Perspektive, neue Schalter für künftige Interventionsstrategien zu identifizieren. Tatsächlich könnte ein defektes Stellwerk (Mutationen in den Genbereichen einzelner Lenkmoleküle) das Risiko eine MS zu erleiden mit bestimmen und bietet damit auch neue Ansätze zur Entstehung der MS (siehe oben). Überdies ist das Lenkmolekül RGM-A im Myelin lokalisiert, einem Hauptangriffspunkt der MS. Aktuell konnte eine japanische Gruppe gar zeigen, dass der Einsatz von RGM-A Antikörpern in einem MS-Tiermodell (EAE) diese abschwächen und verzögern kann (Muramatsu et al., 2011, Nature Medicine, 17, 488-94). Diese Art der Forschung steht noch in einem sehr frühen Stadium und soll neue Hypothesen für das Verständnis sowie abgeleiteten möglichen Interventionsansätzen generieren. Eine klinische Anwendung sehe ich derzeit jedoch noch nicht.

Quelle: Pressemitteilung der Charité; Interview AMSEL.DE mit Prof. Jan Schwab, April 2011

Redaktion: AMSEL e.V., 13.04.2011