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Lungen-Gehirn-Brücke und Darm-Gehirn-Achse

Die Sobek Stiftung ehrte am 29. Juli 2022 auf einem Festakt in der Musikhochschule Stuttgart ihre Forschungs- und Nachwuchspreisträger der Jahre 2020 bis 2022. 245.000 Euro Preisgelder wurden für klinische und experimentelle Forschung auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose (MS) vergeben.

Zwei Jahre musste Sobek Stiftung und AMSEL pandemiebedingt auf die 21. Verleihung der Sobek-Forschungspreise warten. Umso größer die Freude und Feststimmung im Konzertsaal der Musikhochschule am 29. Juli:  es wurden gleich zwei Hauptpreise und drei Nachwuchspreise an bereits renommierte sowie aufstrebende junge Wissenschaftler verliehen. Noch größer die Freude, dass man sich zu diesem Anlass endlich wieder im schönen Ambiente der Musikhochschule treffen und austauschen konnte. Dabei lagen Freud und Leid wie so oft nahe beieinander, denn zum Auftakt des Festakts bat Professor Jost Goller, der Beiratsvorsitzende der Sobek Stiftung, die zahlreich angereiste Zuhörerschaft zunächst um eine Gedenkminute an die im Juni verstorbene langjährige Schirmherrin der AMSEL, Ursula Späth. Ihr unermüdliches Wirken im Dienste der MS-Betroffenen wird unvergessen bleiben.

Auf der Suche nach Mechanismen und Prozessen

In ihren Festvorträgen berichteten die Preisträger vergangener Jahre und die aktuellen Preisträger über neue Erkenntnisse ihrer Forschungsarbeit zur Pathogenese der Multiplen Sklerose. Allen Wissenschaftlern gemein ist die Zielsetzung, die krankmachenden Mechanismen und Prozesse hinter dem Angriff des körpereigenen Immunsystems auf das Zentralnervensystem von Grund auf zu verstehen, damit auf dieser Basis wirksame Therapien entwickelt werden können, die zielgenau am Entstehungsort und in einem möglichst frühen Stadium dieser entzündlichen Autoimmunkrankheit eingreifen. Dies idealerweise ohne unerwünschte Nebenwirkungen und wenn irgend möglich noch vor Ausbruch der Krankheit, um diesen bestenfalls zu verhindern oder aber das Symptom-Management weiter zu individualisieren und deutlich zu verbessern.

Die Forschungsergebnisse der Preisträger konzentrieren sich unter anderem auf

  • B- und T-Zellen als „Täter“ bei der Auslösung der Krankheit,
  • die Identifizierung von Marker-Signaturen im peripheren Blut, die Rückschlüsse auf Verlaufsform und Ansprechen auf verschiedene Therapieoptionen zulassen,
  • die Möglichkeit einer „Impfung“ mit mRNA-kodierten Proteinzellen als Prävention,
  • neuen Therapieansätzen im Bereich Neuroprotektion, Remyelinisierung und Immunmodulation speziell für die primär progrediente Form der MS,
  • Interaktionen zwischen dem Gehirn und den Mikrobiomen von Lunge und Darm,
  • die Kartografie von Entzündungsmustern bei MS.

Einblicke in das Immungeschehen und Meilensteine in der Diagnostik

Die Forschungen von Sobek Preisträger 2021, Prof. Dr. med. Alexander Flügel, zeigen, dass entgegen bisher Annahmen die MS durch komplexe systemische Interaktion entsteht. Mit  bahnbrechenden methodischen Ansätzen ist es ihm gelungen, autoimmune entzündliche Prozesse bei experimentellen Krankheitsmodellen der MS direkt zu beobachten. In seinem Kurzvortrag gab er faszinierende und überraschende Einblicke in das Immungeschehen und zeigte, dass T-Zellen über die Lunge in das Gehirn einwandern.

Prof. Alan J. Thompson, Faculty of Brain Sciences, University College London, erforscht schwerpunktmäßig die progredienten Verläufe und besonders die primär progrediente MS. Er skizzierte in seinem Vortrag die Herausforderungen beim Verständnis und der Therapie der fortschreitenden MS-Verläufe. Das Verständnis für die dahinterliegenden Mechanismen sei begrenzt, der Zeitpunkt zum  progredienten Verlauf schwer zu bestimmen und es gebe kaum Therapiemöglichkeiten zur Regeneration und Remyelinisierung.

Die Laudatio auf die beiden Sobek Forschungspreisträger hielt Ministerialdirektor Dr. Hans J. Reiter. Der Amtschef des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, sagte: "Ihre Arbeiten sind wichtige Puzzleteile, um die Krankheit MS, ihre Entstehung und ihre Mechanismen zu erkennten und zu verstehen. Die Verleihung des Sobek Forschungspreises für Ihre Lebensleistung unterstreicht die Bedeutung Ihrer Forschung und Ihrer herausragenden wissenschaftlichten Arbeit und unterstützt mit dem Preisgeld Ihr weiteres Engagement."

B-Zellen, molekulare Veränderungen von Zelltypen, Prognosemöglichkeit

Die Forschungen der Nachwuchspreisträgerin 2022, Prof. Dr. Anne-Katrin Pröbstel, Leitende Ärztin in der Neurologie am Universitätsspital Basel und Forschungsgruppenleiterin an den Departmenten Biomedizin und Klinische Forschung sowie dem Research Center for Clinical Neuroimmunology and Neuroscience der Universität Basel, richten sich auf B-Zellen und ihre immunregulatorische Rolle bei MS. Dem weiteren Nachwuchspreisträger 2022, Prof. Dr. med. Lucas Schirmer, Geschäftsführender Oberarzt und Leiter der Sektion für Neuroimmunologie an der Neurologischen Universitätsklinik Mannheim, gelang es, neue zelltypspezifische Krankheitsmechanismen und potentiell neue therapeutische Zielstrukturen zu identifizieren. Sobek Nachwuchspreisträger 2020 PD Dr. med. Benjamin Knier von der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München forscht zur Rolle myeloider Suppressorzellen und ihm ist darüber hinaus der Nachweis gelungen, dass bereits im Vorstadium der MS sichtbare Veränderungen an der Netzhaut auftreten.

Sobek Stiftung unter dem Dach des Stifterverbands

Unter dem Motto „tempus fugit“ (übetragen "die Zeit fliegt") informierte Professor Goller, dass das Management der Sobek Stiftung an das Deutsche Stifterzentrum übertragen wurde. Gerade in heutiger Zeit sei die freie Forschung und Wissenschaft wichtiger denn je, und in diesem Sinne wird die neue Leitung die Ziele der Stifterfamilie Sobek weiterverfolgen. Die Bedeutung der Grundlagenforschung als Basis für die Entwicklung hochwirksamer Medikamente und als Perspektive für MS-Betroffene betonte auch Dr. Markus Heuel von der Geschäftsleitung des Deutschen Stiftungszentrums. Die Sobek-Stiftung habe in den 20 Jahren ihres Bestehens mehr als 50 Preisträger ausgezeichnet und über 2,5 Millionen Euro Preisgelder vergeben. Als bemerkenswert bezeichnete er die Tatsache, dass die Stiftung aus dem frühen MS-Tod der Tochter des Ehepaares Sobek entstand und dieses tragische Ereignis zum Ausgangspunkt für die Hoffnungen vieler MS-Betroffener wurde.

Ausführliche Berichte über die Forschungsergebnisse der aktuellen Preisträger und der Sobek Preisträger 2015, Prof. Dr. med. Heinz Wiendl, Universitätsklinikum Münster, und 2016, Prof. Dr. rer. nat. Ari Waisman, Universitätsklinikum Mainz, lesen Sie demnächst auf www.amsel.de

Videointerviews mit Professor Flügel, Professor Thompson, Professor Wiendl, Professor Waismann, PD Dr. Knier, Professorin Pröbstel und Professor Schirmer geben ersten Einblicke in die Forschungstätigkeit der Ausgezeichneten.

 

Redaktion: AMSEL e.V., 02.08.2022