Moderator Patricia Fleischmann: Liebe AMSEL-Chatter, wir hatten kurz technische Probleme mit dem Chat heute Abend. Nun sind sie gelöst und Sie dürfen gern direkt Fragen an Herrn Prof. Tumani richten.
Sally: Hallo Herr Tumani, seit März werde ich mit Ocrelizumab behandelt. Unter einer 2,5 Jahre beendeten Tysabri Behandlung wurde ein rasant steigender JC-Titer beobachtet, nachdem ich bereits positiv getestet gestartet war. Können Sie etwas dazu sagen, ob es Erfahrungen dazu gibt, wie sich das JCV unter Ocrevus verhält? Mein Neurologe sagte mir nur, es sei nicht vorgesehen, den Titer darunter zu bestimmen.
Prof. Hayrettin Tumani: Schwierige Frage, weil es diesbezüglich keine ausreichenden Erfahrungen gibt. Es ist davon auszugehen, dass der JC-Titer bestehen bleibt ohne wesentlichen Änderungen. Es ist richtig, dass unter OCR-Therapie JC-Titerbestimmungen generell nicht vorgesehen sind.
Prof. Dr. med. Hayrettin Tumani
- Ärztlicher Direktor in der Fachklinik für Neurologie in Dietenbronn seit Okt. 2015, davor Geschäftsführender Oberarzt, Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Ulm
- Universität Ulm: Professur für Neurologie Facharzt für Neurologie Fachkunde
- klinisch-wissenschaftliche Schwerpunkte: Multiple Sklerose, Neuroborreliose, Entzündliche ZNS-Erkrankungen, Liquordiagnostik
- wissenschaftliches Arbeitsgebiet: Biomarker für laborchemische Früh- und Differentialdiagnostik bei Multiple Sklerose und neurodegenerativen Erkrankungen, Proteomische Untersuchungen
Emma: Guten Abend Prof. Tumani! Ich habe nach der zweiten Ocrevus Infusion ein extremes Schwindelproblem bekommen, welcher leider auch nach Schubbehandlung nicht wegbleibt - gibt es noch andere Ursachen?, da ich Anfang des Jahres auch einen Hörsturz hatte
Prof. Hayrettin Tumani: möglicherweise MS-unabhängige Symptome, HNO-ärztliche Abklärung ist sinnvoll.
Stefan: Hallo Herr Prof. Tumani, welche Therapieansätze halten Sie bei PPMS für empfehlenswert?
Prof. Hayrettin Tumani: Multimodale Therapieansätze aus symptomorientierter Therapie (nicht-medikamentös und medikamentös) sowie -falls Krankheitsaktivität vorliegt- Immuntherapie mit Ocrevus.
Arnold: Guten Abend, meine Tochter, MS seit wahrscheinlich 16 Jahren, nachgewiesen 2009, Pflegegrad 5, hat scheinbar kaum nachweisbare Schübe. Wäre Ocrelizumab ein sinnvolles Medikament für sie
Prof. Hayrettin Tumani: Durch betreuenden Neurologen beurteilen lassen, welche Verlaufsform vorliegt und ob Krankheitsaktivität vorhanden ist. Erst dann kann Ihre Frage beantwortet werden.
Emma: Ich habe ED seit 2004 und aktuell wieder RRMS - Weshalb treten Herde in der grauen Substanz auf? Liegt das am Alter?
Prof. Hayrettin Tumani: Nicht unbedingt. Das liegt u.a. an der Empfindlichkeit der eingesetzten MRT-Untersuchungen und an der Vielfalt der MS-Verläufe unabhängig vom Alter.
Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter hier im Multiple-Sklerose-Chat der AMSEL, Prof. Tumani beantwortet gleich eine Frage nach der anderen. Ich bitte nur um etwas Geduld.
Emma: Wenn eine Klinik JC-Virus positiv mit 365 - Grenzwert 30 misst, und eine andere JC-negativ, soll ich diesen dann noch ein drittes mal kontrollieren lassen?
Prof. Hayrettin Tumani: Ja, am besten in einem etablierten Referenzlabor.
Lisa: Hallo Herr Tumani, ich werde mit Ocrevus behandelt und habe die Empfehlung zur Grippe Impfung bekommen, aber kann sie unter diesem Medikament überhaupt wirken?
Prof. Hayrettin Tumani: Ja, nach einem bestimmten Zeit (2-4 Monate) sollte es möglich sein. Die Impfantwort müsste allerdings kontrolliert werden, der Impferfolg kann verspätet einsetzen.
Emma: Wieso werden Schwindelschübe nie als Schübe in Arztbriefen dokumentiert?
Prof. Hayrettin Tumani: Schwindelbeschwerden können sehr unterschiedlich sein und vielfältige Ursachen (auch unabhängig von der MS) haben. Wenn der Schwindel eindeutig MS-bedingt ist, dann wird es auch entsprechend dokumentiert.
Moderator Patricia Fleischmann:
Liebe Chatter, einige hier interessieren sich für die Behandlung des schleichenden / progredienten Verlaufs der Multiplen Sklerose. Aktuelle Nachrichten zu diesem Thema finden Sie in den AMSEL-Newsthemen unter www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/progressive-progrediente-multiple-sklerose_thema/ und www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/wirkstoff-studien_thema/
Katja: Sehr geehrter Herr Tumani, gibt es bei MRT-Aktivität unter Copaxone eine "Faustregel" wann die Therapie gewechselt werden sollte? (z. B. bei 1 neuer Herd pro Jahr). Welche Medikamente bieten sich auf Copaxone folgend an? Danke
Prof. Hayrettin Tumani: Eine Faustregel gibt es nicht. Entscheidend sind auch nicht MRT-Läsionen allein. Stattdessen muss die die Krankheitsaktivität aus Schub, Behinderung und MRT-Läsionen zusammen bewertet werden. Nach Copaxone bieten sich alle zugelassenen Medikamente für die Weiterbehandlung an.
Emma: Was halten Sie von Ibudilast?
Prof. Hayrettin Tumani: eine vielversprechende Substanz, die in ersten Studienergebnissen positive Wirkung auf die Progression zeigt. Es müssen aber noch größere Studien abgewartet werden, bevor eine zuverlässige Aussage gemacht werden kann.
biene65: Hallo Herr Professor Tumani muss bei einem wechsel von Tysabri 2;5 Jahre eine Lumbal Punktion gemacht werden?da dise bei mir unter Röntgen gemacht wurde und sehr schwierig war 4 mal probieren
Prof. Hayrettin Tumani: Muss nicht, aber ist je nach dem wie die Folgetherapie aussieht zu empfehlen, insbesondere bei Therapien mit PML-Risiko.
Karo: Was bedeutet eigentlich "Krankheitsaktivität", wenn man progredient ohne Schübe ist? Wie wird sie gemessen? Nur klinisch oder auch durch Kernspin? Wie unterscheiden sich die Läsionen von einem schubförmigen Verlauf bzw. sitzen die dann an einer anderen Stelle?
Prof. Hayrettin Tumani: Krankheitsaktivität wird klinisch und mit Kernspin bestimmt. Eine Unterscheidung der Verlaufsformen durch Läsionen ist noch nicht sicher möglich.
Emma: Ab wann bilden sich B-Zellen unter Ocrevus wieder neu? Hat man eine Art "reset" bezüglich der B-Zellen?
Prof. Hayrettin Tumani: Einen richtigen reset gibt es nicht, da nur die B-Zellen im Blut beurteilbar sind, nicht aber diejenigen in den Lymphorganen, wo B-Zellen trotz Ocrevus-Therapie vorhanden sein können
Sally: An welche Monitoringvorgaben unter Ocrevus sollten Ärzte sich halten? Vor kurzem würde das neue Handbuch veröffentlicht und die darin vorgestellten Hinweise zu Blutbild und MRT entsprechen überhaupt nicht dem meiner Praxis. Mein Arzt betont MRT nach jeder Gabe, dafür aber kaum Blutbildkontrollen.
Prof. Hayrettin Tumani: Monitoringvorgaben, die in den Fachinformationen als auch in den Leitlinien (Handbuch KKNMS) enthalten sind.
Elfi: Können unter der primär progredienten MS auch hin und wieder Schübe auftreten? Wenn ja, wie stark? Oder ist das hier gar nicht der Fall?
Prof. Hayrettin Tumani: In sehr seltenen Fällen von initial als PPMS eingestuften Verläufen ist das Auftreten von Schüben möglich. In der Regel sind diese nicht sehr stark ausgeprägt und eher Ausdruck einer Fluktuation der MS.
Karo: Das mit der Grippeschutzimpfung bei Ocrevus habe ich nicht verstanden. Gibt es da Probleme?
Prof. Hayrettin Tumani: Die Impfantwort kann durch die immunsuppressive Therapie abgeschwächt sein. Deshalb soll ein Abstand gehalten werden und der Impferfolg kontrolliert werden.
biene65: Hallo noch mal wegen lumbal Punktion meine Neurologin will auf Ocrevus wechseln
Prof. Hayrettin Tumani: Eine LP würde ich hier auch empfehlen.
Karo: Wann meinen Sie könnte hochdosiertes Biotin zugelassen werden? Wäre das eine Option für progrediente MS?
Prof. Hayrettin Tumani: Erst wenn die noch laufende Phase 3 Studie abgeschlossen worden ist, vermutlich erst 2020.
Emma: Ich habe bereits 2x einen komplett unauffälligen Liquor trotz hoher Aktivität im MRT - kann man aufgrund dieses Befundes auf mögliche Therapien Rückschlüsse ziehen?
Prof. Hayrettin Tumani: Derzeit sind aus dem Liquorbefund keine Therapierückschlüsse möglich. Es sollte aber bei einem unauffälligen Liquor sämtliche möglichen Differentialdiagnosen vor Beginn einer Langzeit-Therapie ausgeschlossen sein,
Karo: Gilt die verzögerte Immunantwort auch bei andren Wirkstoffen gegen MS? Und bei welchen?
Prof. Hayrettin Tumani: Bei allen immunsuppressiven Therapien, die insbesondere die B-Zellen unterdrücken, kann eine verzögerte Immunantwort vorkommen.
Emma: Ich bedanke mich für Ihre Zeit und Antworten!
Prof. Hayrettin Tumani: Sehr gern geschehen.
Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, das war's schon für heute im Multiple Sklerose-Chat der AMSEL. Haben Sie herzlichen Dank für Ihre vielfältigen Fragen zum Thema. Der allergrößte DANK geht natürlich an H. Prof. Tumani für sein Engagement hier und heute. Der nächste reguläre Expertenchat findet erst wieder 2019 statt, und zwar am 15. Januar. Ihnen allen einen schönen Abend!
Moderator Patricia Fleischmann: PS: Die unbeantworteten Fragen beantwortet Prof. Dr. med. Hayrettin Tumani selbstredend noch.
Redaktion: AMSEL e.V., 20.11.2018