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Multiple Sklerose: Gewebe schon vor Läsion geschädigt

Ein niederländisch-deutsches Forscherteam hat Gewebeschädigungen in der weißen Substanz nachgewiesen, die bereits auftreten, bevor Läsionen zu sehen sind.

Unser Gehirn leistet glaublich viel. Es steuert Muskeln, speicherte Änderungen und findet Lösungen oder trifft Entscheidungen. Ist es beschädigt, sei es beispielsweise durch einen Schlaganfall, eine Hirnwasserstauung, einen Unfall oder Demenz, dann funktioniert vieles nicht mehr.

Bei Multipler Sklerose greift der Körper das körpereigene Myelin um die Nervenzellen herum an. Liegen diese Nerven quasi blank, dann funktioniert vieles langsamer oder auch überhaupt nicht mehr. Es kommt zu den sogenannten MS-Symptomen, Sehstörungen, Mobilitätseinschränkungen, Probleme mit der Blase und Fatigue sind nur einige davon.

Dem Entstehen von Läsionen auf der Spur

Bei MS sind charakteristische Läsionen im Gehirn (und teils auch Rückenmark) durch bildgebende Verfahren, hier hauptsächlich das MRT (Magnetresonanztomografie), sichtbar gemacht, ein wichtiger Hinweis für Radiologen und Neurologen, dass es sich um MS handelt (unter "MS verstehen" mehr über die Diagnose der MS).

Wodurch genau Multiple Sklerose ausgelöst wird, steht bis heute noch nicht fest. Es scheint eine genetische Prädisposition plus Umweltfaktoren, zum Beispiel das Epstein-Barr-Virus, aber möglicherweise auch zu wenig Sonnenlicht zu brauchen, um eine MS auszulösen.

Ein niederländisch-deutsches Forscherteam hat nun herausgefunden, dass das Gewebe von MS Patientinnen und Patienten bereits beschädigt ist, bevor im MRT Läsionen sichtbar werden. Dafür haben sie im sprichwörtlichen Sinn die MS ganz genau unter die Lupe genommen: Das Team um Wiebke Möbius vom Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in München und Inge Huitinga vom Netherlands Institute for Neurosciences in Amsterdam hat die weiße Substanz mit dem Elektronenmikroskop untersucht.

Die weiße Substanz unter der "Lupe"

Dafür verwendeten sie Gehirngewebe von Menschen mit Multipler Sklerose, die vor ihrem Versterben eingewilligt haben, dass ihr Gehirn nach ihrem Tod für Forschungszwecke verwendet werden darf. Dem Team ging es um die Ultrastruktur der weißen Substanz. Um diese ultrafeine Struktur zu erhalten und genau betrachten zu können, haben sie die Fixiermethoden verbessert.

Und sie wurden fündig. Auch in der (bei bisheriger Betrachtung) normal aussehenden weißen Substanz zeigte sich, dass die Myelinscheiden verändert waren, das Myelin lockerer saß und die Ranvierschen Schnürringe – dank des Myelins können Impulse im Gehirn sehr schnell von Schnürring zu Schnürring "hüpfen" – desorganisiert waren. Aus Sicht der Forscherinnen und Forscher ein deutliches Zeichen für eine Vorschädigung im Rahmen der Multiplen Sklerose.

Auch auf Zellebene fand das Team Entzündungszeichen: T-Zellen, aktivierte Immunzellen und – unter anderem ein Zeichen dafür, dass etwas "nicht stimmt" – ein Überangebot an Mitochondrien.

Die Ergebnisse könnten im Hinblick auf weitere Forschung und Ursachenforschung der MS eine Rolle spielen, weisen sie doch Zeichen nach, die bei einer chronischen Erkrankung wie der MS später zu tatsächlichen Schädigungen im Gehirn führen. Noch ist Multiple Sklerose nicht heilbar. Jeder (kleine) Erfolg in der MS-Forschung bringt Wissenschaftler und Patienten diesem Ziel jedoch einen Schritt näher.

Quelle: Annals of Neurology, 22.12.2022.

Redaktion: AMSEL e.V., 05.09.2023