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Nachgehakt: Alemtuzumab contra Beta-1a-Interferon bei sehr früher MS

12.11.08 - Die jüngste Veröffentlichung zu Phase-II-Studienergebnissen im New England Journal of Medicine spülte längst bekannte Studienergebnisse wieder an die Nachrichtenoberfläche. Die AMSEL-Onlineredaktion sprach mit PD Dr. Peter Flachenecker über das Krebsmittel und sein Potenzial bei MS.

Bereits im September 2006 lagen positive Ergebnisse aus einer Phase II-Studie mit Alemtuzumab vor. Bis zu 80 Prozent Schubreduktion bewirkt das Leukämiemittel bei MS-Patienten dieser Studie zufolge. Die Neu-Veröffentlichung in der jüngsten Ausgabe des New England Journal of Medicine lässt manche Journalisten sogar vom "Stopp" der Krankheit sprechen. Das scheint jedoch zu optimistisch.

Ähnlich wie andere monoklonale Antikörper zeigt dieser Stoff zwar beeindruckende Wirkung und übertrifft damit herkömmliche Basistherapie-Erfolge. Sogar von einer teilweisen Rückgängigmachung bereits entstandener Behinderungen bei einzelnen Patienten ist die Rede. Auch PD Dr. Peter Flachenecker ist davon beeindruckt. Doch sollte man die Studienergebnisse vor ihrem ganzen Hintergrund betrachten, so der Chefarzt des Quellenhofs in Bad Wildbad.

Dazu gehört der Umstand, dass die besprochene Phase II-Studie Beta-1a-Interferon mit Alemtuzumab verglichen hat, allerdings nur bei MS-Patienten mit schubförmigem Verlauf in einer sehr frühen Krankheitsphase (weniger als 3 Jahre) und mit einem maximalen EDSS-Score von 3. Das heißt, alle Patienten waren wenig eingeschränkt, waren gehfähig. Für den progredienten Verlauf gibt es keine Ergebnisse, noch für bereits schwerer Betroffene.

Man könne die MS den Studienergebnissen 2006 zufolge zwar fast stoppen, doch die Frage sei, zu welchem Preis: Wichtig scheint in diesem Zusammenhang das Nebenwirkungsprofil zu sein. Der Antikörper senkt die Blutplättchen, es kann zu einer Blutungsneigung kommen, drei Patienten sind daran erkrankt, einer starb an den Folgen. Und: Knapp ein Viertel der Patienten erlitt eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung, die Therapie kann also möglicherweise andere autoimmune Phänomene induzieren. Außerdem liegen keine Langzeitdaten für MS-Patienten vor. Von Vorteil sei wiederum, dass die Infusion nur einmal jährlich erfolgt (im ersten Jahr an fünf aufeinander folgenden Tagen, im zweiten an drei Tagen). Wie oft man diese Prozedur womöglich wiederholen müsste und ob dies auf Dauer zu riskieren wäre, stehe allerdings nicht fest.

Alemtuzumab richtet sich sowohl gegen T- wie gegen B-Zellen, was zum einen sein Potenzial ausmacht, zum andern jedoch auch sein Risiko: Das Immunsystem wird stark eingeschränkt, der Patient möglicherweise anfälliger für Infekte. Auch eine PML (drei Natalizumab-Patienten waren daran erkrankt) sei nicht auszuschließen, so der Neurologe, und möglicherweise nur aufgrund der geringen Fallzahlen der bisher eingeschlossenen Patienten nicht aufgetreten.

Zu vermuten bleibt, dass Alemtuzumab aufgrund des Risikos ähnlich Natalizumab (Tysabri) nur mit Einschränkungen zugelassen wird, in besonders aggressiven Fällen etwa. Für die Breite der MS-Betroffenen kommt es wohl kaum in Frage.

Während man bei einer tödlichen Krankheit wie Leukämie ein solch extremes, wenngleich sehr seltenes Risiko eingeht, weil die Patienten ohne Therapie sicher an ihrer Krankheit sterben würden, müssen Ärzte und Patienten im Fall von Multipler Sklerose Nutzen und Risiko anders abwägen.

Nichts desto Trotz: Alemtuzumab sei der spannendste Wirkstoff gleich nach den oralen, die bald kommen werden, so PD Dr. Peter Flachenecker gegenüber der AMSEL-Onlineredaktion.

Redaktion: AMSEL e.V., 13.11.2008