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Multiple Sklerose-Symposium der AMSEL - erster Tag

Geglückte Premiere: 9 MS-Vorträge gingen per Livestream ins Netz, über 300 Menschen waren vor Ort.

Der deutschlandweit erste Multiple Sklerose-Livestream feierte vergangenes Wochenende Premiere. AMSEL e.V. nahm 30 Jahre Schirmherrschaft von Ursula Späth nicht nur zum Anlass für ein hoch informatives MS-Symposium, sondern ging auch technisch ganz neue Wege: Per Livestream konnten Menschen mit Multipler Sklerose die 2-tägige Veranstaltung erstmals von Zuhause aus verfolgen.

Multiple Sklerose im Spannungsfeld bewährter und neuer Therapien

Prof. Dr. med. Reinhard Hohlfeld schlug in seinem Vortrag eine Lanze für die Grundlagenforschung. Bei aller Wirkstoffarbeit seien die einzelnen Präparate ohne direkte Vergleichsstudie (engl. head-to-head) nur schwer miteinander zu vergleichen, "PS"-Angaben wie 30, 50 oder 70 % Schubratenreduktion nur eine Hausnummer.

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MS-Symposium und 30 Jahre Schrimherrin Ursula Späth - 1. Tag: Vom Alltag der Forscher zu erfolgreichen Therapien der Multiple Sklerose - mit Livestream-Premiere

Die Grundlagenforschung gibt immer wieder Anstöße für ganz neue Therapieansätze, etwa die Entdeckung, dass die Darmflora eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Multiplen Sklerose spiele. Dies fand man in einem Tiermodell der MS heraus.

Aktuelle Erkenntnisse zur Entstehung der Multiplen Sklerose

Univ.-Prof. Dr. med. Bernhard Hemmer erwähnte neben den 60 "MS-Genen", die mittlerweile entdeckt wurden, auch Vitamin D und das Epstein-Barr-Virus. Nicht-Infizierte haben ein 16-fach geringeres Risiko als Infizierte. Besonders interessant sind diejenigen "MS-Gene", welche mit Vitamin-D-Spiegel zu tun haben. MS ist allerdings keine Erbkrankheit und wird auch nicht (bei allen) durch EBV ausgelöst. Sonst hätten 90-95 % der Erwachsenenbevölkerung MS.

Die genauen Zusammenhänge harren noch ihrer Klärung. Fest steht, dass neben den T-Zellen (TH1, TH2 und TH17) auch immer mehr die B-Lymphozyten bei MS erforscht werden. Hierzu befinden sich mehrere Wirkstoffe in Phase-III-Studien: Rituximab, Ocrelizumab und Ofatumumab.

Neuroplastizität – der Schlüssel zum Erfolg bei der Rehabilitation der Multiplen Sklerose

Prof. Dr. med. Jürg Kesselring unterstrich die Wirkung der Reha. Die Rehaeinrichtung sei ein "Trainingslager", keine Erholungspause. Ein Rückschritt in die Trotzhaltung der Pubertät sei hier sogar erwünscht, so der Schweizer Redner: "Trotz MS mache ich das !" Der Erfolg sei zwar in der Nervenleitfähigkeit auf Millimeter je Sekunde nachweisbar. Doch was wirklich zähle, sei die Lebensqualität.

Das Gehirn regeneriere sich im Schlaf, am besten memoriere man Dinge, die man direkt vor dem Schlafengehen gelernt habe. Das gelte für MS-Betroffene genauso wie für Gesunde. Doch solches Wissen könnten sich gerade auch Kranke zunutze machen. Erlerntes gehe nämlich leichter. Mit Übung brauche man weniger Gehirn. Oder haben Sie schon mal einem Fahranfänger zugeschaut? "Das ist ja reine Spastizität!", ruft der Reha-Chef Kesselring bei der Vorstellung aus.

Die neue Generation der MS-Medikamente – was bringt die Zukunft?

Die Fumarsäure stand klar im Mittelpunkt bei Univ.-Prof. Dr. med. Ralf Gold. Er selbst hat eine der zwei großen weltweiten Studien zu dem Wirkstoff geleitet. Das Besondere daran ist nicht nur eine vertretbare Nebenwirkungspalette sondern, dass die Fumarate offensichtlich nicht nur immunmodulierend wirken, sondern zudem einen antioxidativen Schutz und damit Nervenschutz mit sich bringen. Als quasi körpereigener Stoff, leicht modifiziert und höher dosiert seien bisher sogar alle Schwangerschaften in der Studie glücklich verlaufen. Bisher gibt es "Fumaderm" (die Psoriasis-Variante der Fumarsäure) bei MS nur off-label.; im Frühjahr wird sie vermutlich auch in Deutschland zugelassen.

Auf dem ECTRIMS-Kongress diese Woche, so kündigte der Direktor der Neurologischen Klinik, Neurologische Universitätsklinik, St. Josef Hospital, Medizinische Fakultät, Bochum, an, sei mit den Ergebnissen der Kombinationsstudie zu Fumaraten und Interferonen zu erwarten. Aber wer wolle das zahlen ? Vielleicht gibt es ja eine Art "Rabatt" ?

Die Nachricht, dass Teriflunomid (Aubagio®) in den USA für die schubförmige Multiple Sklerose zugelassen wurde, und zwar als Basistherapie, kursierte wenige Tage vor dem AMSEL-Symposium in allen Medien.

Herausforderungen an die individualisierte Multiple Sklerose-Therapie

Univ.-Prof. Dr. med. Heinz Wiendl bedauerte, dass es noch keinen Bluttest für MS gibt. Ein kürzlich vom Kollegen und Vorredner Prof. Hemmer gefundener Test zeigte in ersten Versuchen eine hohe Sensibilität und Spezifität, müsse sich aber noch beweisen.

Er stellte außerdem fest, dass keine einzige Studie die Steigerung der Lebensqualität zum Endziel habe. Auch sei die "Freiheit von Krankheit" (freedom of disease) ein höheres Ziel als die Reduktion der Schubrate. Die Wirksamkeit der einzelnen Therapeutika auf der einen undwas man dafür in Kauf nehmen muss (Nebenwirkungen, spritzen, Infusionen beim Arzt...) auf der anderen Seite müssten jeweils individuell besprochen werden. Was bringen 100 % Wirksamkeit (ein schönes Ziel !), wenn die Kehrseite die Therapie unmöglich macht, z.B. tödliche Nebenwirkungen?

Sowohl für die mögliche Wirkung als auch für das Nebenwirkungsrisiko gibt es mittlerweile einige individuelle Marker. Lange bekannt sind die Antikörper bei Beta-Interferonen. Die besagen, dass der positive Patient weniger oder gar nicht auf die Therapie anspricht. Man wechselt also besser zu einem Wirkstoff mit anderer Wirkweise. Umgekehrt gibt es auch Antikörper etwa bei Alemtuzumab, die seltene aber schwere Folgen haben können. Hier helfen Biomarker, dass der Patient nicht "im Freiflug" testen muss, ob er dazu zählt, sich im Zweifelsfall nicht als "Opfer der Statistik" betrachten müsse. Ähnliches gilt für das JC-Virus, wobei das reine Vorhandensein das PML-Risiko nicht allein erhöhe: vorherige Immunsuppression (etwa durch Mitox) und die Dauer der Anwendung (> 2 Jahre) erhöhten es noch mehr.

Um bessere Daten und eines Tages noch bessere Biomarker zu erhalten, seien ein Immuntherapie-Register sowie eine Blutbank beim KKNMS (Krankheits Kompetenznetz Multiple Sklerose) eingerichtet worden.

Fazit

Das MS-Symposium hat gezeigt, dass Multiple Sklerose bei aller Komplexität, die diese individuell so unterschiedlich ausgeprägte Krankheit mit sich bringt, ein spannendes Thema ist. Erst recht, wenn Neurologen zu Wort kommen, die den Patienten ihr Thema derart verständlich und dabei noch unterhaltsam nahebringen können, wie die Referenten des Stuttgarter MS-Symposiums.

Redaktion: AMSEL e.V., 08.10.2012