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Dokumentarfilm über Multiple Sklerose

Rund 100 Kinobesucher schauten sich vergangenen Sonntag "Multiple Schicksale" im Atelier am Bollwerk an. Die meisten blieben nach dem Abspann, um mit dem Regisseur zu sprechen.

Jann Kesslers Mutter ist sehr stark von ihrer Multiplen Sklerose betroffen. Sie liegt in einem Pflegebett und kann nicht mehr sprechen. Auch früher hat sie kaum mit ihrer Familie über ihre Erkrankung gesprochen. Das nahm der 18-Jährige zum Anlass, mit anderen MS-Betroffenen zu sprechen, zu erfahren, wie es ihnen geht. Ursprünglich als Matura-Arbeit geplant, ist aus diesem Filmmaterial der 89-minütige Dokumentarfilm "Multiple Schicksale" entstanden. AMSEL.DE hatte berichtet.

Im September begann der deutschlandweite Kinostart. Die Premierentour mit Regisseur Jann Kessler machte auch in Stuttgart Halt. Zu Gast bei der Vorstellung im Atelier am Bollwerk: jüngere wie ältere Besucher, MS-Erkrankte wie Nichterkrankte, Leute aus medizinisch-pflegerischen Berufen sowie Laien. Ein bunt gemischtes Publikum also.

Sie alle schauten sich an, wie Jann Kesslers Mutter, wie Graziella, Bernadette, Oliver, Luana, Melanie und Rainer mit ihrer Multiplen Sklerose leben. Wie das damals nach der Diagnose war, wie ihr Leben heute ist. Was sie bedrückt und was sie erheitert. Mehr zum Inhalt des Films in diesem Bericht.

"Danke, dass Sie diesen Film ins Kinoformat gebracht haben," richtet sich eine (nicht MS-betroffene) Zuschauerin im Anschluss an Jann Kessler. Luanas Beispiel, dass sie die Reha als geschützten Rahmen empfinde und doch ihr Zuhause die Realität sei, das sei genau das, was der Film mit dem Thema Behinderung und Einschränkung mache: Er bringe es raus aus der Klinik und rein in die Öffentlichkeit. "Chapeau!", beglückwünscht die Zuschauerin den jungen Regisseur.

Eine Krankenschwester bedankt sich ebenfalls. Sie bestätigt, wie wichtig es all ihren Patienten ist, möglichst selbstbestimmt leben zu können trotz ihrer Einschränkungen, und empfiehlt jedem, in gesunden Zeiten schriftlich festzuhalten, was man möchte und was nicht, für den Fall, dass man sich selbst einmal nicht mehr dazu äußern kann.

Auch die Sterbeszene Rainers war natürlich ein Thema, weniger jedoch aus ethischer Sicht als vielmehr die Frage, warum sie gezeigt wurde. Der junge Regiseur bekennt, dass das nicht geplant gewsen sei. Weder hatte er gewusst, dass Rainer den Zeitpunkt so früh wählen würde, noch dass er und seine Familie ihn mit der Kamera dabeihaben wollten. "Dann war es gedreht und die Frage kam auf, ob man es mit in den Film aufnehmen soll." Jann Kessler tat es und zwar ganz wertfrei.

Physiotherapeutin Sabine Lamprecht, neben Jann Kessler und Götz Zipser auf der Podiumsbühne, fügt hinzu, dass man auch mit sehr starken Einschränkungen lebenslustig sein kann. Sie hatte 30 Jahre lang eine MS-Patientin betreut, die nur noch ihren Kopf bewegen konnte, aber das Leben dabei sehr genoss, zum Beispiel mit einer Pflegerin Eis essen ging.

Götz Zipser, Geschäftsführer des AMSEL Landesverbandes, pflichtet dem bei. Er habe es selbst im Zivildienst als Betreuer einer MS-Betroffenen erlebt. Es gebe Wege, mit allen Situationen umzugehen. Und der Film passe zum diesjährigen Motto der AMSEL: Selbst bestimmt leben mit MS.

Interview mit dem Schweizer Neurologen Prof. Dr. med. Jürg Kesselring

 

Auch an dieser Stelle möchte AMSEL e.V. anmerken, dass die beschriebenen Menschen in "Multiple Schicksale" nicht repräsentativ für alle Erkrankten stehen. Der Film zeigt teils extrem schwer Betroffene. Er ist kein Einführungsfilm zum Thema MS und sensible Menschen und solche, die ihre MS-Diagnose noch nicht verarbeiten konnten, sollten den Film nicht anschauen. Für neu Diagnostizierte ist er ebenfalls nicht zu empfehlen.

AMSEL e.V. unterstützt den Deutschland-weiten Kinostart von "Multiple Schicksale" als Beitrag zur Aufklärung über das Leben mit einer schwer verlaufenden chronischen Krankheit. Zugleich distanziert sich AMSEL e.V. ausdrücklich von gesetzeswidrigen Formen der Sterbehilfe.

Redaktion: AMSEL e.V., 21.09.2016