Spenden und Helfen

Wenn mehrere Krankheiten geMeinSame Sache machen

„Ein Unglück kommt selten allein“ – dieses bekannte Sprichwort trifft auch auf Multiple Sklerose zu, die im Verbund mit sogenannten Komorbiditäten, einer oder mehreren Begleiterkrankungen, auftreten kann. Wie man mit einer solchen Situation umgehen und positiv durchs Leben gehen kann, zeigt das Beispiel von Sabrina. Sie hat es gleich mit mehreren Krankheitsbildern zu tun, die alle chronisch entzündlich sind.

Leben heißt Veränderungen

Sabrina (44) lebt mit Ehemann Andreas und ihren zwei Kindern in einer Gemeinde südlich von Berlin. Die Diagnose MS erhielt sie 2020, nachdem sie sich zwei Jahre durch ihren Berufsalltag geschleppt hatte: Ihren Wunschberuf Erzieherin und Heilpädagogin übte sie bis dahin mit großer Freude aus. Als sie immer weniger belastbar wurde, ihr der Kinderlärm immer mehr zusetzte, befürchtete sie einen bevorstehenden Burn-out. Auf Initiative ihres Mannes nahm sie sich eine Auszeit. Heute unterstützt die Brandenburgerin ihn in seinem Versicherungsunternehmen als Office Managerin von zu Hause aus im Büro.

2019 stellte sich eine Entzündung am linken Auge ein, die Sabrina für eine Bindehautentzündung hielt. Erst als sie sechs Wochen am Stück starke Kopfschmerzen hatte, ging sie zum Arzt. Ein Jahr und viele Arztbesuche später lag nach einem erneuten unerkannten Schub mit Schwindel und Missempfindungen in der linken Körperhälfte die Diagnose vor: MS in Verbindung mit der seltenen Augenerkrankung Uveitis intermedia, einer Entzündung im mittleren Bereich der Augenhaut und des Glaskörpers, die zu grauem und/ oder grünem Star und schlimmstenfalls zur Erblindung führen kann.

Hinzukommen bei Sabrina seit frühester Jugend Migräneanfälle und Asthma, das sie mit einem kortisonhaltigen Spray gut im Griff hat, außerdem seit ihrem 20. Lebensjahr Hashimoto Thyreoiditis, eine Autoimmunerkrankung mit chronischer Entzündung der Schilddrüse. Auch diese Erkrankung ist mit Hormontabletten unter Kontrolle. Wogegen die Hobby-Köchin trotz ausgewogener Ernährung nicht ankommt, ist ihr Übergewicht. Zusätzlich kämpft sie auch gegen die Migräne, die wetterbedingt auftreten oder aber einen MS-Schub ankündigen kann. Wechselwirkungen zwischen MS und der seltenen Uveitis sind ebenfalls noch nicht abschließend erforscht: Liefert die MS den Auslöser für die Augenerkrankung oder eher umgekehrt? Mit solchen Ungewissheiten hat sich Bina, wie ihre Familie sie nennt, ganz gut arrangiert.

Power-Frau mit reduzierten Kräften

Die gebürtige Berlinerin steht mitten im Leben und macht das Beste aus ihrer Situation: Der Job im Backoffice ihres Mannes ist ideal, sie kann ihre Zeit frei einteilen. Das Paar ist finanziell zum Glück gut aufgestellt. Das gibt Sabrina Rückhalt und die Sicherheit, dass auch eine Verschlechterung ihrer Krankheiten zu managen sein wird. Eine mögliche Rollstuhlpflicht sieht sie weniger problematisch. Was sie hingegen fürchtet, ist der Verlust des Augenlichts, für sie als Leseratte der Super-GAU. „Aber auch in diesem Fall“, sagt sie, „reicht es, sich Gedanken zu machen, wenn er eintritt und nicht vorher, ohne zu wissen, ob er überhaupteintritt“. Für Drama und düstere Gedanken ist im Leben der lebensfrohen Power-Frau kein Platz. Sie sieht die Dinge grundsätzlich positiv: Was für ein Glück z.B., dass die MS sich erst manifestierte, als das Thema Familienplanung schon erledigt und ihre Kinder bereits größer waren.

Ihre reduzierten Kräfte zu akzeptieren und einzuteilen, ist keine leichte Aufgabe für das Energiebündel. Immerhin gestaltet sie ihr Leben jetzt etwas ruhiger, mit weniger Kindern und anderen Gästen im Haus und mit den nötigen Ruhephasen. Bei ihren Reisen setzt die Familie nun auf Sicherheit: ein wohldosiertes Besichtigungsprogramm und Verfügbarkeit eines Arztes. Hier bieten sich beispielsweise Kreuzfahrten mit einem Schiffsarzt an Bord an. Dabei genießt Sabrina Fernreisen in warme Länder, denn bei tropisch feuchtem Klima blüht sie regelrecht auf, anders als zu Hause im Hochsommer, wo sie durchaus mit dem Uhthoff-Syndrom zu kämpfen hat.

Bei allen Zugeständnissen an ihre Krankheiten bleibt die umtriebige Frau bei ihrer Überzeugung: „Ich kann doch mein Leben wegen MS & Co. nicht einfach an den Nagel hängen.“

Eine Therapie gegen zwei Krankheiten

Einen ganzheitlichen Behandlungsplan für ihre Krankheiten gibt es nicht. Aber die Basistherapie mit Peginterferon hat den Vorteil, dass sie gegen MS und Uveitis wirkt. Mit den Injektionen alle zwei Wochen kommt Sabrina gut zurecht. Mit einer Eskalationstherapie mit Ocrelizumab, das bei Uveitis als Komorbidität helfen kann, möchte die Pragmatikerin nach dem Motto „nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“ zunächst noch warten. Bei akuten Schüben – 2022 hatte sie zwei besonders schwere, mit Bewegungseinschränkungen, Muskel- und Nervenschmerzen und Stottern, einem enorm stigmatisierenden Symptom – führt kein Weg am Kortisonstoß im Krankenhaus vorbei.

Nebenwirkungen dieser Therapie halten in der Regel gute vier Wochen an, in denen sie energetisch völlig neben sich steht. Ihr Netzwerk aus Familie und Freunden hilft ihr über diese Durststrecken hinweg.

Auf die AMSEL aufmerksam wurde die Tochter einer Schwarzwälderin durch einen Fachartikel, den ein Mitglied ihrer Facebook-Gruppe geteilt hatte: Seither schätzt sie Qualität und Informationsgehalt der AMSEL-Fachbeiträge auch im fernen Brandenburg.

Auch wenn sich einige Krankheiten vermeintlich gegen Sabrina verschworen zu haben scheinen, lässt sich die Frohnatur von ihnen nicht unterkriegen. Ihre Empfehlung an MS-Neudiagnostizierte: „Höre auf deinen Körper. Gib dir Zeit und ziehe möglichst viel Positives aus deiner Situation. Schließe dich einer Interessengruppe an und erlebe dort GeMeinSamkeit und Verstehen ohne Worte“.

Lesetipp

Komorbidität und MS aus medizinischer Sicht – ein Überblick von Prof. Dr. med. Mathias Buttmann und Dr. med. Waldemar Kafke

Quelle: together, 02.23

Redaktion: AMSEL e.V., 20.10.2023