Therapie der MS

Um bereits zugelassene und in der Pipeline für die Zulassung befindliche Wirkstoffe ging es im Expertenchat der AMSEL. Die Fragen neu Diagnostizierter und länger Erkrankter beantwortete PD Dr. Oliver Neuhaus.

emma: Guten Abend Dr. Neuhaus! Ich muß aufgrund starker Verschlechterung und mind. 3 neuen Läsionen unter Ocrevus, vorerst wegen Diagnostik, pausieren. Wird in einer solchen Situation auf B-Zellen-Ursache oder anderes rückgeschlossen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Emma, Ocrelizumab (Ocrevus) ist ein starkes Medikament, das gegen B-Zellen gerichtet ist. Da es hierunter zu einer Verschlechterung auch mit neuen Läsionen kommt, zeigt, dass bei Ihnen eher eine T-Zell-gerichtete Therapie wirksamer wäre. Warten Sie die Diagnostik ab und besprechen mit Ihrem Neurologen die nächsten Schritte.

emma: Wie ist die aktuelle Datenlage zu Ocrevus und Alter und länge der Erkrankung (über 10 Jahre)

PD Dr. Oliver Neuhaus: Schubförmige MS oder primär progrediente MS?

Renate: Guten Abend Ich habe MS und Rheumatoide Arthritis. Wäre da Aubagio eine Therapie gegen die zwei Krankheiten? Eine Tablette am Tag gegen zwei Krankheiten wäre doch super. Und wenn Aubagio nicht vertragen wird welche Therapie dann?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Renate, ja. Teriflunomid (Aubagio) ist sehr nahe verwandt mit Leflunomid, einem Rheumamittel. Tatsächlich ist es bei Ihnen mit MS und RA eine sehr gute Wahl, da Sie 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen könnten. Wenn Teriflunomid nicht vertragen werden würde (erst mal ein paar Monate abwarten), könnten die klassischen Rheumamittel wie Azathioprin oder vielleicht auch Methotrexat ausreichen. Die anderen MS-Mittel sind bei RA nicht so wirksam.

Lin: Guten Abend Herr Dr. Neuhaus, mir wurde empfohlen mit Copaxone anzufangen, allerdings steht im Befund, dass eine Basistherapie mit Clift empfohlen wird. Warum wird zwar von Copaxone gesprochen, aber Clift verschrieben? Auf der der Webseite der AMSEL steht man solle sich gut über „Generika, Biosimilars und Nachahmungen komplexer nicht-biologischer Wirkstoffe“ informieren - können Sie mir diese bitte erläutern? Vielen Dank !

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Lin, Copaxone und Clift sind beides so genannte Glatiramerazetate. Beide haben dieselbe Zulassung. Im Prinzip können Sie beide Medikamente verwenden. Eine Vergleichsstudie hat keine Unterschiede gezeigt.

NaLusan: ich werde bald 60 und seit 11 jahren im mrt schubfrei, habe aber seit 2 jahren trigeminusneuralgie. kann ich dann avonex absetzen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo NaLusan, Sie vermischen hier zwei Begriffe: Schübe sind neurologische Beschwerden, die Sie an sich merken und die einen bis mehrere Tage bis Wochen anhalten. MRT-Herde sind zwar auch Zeichen entzündlicher Aktivität, jedoch keine Schübe. Wenn Sie also seit 11 Jahren auch schubfrei und dazu auch MRT-stabil sind, können zwei Antworten erfolgen: 1. Ihre MS ist stabil, weil Sie das Interferon nehmen - also weitermachen. 2. Ihre MS ist so stabil, dass Sie das Absetzen wagen können - aber mit einem Risiko, dass die MS zurückkehrt. Die Trigeminusneuralgie ist ein Symptom der MS, jedoch kein Schubphänomen.

emma: 5x T-Zellen Therapien sind schon gescheitert... 4x war ich mit V.a. PML im MRT

PD Dr. Oliver Neuhaus: War es PML? Wie ist Ihr JC-Status?

emma: Es war keine PML, JC-Virus ist im Serum hoch und im Liquor nix.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Dann haben Sie wohl eine sehr aktive RRMS. Mir fällt da noch Alemtuzumab ein.

Gina: Neurologe möchte Betaferon (Injektion seit MAi 18) absetzen, weil lt. MRT bereits bekannter Herd HWS wieder aktiv (jedoch keine körperlichen Beeinträchtigungen). Kein Schub seit 12 Monaten. 3 Tage Kortison nach MRT Bild. Arzt möchte Therapie mit Gylenia beginnen, trotz jahrelanger schlechter Lebewerte. Warum nicht weiter mit Betaferon oder anderer Basistherapie? Gylenia hat so schwer Nebenwirkungen.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Gina, wenn Sie beschwerdefrei sind und es jetzt einmalig MRT-Aktivität gibt, können Sie gerne auch das Interferon-beta fortsetzen. MRT-Kontrolle in 6 Monaten, dann neu entscheiden. O. Neuhaus

Hummelchen: Sehr geehrter Herr Dr. Neuhaus Ich habe zwei Fragen: 1) Ich hatte nach einem initialen sensiblen Schub in 2011 sechs Jahre keinen Schub (drei davon ohne Basistherapie, drei davon unter Copaxone), dann 2017, 2018 und 2019 je einen weiteren kleinen sensiblen Schub (alle ohne Basistherapie). Ausser dem ersten Schub ist keiner im MRT nachweisbar. Kann ich weiterhin auf eine Basistherapie verzichten (die Lage natürlich immer laufend beurteilend), oder halten Sie das für zu riskant? 2) Falls Sie zu einer Basistherapie raten würden: Ist das Risiko für lebensbedrohliche Nebenwirkungen bei Tecfidera oder bei Ocrevus grösser? Welches der beiden würden Sie empfehlen (oder welche andere Basistherapie, jetzt nur mit Blick auf schwere Nebenwirkungen)? Sehr herzlichen Dank!

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Hummelchen, ich habe es weiter unten schon geschrieben: Schübe und MRT-Läsionen haben erst mal nichts miteinander zu tun. Es kann das eine ohne das andere geben. Da Sie doch immer wieder Schübe hatten, empfehle ich wieder den Beginn mit einer Immunmodulation. Außer Glatiramerazetat gibt es weitere Basistherapien. Dimethylfumarat (Tecfidera) ist möglich, hier sollte nach meiner Sicht die Lymphozytenzahl alle 6 Wochen überprüft werden (geringes PML-Risiko bei Lymphozyten unter 500 pro Mikroliter). Ocrelizumab (Ocrevus) ist keine Basistherapie, sondern eine Eskalationstherapie, kommt also für Sie aktuell nicht in Frage. Weitere Basistherapien sind Interferone und Teriflunomid (Aubagio).

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ocrelizumab ist grundsätzlich wirksam und zugelassen bei hochaktiver schubförmiger MS. Die Dauer der Erkrankung spielt hier keine Rolle.

Daniela: Guten Abend Dr. Neuhaus! Bei mir wurde 2015 MS diagnostiziert und habe dann direkt mit Rebif44 angefangen, welches ich immer noch spritze. Seitdem hatte ich noch keinen weiteren Schub. Mein Problem ist, das bei mir die Leukozyten immer niedriger werden (2800). Mein Arzt meint das er das so nicht mehr tolerieren kann und will wenn sie sich nicht wieder bessern das Medikament ändern. Was würden Sie mir raten, und wenn dann zu welchem Medikament? Medikamente spritzen würde ich dann nicht mehr wollen, da es mittlerweile eine ziemlich Überwindung ist. LThyroxin 50 muss ich wegen einer Schilddrüsenunterfuntion einnehmen. Bei den MRT's seit 2015 wurden bisher keine weitere Läsionen festgestellt. Ich danke Ihnen jetzt schon für Ihre Hilfe

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Daniela, wenn Sie seit 2015 Interferon-beta (Rebif) haben und dieses Medikament wirksam ist, sehe ich keinen Grund es nicht fortzusetzen. Die erniedrigten Leukozyten kenne ich allenfalls als sehr seltene Nebenwirkung. Sind die Leukozyten seit 2015 gesunken? Wenn nicht, sollte ein Internist (Hämatologe) der Ursache der niedrigen Leukozytenzahl nachgehen. Alternativ wäre in Tablettenform Teriflunomid (Aubagio) möglich.

Gogi: Primär progrediente MS. Wie behandelbar? Deutliche Verschlechterung seit 2013...

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Gogi, wenn es eine so genannte frühe aktive PPMS ist (Diagnosestellung vor maximal 10 Jahren), neue MRT-Aktivität im letzten MRT, wäre Ocrelizumab sinnvoll. Ansonsten können Steroidstöße probiert werden, falls wirksam bis vier mal jährlich. Ansonsten nur symptomatische Therapie und Physiotherapie und Reha. 

Anne: Hallo Herr Dr. Neuhaus, SPMS-Therapie: Nach vielen Jahren (MS seit 1981) ohne Beschwerden bzw. Symptomen ist die MS 2003 wieder aktiv geworden und inzwischen in den sekundär chronischen Verlauf übergegangen. Meine EDSS liegt bei 6, das Laufen verschlechtert sich. Seit einem Jahr bekomme ich Ocrelizumab, das hilft mir aber nicht wirklich. Würden Sie einen Wechsel auf Fingolimod bis zur Zulassung von Siponimod für sinnvoll halten?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Anne, bei SPMS sind weder Ocrelizumab noch Fingolimod zugelassen. Bitte ersteres absetzen. Zugelassen sind Interferon-beta oder Mitoxantron, letzteres empfehle ich wegen des Nebenwirkungsrisikos nicht. Ich empfehle, die Zulassung von Siponimod abzuwarten und dann mit Ihrem Neurologen zu besprechen, ob es für Sie in Frage kommt.

Peter: Guten Tag, ich habe seit 1992 ms und wurde bis vor ca. 4 Jahren mit Azathioprin behandelt. Dann wurde mir das Medikament entzogen. Inzwischen habe ich einen sekundär-chronischen Verlauf. Welche behandlungsmöglickeiten gibt es. Bekomme fampyra und kann kaum noch laufen.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Peter, bei SPMS sind die Immuntherapien oft nicht wirklich wirksam. Zugelassen sind auch nur Interferone und Mitoxantron. Dieses Jahr soll mit Siponimod ein neues Medikament für die SPMS kommen. Die Studienlage ist aber hier nicht sehr beeindruckend: es verlangsamt gegenüber Placebo die weitere Verschlechterung um etwa ein Viertel. Wenn Sie Zweifel haben, dass Fampridine (Fampyra) wirkt, können Sie es probeweise für 2 Wochen absetzen. Im Vordergrund stehen symptomatische Therapien, Physiotherapie und ggf. Reha.

Frank: Nach meinen Informationen soll gerade ein neues Medikament kurz vor der Zulassung im Herbst 2019 stehen. Es soll in Tablettenform eingenommen werden und die Forschungsergebnisse seien wohl sehr vielversprechend. Angeblich würden viele Leute sehnlichst darauf warten. Können Sie schon mehr dazu sagen? Wie heißt dieses Medikament und wie soll es wirken?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Frank, der Wirkstoff heißt Siponimod und soll noch dieses Jahr für die SPMS zugelassen werden. Damit wäre es nach langer Zeit wieder ein neues Medikament für die SPMS. So vielversprechend finde ich die Studienlage aber nicht (siehe unten).

Sunni: Sehr geehrter Herr Neuhaus, ich nehme seit fast 20 Jahren Copaxone , habe aber nur 60-80 mg wöchentlich gespritzt, hatte immer mal wieder Schübe, jetzt wieder einen nach fünf Jahren. Habe viele Herde, starke Schmerzen , sonst keine Einschränkung. Mir wurde geraten, Medikament zu wechseln zu tecfidera, Aubagio oder fingolimod. Das macht mir große Angst. Welches der Medikamente wäre eine Verbesserung gegenüber copaxone bzw würde sich gut anschließen und hätte die geringsten Nebenwirkungen? Wäre Ihrer Ansicht nach auch eine Option Copaxone auf die empfohlene Dosis zu erhören? Danke Ihnen im Voraus für Ihre Antworten.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Sunni, als ersten Schritt würde ich Copaxone auf die Standarddosis erhöhen, also 3 x 40 mg s.c. pro Woche oder 7 x 20 mg s.c. pro Woche. Pauschal kann ich bei keinem der anderen Medikamente das Nebenwirkungsrisiko vergleichen. Nebenwirkungen sind sehr individuell.

Karin: Guten Tag, ich habe PPMS. Ich bekomme seit 9´18 ocrevus, leider werden die bisherigen Symptome schlimmer und ich bekomme allergische Reaktionen an Händen und Füßen nach der Infusion welche aber nach ca. 8 Tagen wieder verschwinden. Des weiteren habe ich Probleme mit meinen Schleimhäuten die sehr trocken sind. Ist es ratsam das Medikament wieder abzusetzen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Karin, bitte Ocrelizumab wieder absetzen. Die kurzfristigen Nebenwirkungen können ja toleriert werden, aber Sie beschreiben eine Verschlechterung der Symptome, was gegen die Fortsetzung spricht. Außer Steroidstößen gibt es bei PPMS keine sinnvolle immunologische Alternative.

NaLusan: das ist ein bisschen lotterie, oder?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ja.

emma: Kann man Schluckstörungen, die nur am Abend und bei "Grippchen" auftreten als Schub bezeichnen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Nein.

Yvonne: Habe 2011 MS diagnostiziert bekommen. Bisher hatte ich 3 schwerere Schübe. 2016 habe ich mit Tecfidera angefangen, aber nun hatte ich erneut einen Schub. Kinderwunsch habe ich keinen, aber Angst vor Spritzen. Welches Medikament empfehlen Sie mir? Danke und viele Grüße

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Yvonne, bei fehlender Schubfreiheit muss von einer hoch aktiven RRMS ausgegangen werden. Sie können mit Ihrem Neurologen die Umstellung auf Fingolimod, Natalizumab (nach JC-Test), Cladribin oder Ocrelizumab besprechen. Alle vier sind aus meiner Sicht für Sie OK.

Myriam S.: Guten Abend Bin 22 Jahre, vor einem Jahr wurde MS diags., nehme seit einem Jahr Tecfidera, jetzt nach einem Jahr lt MRT (m.Kontrastm.) neue kleine Läsionen aber ohne merkbare Schub. Meine Aerztin schläg Gileny vor. Ich möchte vorher aber BEta-Interf. oder Glatiram.. ausprobieren. Dies wäre aber laut meiner Aerztin völlig sinnlos. quasi nach Tecfidera ein Rückschritt. Ich möchte Gilenya aber vermeiden. Ist es wirklich Sinnlos? Welche ander Alternavitve als Gilenya? (JVC Wert negati)

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Myriam, nein, das ist keinesfalls sinnlos. Interferon oder Glatiramerazetat wird zwar als "schwächer" als Dimethylfumarat eingeschätzt, das ist aber eine pauschale Aussage. Individuell kann auch unter den vermeintlich schwächeren Medikamenten eine Stabilität erreicht werden. Ja, Sie können auf die genannten Medikamente wechseln. Wenn es nicht klappt, können immer noch die noch stärkeren Medikamente eingesetzt werden. 

Orchidee: Guten Abend Dr. Neuhaus, ich (42w) habe seit 2012 Diagnoseschub RRMS und spritze seitdem Betaferon. Schwere Schübe hatte ich keine mehr, das letzte MRT im September 2017 war auch ohne Veränderungen. Die Müdigkeit, Wortfindungsstörungen und auch mein Kurzzeitgedächtnis werden für mich gefühlt immer schlechter. Kann es sein das ein Übergang zur progredienten Form bei mir stattfindet? Mehr als mein Rezept 1/4 jährlich sehr ich von meinem Neuro nicht.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Orchidee, wenn Sie keine Schübe, aber eine gefühlte schleichende Verschlechterung wahrnehmen, kann tatsächlich der Übergang zur SPMS erfolgt sein. Bitten Sie Ihren Neurologen, Sie nochmals körperlich neurologisch zu untersuchen und eine MRT-Kontrolle zu machen. Dann kann das weitere Vorgehen besprochen werden.

Lin: Ich bin Anfang 20, dieses Mittel - welches auch immer es ist - werde ich wahrscheinlich mein ganzes Leben nehmen müssen. Ich möchte Copaxone anwenden, da es schon länger auf dem Markt ist, aber bekomme lediglich Clift aufgeschrieben. Warum sind Ärzte so von Clift besessen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Lin, Clift ist einfach billiger als Copaxone. Da jeder Arzt unbedingt für die Krankenkassen aufs Geld schauen muss und mitunter persönlich haftet, wird Ihnen das günstigere Präparat verordnet. Aber nochmal: es ist OK.

emma: Ihren letzten Rat bezgl. Myasthenia Gravis habe ich dankend befolgt und Mestinon war sehr hilfreich, alle Ergebnisse jedoch negativ? Kürzlich habe ich aus Verzweiflung die letzten 20mg Mestinon eingenommen und konnte wieder schreiben und so einiges mehr! Warum kann ich es nicht für meine Lebensqualität nehmen - auch ohne Diagnose?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Myasthenie gibt es auch bei "negativen Ergebnissen" (Sie meinen wohl die Myasthenie-Antikörper". Wenn Sie eine Myasthenie klinisch haben - Ihr Neurologe kann das klären - kann Pyridostigmin (Mestinon) auch eingesetzt werden. Das ist übrigens ein sehr billiges Medikament. In vergleichbaren Fällen gebe ich meinen Patienten auch mal ein Privatrezept, das dann selbst bezahlt werden müsste.

FS: Im Jahr 2011 wurde mir mit 37 Jahren Alter nach einer Sehnerventzündung eine vermutliche MS diagnostiziert, wobei der Chefarzt überzeugt war, dass es sich um eine handelt. Alles hat sich im Verlauf von ein paar Monaten wieder erholt. Seitdem bin ich bis Ende Februar beschwerdefrei. Ende Februar hatte ich eine erneute Sehnerventzündung. Diese wurde mit 3x1000mg Predisolon i.v. behandelt. Seitdem hat es sich zwar gebessert, allerdings habe ich seitdem anscheinend ein sehr ausgeprägtes Uhthoff-Phänomen, was Texte lesen am Bildschirm mitunter schwierig macht. Ein MRT zeigt ein paar ältere Läsionen, aber keine aktiven (könnte aber auch am Kortison liegen, welches das Kontrastmittel noch beeinflusst), der betroffene Sehnerv zeigt aber eine erhöhte Aktivität, aber keine deutliche Demyelinisierung. Meine Frage ist: Wie finde ich einen gute und engagierten Neurologen? Ich habe bei mir im Umkreis Frankfurt keine wirklich engagierten Neurologen finden können, oder die Praxen nehmen keine neue Patienten mehr auf. Gibt es Statistiken über die MS Verläufe nach Alter, Symptomen oder ähnliches? Ich bin diesbezüglich noch sehr verunsichert und versuche irgendwie herauszufinden, was mich noch erwartet. Besten Dank für Ihre Antwort.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo FS, bitte schauen Sie bei der DMSG nach, welche Praxen DMSG-zertifiziert sind. Dann dürfen Sie sich bei der Anmeldung sicherlich darauf berufen und sollten auch als neuer Patient angenommen werden. In Hessen kenne ich eine sehr aktive DMSG-Schwerpunktpraxis in Kassel. Sie beschreiben einen klassischen Verlauf einer schubförmigen MS. Ich empfehle, mit einem Immunmedikament zu beginnen.

Jack: Was würden sie einem Neudiagnostizierten raten, mit vielen Läsionen im Gehirn und Wirbelsäule. Habe riesig Angst vor PML, deshalb kommen einige Medis nicht infrage.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Jack, wenn Sie auch ein Mini-PML-Risiko vermeiden möchten, wäre aus meiner Sicht der erste Schritt ein hochdosiertes Interferon, also Rebif 44 oder Betaferon/Extavia 250. 

Hummelchen: Vielen Dank! Habe ich das richtig verstanden, dass Sie das PML-Risiko bei Tecfidera als gut kontrollierbar einstufen? Danke noch einmal!

PD Dr. Oliver Neuhaus: Eigentlich ja. Wenn die Lymphozyten alle 6 Wochen kontrolliert und über 500/µl sind, sollte kein relevantes PML-Risiko bestehen.

Jack: Was halten sie vom Coimbra Protokoll anstelle einer BT PD?

Dr. Oliver Neuhaus: Gar nichts. Hochdosiertes Vitamin D ist aus meiner Sicht nicht die Antwort bei MS. Der Vitamin D-Spiegel soll normal sein, aber sicherlich nicht erhöht.

emma: Es ist wirklich schwer mit einer Erkrankung zu leben, die nahezu jedes andere gesundheitliche Problem in den Schatten stellt. z.B. rasende Kopfschmerzen!?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Da haben Sie definitiv Recht.

Nina: Guten Abend, Ocrevus ist mittlerweile seit einem Jahr zugelassen, wie ist seither Ihre Erfahrung bezüglich der tatsächlichen Wirksamkeit bei der aktiven RRMS gegenüber den Studiendaten?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Nina, wir kennen Ocrevus zwar erst seit einem Jahr, haben aber schon viel länger Erfahrung mit Rituximab (nicht zugelassen, aber praktisch identischer Wirkmechanismus). Die B-Zell-Antikörper Ocrelizumab und Rituximab sind sehr effektiv bei hochaktiver RRMS. In den letzten Jahren haben sich aber Hinweise auf gewisse Immunnebenwirkungen gezeigt.

emma: Ist es sehr schwer bei MS die MEP Untersuchung zu bewerten? (leider am Morgen durchgeführt, wo ich die meiste Kraft habe)

PD Dr. Oliver Neuhaus: Das MEP spielt bei der Beurteilung der MS-Aktivität aus meiner Sicht keine wesentliche Rolle. Ich führe sie bei MS nur sehr selten durch. Aussagekräftiger sind VEP und SEP.

Benni: Guten Abend Dr. Neuhaus, sind Grippeähnliche Symptome möglich bei Gilenya?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Benni, sicherlich ja, habe ich bei Fingolimod (Gilenya) aber noch nicht gesehen. Die Symptome können vielleicht mit Ibuprofen 400 mg abgefangen werden. 

Jack: Kann man trotz MS eine Hormonersatzbehandlung und Operationen durchführen.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ja.

Elli: Auf der Webseite von amsel steht, dass Alemtuzumab neu überprüft wird. Was bedeutet das ?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Elli, es gab wohl doch Fälle mit überraschenden Immunnebenwirkungen. Neueinstellungen auf Alemtuzumab sollen daher vorher andere stärkere Medikamente gehabt haben. Wer auf Alemtuzumab stabil ist und es verträgt, kann es aber fortsetzen, zumal nach dem zweiten Zyklus auch einige Jahre abgewartet werden soll.

Nina: Vielen Dank. Wie lang wäre die Wartezeit nach Ocrevus bis ein anderes Medikament versucht werden könnte? Die Wirksamkeit von Ocrevus sollte doch eigentlich recht schnell ersichtlich sein, oder?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Da Ocrevus bis zu einem halben Jahr nachwirkt, würde ich pragmatisch einige Monate Wartezeit einhalten. Hier gibt es aber je nach Medikament individuelle Regeln.

Jack: Wie schätzen sie die Chancen das bald neue Medikamente zur Verfügung stehen

PD Dr. Oliver Neuhaus: Siponimod soll noch dieses Jahr kommen. Und weitere stehen für die nächsten Jahre vor der Tür. Ich denke, es wird sich weiter noch einiges tun bei der MS-Therapie. Nur müssen wir wie immer geduldig sein und die tatsächliche Marktzulassung abwarten.

chantal: Können Sie mehr zu Siponimod sagen? Für was es eingesetzt werden kann?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Chantal, Siponimod ist mit Fingolimod verwandt und wird als Tablette kommen. Es wird wohl nur für die SPMS zugelassen werden. Zur Studienlage siehe unten.

Schneeflocke: Muss bei einer bisher schubartig verlaufender MS ein Medikament eingenommen werden oder reicht eine Akutbehandlung mit Cortison bei einem neu auftretenden Schub aus? (1.Schub im Jahr 2015, 2.Schub im Dezember 2018, Diagnose der MS im März 2019)

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Scchneeflocke, ich empfehle klar und eindeutig den Beginn mit einem Immunmedikament. Mit Medikament ist die Chance eines auch künftig stabilen Verlaufes größer als ohne Medikament.

emma: Kann man eine Läsion im Lachzentrum haben? Es gibt Situationen in denen ich nicht stoppen zu lachen, falls ich nicht sitze falle einfach um.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Das "Lachzentrum" ist im Gehirn noch nicht definiert worden. Lachen Sie bitte weiter...

chantal: Egal welche SPMS? Oder gibt es bei SPMS keine Schübe mehr?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ich kenne den Zulassungstext noch nicht. Wie bei allen Immunmedikamenten wird auch Siponimod bei SPMS mit Schüben und mit MRT-Aktivität wirksamer sein als ohne.

chantal: DAnke für Ihre Antworten.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Bitte.

Benni: Guten Abend Dr. Neuhaus, wird Opicinumab (Anti-lingo) einen Schaden am Sehnerv reparieren können, der schon 10 Jahre zurückliegt oder träume ich?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Benni, da müssen wir noch sehr vorsichtig sein. Auch ich träume hier noch. Aber Anti-Lingo kann tatsächlich zum ersten Mal auch "Reparatur" anbieten. Bitte warten wir auch hier die Zulassung ab.

Myriam S.: Vielen Dank. Ich werde versuchen Beta Interf od. Glatir. meiner Aertzin "umzustimmen" statt wie erwähnt schon mit Gilenya anzufangen. Wie lange muss mind. bei der Therapie bleiben? Bedeutet gewisse weiter Läsionen innerhalb gewisse Zeit, die Therapie hat nicht gewirkt auch ohne merkbare Schübe also "nur" auf MRT ersichtlich. wie oben erwähnt habe trotz Tecfidera neue Läsionen bekommen

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ich würde bei neuen Medikamenten nach einem halben Jahr ein neues Status-MRT machen lassen (die Übergangsphase kann auch mal einen neuen Fleck machen) und dann jährlich. Die neuen MRTs sollen dann mit dem Status-MRT verglichen werden. Wenn hier keine neuen Flecken kommen, ist alles OK.

emma: Wie weit ist die Entwicklung zu den Labortests zur Diagnose bei MS?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Noch immer nicht eindeutig. Die MS-Diagnose beruht weiter auf mehreren Parametern (McDonald-Kriterien).

emma: Ich hatte mal bzgl. Alpha-Liponsäure gelesen, gibt es hierzu neues?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ich weiß hier nichts neues.

emma: Meine Handschrift verschlechtert sich stetig, ist das als Schub zu bewerten?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Nein. Ergotherapie kann das verbessern.

emma: Kennen Sie die niedrige Dosis für Fampyra in Apothekenzubereitung? Ich vertrage diese hohe Dosis leider nicht.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Fampyra hat 10 mg retardiertes 4-Aminopyridin. Apotheken können natürlich geringere Dosen wie 5 mg zubereiten.

emma: Danke für Ihre Antworten & frohe Ostern!

PD Dr. Oliver Neuhaus: Bitte.

FS: Wie sehen Sie eigentlich die Staammellentherapie, zu der einige Menschen sich auf eigene Kosten in Russland behandeln lassen. Anscheinend hat dies - neben großen Risiken bei der Chemo - das Potenzial, eine MS zu stoppen. Eine andere Studie der Uni-Hamburg lässt mich misstrau werden, was die Fortschritte der MS-Behandlung angeht. Nach ersten Erfolgen wurden die dringend notwendigen Forschunggelder gestrichen. Zum Glück wird die Studie nun unter dem Begriff ETIMSred in der Schweiz fortgeführt. Ich habe stark den Eindruck, dass die Pharma-Industrie deutlich an der fortlaufenden Abhängigkeit der Patienten und maximal an dem Stoppen der MS unter fortlaufender Medikamentengabe interessiert ist. Eine wirkliche Heilung würde ja bedeuten, dass ein sehr lukrativer und anhaltend Gewinne produzierender Geschäftszweig wegbrechen würde. Wie sehen Sie die Erkenntnisse?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ich teile Ihre Schlussfolgerung nicht. Keine Pharmafirma kann sich erlauben, eine mögliche heilende Therapie einer chronischen Erkrankung zu behindern.

Moderator Jutta Hirscher: Liebe Chatter, die Zeit ist vorbeigerast. Danke für Ihre Fragen und ein riesengroßes DANKE an unseren heutigen Experten, PD Dr. Neuhaus für seine Zeit und seine Antworten. Der Chat wird nun geschlossen, bitte keine Fragen mehr einstellen. Wenn es weitere Fragen gibt, können diese gerne an info@amsel.de gerichtet werden. Am 21. Mai öffnet der nächste Chat. Bis dahin wünschen wir eine möglichst gute Zeit und schon einmal frohe Ostertage.

Redaktion: AMSEL e.V., 17.04.2019