Spenden und Helfen

Herausforderungen als Chance begreifen (Teil 1)

Susanne Leinberger (38) und Ralf Fischer (43) sind Multiple Sklerose betroffen. Und trotz oder gerade wegen ihrer Erkrankung möchten sie sich als neue Vorstandsmitglieder der AMSEL für andere Betroffene stark machen. Together 03/13 stellt beide vor. Den Anfang macht Ralf Fischer.

Deizisau, der Wecker klingelt. Es ist 7:17 Uhr. Aber nicht etwa, weil Ralf Fischer einen Termin hat, sondern weil die Zahl 7, wie er sagt, seine Glückszahl sei. Dass Ralf, als er jung war, Moderator beim Radio-Sender 107,7 werden wollte, ist daher nicht weiter verwunderlich. Doch sein schwäbischer Dialekt wurde ihm zum Verhängnis und so entschied er sich für eine Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann in der Sanitärbranche. Über 20 Jahre lang machte er sein Hobby Raumgestaltung zum Beruf, verband seine Kommunikationsstärke mit seinem Einrichtungsgeschick.

1995 hatte Ralf erstmals Sehprobleme, doch die MS selbst blieb unentdeckt. 2002 zeigte sie sich erneut, da konnte er auf einmal nicht mehr richtig lesen, die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Er versuchte es zu kaschieren, was seinem damaligen Chef nicht entging, der ihn schließlich mit einer Vorleseübung aus der Tageszeitung testete. Wenige Tage später erhielt der junge Mann die MS-Diagnose. Als er seine Mutter nach dem "Und jetzt?!" fragte, antwortete sie ruhig: "Jetzt schauen wir mal und machen weiter." Seine eigene Diagnose warf den optimistischen Mann weniger um, als die Krebs-Diagnose seiner Mutter und die MS-Diagnose seines drei Jahre jüngeren Bruders, die kaum mehr als ein Jahr zurückliegt.

Durch seine empathische und ermutigende Art ist der gebürtige Schwabe auch als Kontaktgruppenleiter für viele Betroffene Vertrauensperson und willkommener Ansprechpartner. "Für mich gibt es fast nichts Schöneres als helfen zu können und den Menschen die Angst zu nehmen. Das ist der Gewinn meines Ehrenamtes! Man steht nicht still, sondern entwickelt sich weiter und kann verändern, zum Positiven verändern. Man lernt andere Leute kennen, andere Lebensentwürfe." Und dabei kann er authentisch sein, so wie er ist, und muss sich nicht verstellen, wie er es früher im Beruf manchmal musste.

Zeit der Stille

Je nachdem wie seine Stimmung ist, hört Ralf gerne Musik aus ganz unterschiedlichen Stilrichtungen. Mal elegisch, klassisch, rockig oder sogar Heavy Metal. Alles außer Freejazz. Nicht nach dem großen Glück, z.B. einem Lottogewinn, solle man suchen, sondern auch die vielen kleinen Dinge beachten. "Die schönen Momente finden auch im Stillen statt.", sagt der Deizisauer, "Schau doch einfach um Dich herum und such nicht immer nach 100 %, sondern sei auch mal glücklich mit ein paar Prozent weniger. Da hast du viel mehr davon." So war es beispielsweise ein Konzert bei Alanis Morissette, das für ihn einen solchen Glücksmoment darstellte. Lange Autofahrt, Festhalle nicht gefunden, Parkplatz suchen – und genau in dem Moment, als er die Festhalle erreichte, kommt die Künstlerin auf die Bühne und fängt an zu singen. "Ein wunderschöner Moment."

"Früher konnte ich mal laufen wie Bruce Darnell", scherzt Ralf, "das kann ich heute nicht mehr, aber ich kann noch laufen. Auch wenn es manchmal vielleicht nicht mehr so schön aussieht." Für kürzere Strecken nimmt er einen Gehstock zu Hilfe, für weitere Strecken den Rollator und wenn es zum Beispiel zum Einkaufen geht, dann den Rollstuhl. "Es erweitert meinen Aktionsradius." Außerdem wird sein rechter Arm schnell müde und er leidet oft im Sommer unter dem Uhthoff-Syndrom. Doch Ralf ist ein positiv denkender Mensch, hat sich Pippi Langstrumpfs Liedzeile "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt" zu seinem eigenen Leitspruch gemacht.

 

"Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen."

Aristoteles

 

"Ich lebe jetzt, hier und heute und nicht in einem Jahr. Denn niemand, auch ein vermeintlich Gesunder und beruflich erfolgreicher Mensch weiß, was in einem Jahr ist. Natürlich gibt es Momente, in denen man sich fragt, was da noch kommen mag. Aber das bringt mich persönlich nicht weiter und das nimmt mir die Lust am Leben und das möchte ich nicht. Ich habe keine Angst vor der Zukunft."

Durch die Erkrankung, so sagt das neue Vorstandsmitglied, habe er einen anderen Blickwinkel bekommen, nehme er viele Dinge nicht mehr als selbstverständlich hin. "Die MS gibt mir die Chance, mein Leben zu überdenken, und mich auf das zu konzentrieren, was ich kann, auch mit meinen Einschränkungen. Die Voraussetzungen sind zwar schlechter als früher, habe vielleicht weniger Geld seit meiner Berentung 2010, aber dafür Zeit bekommen. Und Zeit kann man sich nicht kaufen."

Das Porträt von Susanne Leinberger finden Sie hier: "Herausforderungen als Chance begreifen (Teil2)"

Redaktion: AMSEL e.V., 17.10.2013