Spenden und Helfen

Prof. Burkhard Becher: "Das Handbuch der MS wird derzeit noch geschrieben"

14.05.09 - Stellen Sie sich vor, Sie machen eine Grillparty, doch dann kommen plötzlich ungeladene Gäste und benehmen sich auch noch daneben.

So ähnlich verhält es sich mit dem Gehirn, wenn es schädlichen T-Zellen gelingt, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und die Myelinschichten der Nerven anzugreifen, erklärte Prof. Dr. Burkhard Becher auf dem 7. Aktionstag der AMSEL.

Für den Züricher Wissenschaftler und Freund anschaulicher Vergleiche hat Forschen nicht den Anspruch, Krankheiten zu heilen, sondern nach Mosaiksteinen zu suchen. Die schlechte Nachricht bezüglich MS lautet: "Vor einer Reparatur sollte man das Handbuch lesen. Und das "Handbuch der MS" wird derzeit noch geschrieben."

Vom Neunauge zum Menschen

Durch die Erforschung etwa der Fruchtfliege, des C. Elegans-Wurm und des aalförmigen Neunauges gewinnen Forscher wichtige Erkenntnisse über mögliche Konzepte der komplexen Erkrankung Multiple Sklerose. Eignet sich das eine Tier besonders gut für DNA-Untersuchungen, so ist das nächste für Zellbeobachtung geeignet und das übernächste verfügt über besondere Fähigkeiten, wie etwa das Neunauge, das neben der angeborenen Immunität auch die sogenannte Adaptive Immunität entwickelt hat. Das heißt, dass Krankheitserreger als "Fremdkörper" erkannt und vom tiereigenen Immunsystem bekämpft werden.

Und wo ist da der Zusammenhang mit MS? Ein wichtiges Ergebnis dieser Forschung ist die Erkenntnis, dass ein Immunsystem eine Art Gedächtnis besitzt, ein Grundgedanke, der beim Impfen gegen Kinderkrankheiten umgesetzt wird. Einmal geimpft können diese Krankheiten beim Menschen nicht mehr ausbrechen. Beim Menschen sind die T-Zellen für die Suche nach schädlichen Eindringlingen zuständig; diese werden im Thymus gebildet. Nicht korrekt gebildete, Myelin-spezifische T-Zellen werden vom gesunden Organismus toleriert.

Umwelteinflüsse

Bei MS-Kranken können diese T-Zellen, "angelockt" von anderen T-Zellen, die z.B. einen Virus im Gehirn bekämpfen, die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn überwinden. Da sie fälschlicherweise auf Myelin programmiert wurden, greifen sie dort das Myelin der gesunden Hirnzellen an.

Die genauen Ursachen von MS sind derzeit noch unklar, enthalten aber neben einer genetischen Komponente auch durch Umwelteinflüsse bedingte Faktoren und verschiedene Mechanismen, bei denen sich Krankheitserreger als körpereigene Zellen "tarnen" (ein sogenanntes "molekulares Mimikry"), so Prof. Becher auf der AMSEL-Veranstaltung.

Ein Medikament aus dem Labor

Das Medikament Tysabri blockiert die Blut-Hirn-Schranke, so dass keine T-Zellen mehr ins zentrale Nervensystem eindringen können. D.h., es können aber auch keine "guten" T-Zellen, die Viren im Gehirn bekämpfen, mehr eindringen, das Gehirn hat keinen Immunschutz mehr. Laut Prof. Becher ein sehr potentes, aber nicht ungefährliches Medikament, das aber nur für die schubförmige MS zugelassen ist, nicht für die chronisch progrediente Form.

Ziel der Forschung: Bei schubförmiger MS sollte man den "Anti-ZNS-Immunangriff" blockieren, ohne gleichzeitig das schützende Immunsystem zu blockieren. Bei progressiver MS muss die Neurodegeneration gestoppt und der entstandene Schaden repariert werden.

Entscheidend für alle Ansätze ist aber das Verständnis über die Ursachen und Bedingungen für eine MS-Erkrankung. Und in diesem Punkt musste Burkhard Becher, so anschaulich und spannend er die Gäste des AMSEL-Aktionstages auch unterhielt, ganz klar sagen, dass trotz allen Forschens, trotz sämtlichen Bemühens weltweit, die Ursache der MS noch nicht gefunden ist.

Redaktion: AMSEL e.V., 15.05.2009