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Multiple Schicksale - Kinostart in Deutschland

Kann Multiple Sklerose auch eine Chance sein ? Jann Kesslers Filmdebüt zeigt 7 meist schwer betroffene Menschen, die mit Multipler Sklerose leben. Zwischen Mut, Verzweiflung und Zuversicht. Am 15. September ist deutschlandweiter Kinostart. Vorpremieren beginnen ab dem 8. September.

Es sei gleich vorweggenommen: Frisch diagnostizierte Menschen mit Multipler Sklerose könnte dieser Film stark verunsichern, denn er zeigt hauptsächlich Fälle von hochaktiver MS, bei denen die Behinderung weit vorangeschritten ist, und - ziemlich hautnah - sogar einen Fall von Sterbehilfe. Menschen, die ihre eigene Diagnose noch verarbeiten oder wissen, dass sie empfindlich sind, sollten diesen Film, so wertvoll er für andere ist, besser nicht oder nur in Begleitung ansehen.

Dass "Multiple Schicksale" 7 Menschen zeigt, die körperlich wie seelisch mitunter schwer zu kämpfen haben mit ihrer MS, mag damit zusammenhängen, dass die Mutter von Filmautor und Regisseur Jann Kessler selbst sehr stark behindert ist: Sie liegt in einem Pflegebett und kann sich weder bewegen noch sprechen. Das ist nun schon fast 10 Jahre lang so.

In seiner Kindheit war Multiple Sklerose nie ein Thema, über Mamas Krankheit wurde nicht gesprochen. Weil es seiner Mutter aber immer schlechter ging, wuchs Jann die meiste Zeit bei seinen Großeltern auf.

Multiple Sklerose den Kindern verschweigen ?

Im Film verarbeitet der Regisseur die Erfahrungen mit seiner Mutter. Er versucht, zu verstehen, wieso sie den Weg des Verdrängens der Krankheit gegangen ist, das Thema MS nicht angesprochen wurde und ihre Entscheidungen im Nachhinein zu akzeptieren. Er geht immer häufiger ins Pflegeheim (auch ohne Kamera) und liest seiner Mutter vor. Er "findet" zu ihr, nicht im Gespräch sondern auf ganz neuen Kommunikationswegen.

In der Hoffnung, mehr über Multiple Sklerose zu erfahren, begibt sich der damals 18-jährige Filmemacher auf eine Reise quer durch die Schweiz und trifft andere Menschen, die mit MS leben: Bernadette, die immer noch lacht, obwohl ihr nicht mehr so oft danach zu Mute ist. Luana, die sich fragt, ob sie je eine Beziehung haben wird. Melanie, die einen wortreichen Schutzwall um sich herum aufbaut. Oliver, der seine Kräfte im Alltag gezielt einteilen muss. Graziella, die versucht, die Normalität aufrechtzuerhalten. Und er begegnet Reiner, der aus eigenem Willen aus dem Leben scheidet.

Die Kamera ist dabei, als Reiner im Kreis seiner Familie sein Leben beendet. In der Schweiz, wo der Film entstand, ist diese Art der Sterbehilfe (wenngleich unter strengen Bedingungen und unter ärztlicher Begleitung) erlaubt. Diese Szenen sorgen in Deutschland sicherlich noch mehr für Diskussionen als bereits beim Filmstart in der Schweiz und AMSEL distanziert sich ausdrücklich von hierzulande gesetzeswidrigen Formen der Sterbehilfe. Diese Filmdokumentation zeigt, und das sollte nicht tabuisiert werden, dass sich viele (schwer) Erkrankte Gedanken über ihr Lebensende machen und somit den eigenen Tod, teils auch Sterbehilfe offen diskutieren wollen.

Multiple Sklerose: Das Leben noch intensiver leben

Trotz der sehr traurigen Bilder von Reiners selbstgewähltem Ende sollten diese Szenen nicht den Blick verstellen auf die anderen Bilder des Filmes, das Leben und die Lebenslust, die man auch als Schwerbetroffener mit Multipler Sklerose haben kann. Sicherlich nicht in jeder Minute, aber doch regelmäßig.

Freilich macht sich Luana, die mit Anfang 20 bereits starke Behinderungen hat, auch negative Gedanken über ihre Zukunft. Das hält den Fußballfan jedoch nicht davon ab, sich ein überaus positives Tattoo stechen zu lassen. Oder Bernadette, die zwar oft mit ihrem Schicksal hadert, dann aber doch wieder Lebensfreude pur ist, wenn sie mit ihrem Rollstuhl durch den Supermarkt kurvt.

Die Protagonisten sprechen sehr offen über ihr Leben,
das sie trotz aller Einschränkungen auch immer wieder genießen können und sehr intensiv leben. Vielleicht sogar intensiver als vor ihrer Erkrankung. Denn die Multiple Sklerose hat ihnen allen gezeigt, wie lebenswert das Leben eigentlich ist. Dass schon ein einzelner Schmetterling gute Laune verbreiten kann. Und dass alle Umstände und sogar starke Schmerzen niemandem verbieten können zu lachen und sich des Lebens zu erfreuen.

7 Schicksale - nicht repräsentativ für MS

Die 7 gezeigten Menschen mit MS und ihre Familien sind kein repräsentativer Schnitt. Vielmehr fand Jann Kessler zu Luana, Bernadette, Rainer, Graziella, Oliver und Melanie, weil sie alle bereits ein Stück zu kämpfen hatten mit ihrer MS - ähnlich wie seine Mutter. Weil sie alle ihren eigenen Weg gefunden haben, damit umzugehen, egal, was die anderen darüber denken. Weil sie ihm Antworten geben konnten auf die Frage: Wie lebt man als stärker Betroffener mit Multipler Sklerose ?

Ein sehr authentischer Film mit zutiefst berührenden Momenten. Zum Nachdenken, Mitweinen und Mitlachen. Ein Film, der definitiv unter die Haut geht. Und der doch nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt der unberechenbaren Erkrankung Multiple Sklerose zeigt. Jann Kessler hat für seinen Dokumentarfilm, ursprünglich eine Matura-Arbeit, den MS-Preis der Schweizerischen MS-Gesellschaft erhalten.

AMSEL e.V. unterstützt den Deutschland-weiten Kinostart von "Multiple Schicksale" als Beitrag zur Aufklärung über das Leben mit einer schwer verlaufenden chronischen Krankheit. Zugleich distanziert sich AMSEL e.V. ausdrücklich von gesetzeswidrigen Formen der Sterbehilfe.

Redaktion: AMSEL e.V., 29.08.2016