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Vielfalt in der AMSEL – Vielfalt im Ehrenamt

Was wäre eine Gesellschaft ohne Ehrenamt? Ziemlich arm dran, sind sich Andrea und Steffen einig. Andrea leitet die AMSEL-Kontaktgruppe Göppingen, Steffen die im Zollernalbkreis. Beide sind mit Herzblut dabei, sehen sich als Mutmacher und Coach.

Sie sorgen für Vielfalt im Programmangebot, halten ihre Gruppen zusammen und versuchen, die verschiedensten Interessen zu integrieren und „Nachwuchs“ zu gewinnen. In Zeiten des Internets mit breitem Informationsangebot und allen vorstellbaren Formen der virtuellen Kommunikation ist das eine vielfältige Aufgabe, die sie immer wieder vor Herausforderungen stellt.

Andrea (55) ist sozusagen mit MS aufgewachsen. Ihre Mutter war betroffen, Andrea begleitete sie von den Anfängen bis zur Pflege im hohen Alter. Schon als Zehnjährige war Andrea bei Kontaktgruppentreffen dabei, unterstützte ihre Mama im Alltag. Mit 20 bekam die gelernte Altenpflegerin eine Sehnerventzündung. Schon da hatte sie einen leisen Verdacht. Nach einem Schub mit linksseitiger Lähmung, Schwindel, Sprach- und Sensibilitätsstörungen zwei Jahre später war die Diagnose MS klar.

Mit 24 musste Andrea ihren Beruf aufgeben. Sechs Monate zuvor war die junge Frau im Pflegeheim in die Stationsleitung aufgestiegen, hatte ehrgeizige Ziele – und dann war ihre Karriere schlagartig beendet. Heute arbeitet sie wieder stundenweise in der Verwaltung des Pflegeheims. Sie stürzte damals in ein tiefes Loch, fühlte sich unnütz, andererseits getragen von ihrer Familie und ihrem späteren Ehemann. Wie man die MS als Chance nutzen kann, lernte sie im Laufe der Jahre, unter anderem durch ihr Ehrenamt.

Bereicherung durch Vielfalt

Andrea nahm anfangs Azathioprin, das sie nach sieben Jahren absetzte. Kortison zeigte bei ihr kaum eine Wirkung, so dass sie sich nach alternativen Heilmethoden umsah. Bereits mit 22 stellte sie ihre Ernährung auf vegetarisch um, seit 15 Jahren ernährt sie sich vegan, treibt etwa sieben Stunden Sport in der Woche. Vitamin D nimmt sie ganzjährig, dazu einige Nahrungsergänzungsmittel. Der für sie passende Weg mit der MS. Seit 1997 ist Andrea schubfrei und täglich aufs Neue dankbar, dass es ihr so gutgeht. Wenn man sie nicht kennt, merkt man ihr ihre leichte Gehbehinderung nicht an.

Eine zentrale Rolle in ihrem Leben – neben Ehemann und vier Katzen – spielen ihre Ehrenämter: Als ausgebildete Sterbebegleiterin betreute sie Heimbewohner in ihrer letzten Lebensphase. Dieses Ehrenamt musste sie aufgeben, als die Pflege ihrer Eltern und ihre eigene MS ihren Tribut forderten. Als Mitglied einer Gruppe von Tierschützern vermittelte sie herrenlose Katzen, bis sie ihre Zeit für die Pflege der Eltern brauchte. Seit vielen Jahren engagiert sich die empathische Frau in ihrer Kirchengemeinde und konzentriert sich auf ihre Arbeit für die AMSEL. Seit 1992 ist sie hier ehrenamtlich dabei, seit 1995 als Kontaktgruppenleiterin.

„Jeder hat seine eigene MS, jeder andere Bedürfnisse und Interessen. Das macht die Arbeit so spannend. Deshalb versuchen wir neben Stammtisch, den monatlichen Treffen, dem jährlichen Ausflug Abwechslung ins Programm zu bringen, zum Beispiel mit einem Grillfest, einem Konzertbesuch, einem Frühstückstreff.“ Andrea freut sich, dass aus der Gruppe heraus eigene Aktivitäten entstehen wie der Verkauf der handgestrickten Socken eines ehrenamtlichen Strickkreises in der Vorweihnachtszeit. Zu sehen, wie die Mitglieder sich in der Gemeinschaft gut aufgehoben fühlen und in die Aktion gehen, ist ihr eine Herzensangelegenheit.

Wachstum durch Vielfalt

Steffen (48) ist gebürtiger Sachse. Sein ursprünglicher Beruf als Fliesenleger hat ihn nach dem Mauerfall ins „Ländle“ geführt. Seit gut einem Jahr leitet er die Kontaktgruppe Zollernalbkreis der AMSEL. Vielfalt genießt er nicht nur dort, sondern allein schon durch seine Nachbarn in einem Mehrgenerationenhaus, wo er seit drei Jahren lebt.

Die Diagnose MS bekam er 2009, mit 34 Jahren. Er stand mitten im Leben, hatte früh eine Familie gegründet. Pädagogik und Psychologie hatten ihn schon immer interessiert, deshalb schulte er zum Jugend- und Heimerzieher um, betreute Wohngruppen für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien. Eine Fortbildung in Waldorf-Pädagogik brachte ihn als Erzieher in einen Waldorf-Kindergarten. Zunächst ließ er sich mit Akupunktur und homöopathischen Mitteln behandeln und holte sich Hilfe von einem Psychologen. Seine Strategie änderte er jedoch beim zweiten, sehr viel stärkeren Schub.

Hatte sich die MS zuerst in schweren Beinen, häufigem Stolpern manifestiert, trugen ihn später seine Beine einfach nicht mehr. Steffen hat eine progrediente Form der MS mit auf-gesetzten Schüben, die heute mit Teriflunomid gut unter Kontrolle sind. Seit 2010 ist er berentet, seit 2019 ist er außer Haus mit dem Rollstuhl unterwegs. Gesunde Ernährung scheint sich auch positiv auf seine MS auszuwirken. Bewegung ebenfalls: Steffen erkundet gern die Umgebung mit seinem Handbike, für 2024 hat er den Vorsatz, wieder regelmäßig schwimmen zu gehen. Im Winter ergänzt Steffen Vitamin D. Seine Devise: Beschränkung auf das Nötigste.

"Jeder hat sein eigenes Universum"

Seit Steffen nicht mehr arbeiten kann, gibt ihm unter anderem das Ehrenamt eine Aufgabe und das Gefühl, etwas Sinnhaftes und Gutes zu tun. Seit 2013 engagiert er sich bei der AMSEL, seit 2022 als Kontaktgruppenleiter.

Vielfalt in allen Lebensbereichen, so sieht das Steffen auch in seiner Kontaktgruppe: die Tendenz weg von der Verbundenheit durch die Krankheit und hin zu gemeinsamen Interessen. Fachinformationen über MS gebe es im Internet genug. Was wirklich zählt, so der Wahlschwabe, ist die persönliche Begegnung. Je heterogener die Gruppe, desto größer die Interessenvielfalt. Austausch, Vernetzung und Synergien sind für ihn die Grundpfeiler seines Ehrenamts.

„Jeder hat sein eigenes Universum“, ist Steffen überzeugt. Zu sehen, wie sich die einzelnen Universen aus-tauschen, neue Perspektiven gewinnen und sich gegenseitig bereichern, ist auch ihm eine große Bereicherung. Dafür bietet er Mitgliedern, Angehörigen und Interessierten gerne ein Forum – und engagiert sich derweil auch in anderen Gruppen wie „Barrierefrei on Tour (BoT)“, um auch die unsichtbaren Alltagsbarrieren von Rollstuhlfahrern sichtbar zu machen und sich für die stark zu machen, die Hilfe brauchen.

Quelle: together 04.23

Redaktion: AMSEL e.V., 19.01.2024