Neuroschutz und -regeneration

20.05.09 - Auf die richtige Balance des körperlichen wie des geistigen Trainings kommt es an, so Prof. Dr. Michael Sendtner im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Schönen guten Abend, liebe Chatter, und herzlich willkommen auch Prof. Michael Sendtner! Heute geht es um die Erforschung der MS, schießen Sie los!

Sabine Claßen: gibt es Therapeutika, die Nerven regenerieren können ?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Sabine, leider gibt es solche Therapeutika noch nicht. Das hat damit zu tun, dass die Regeneration sehr komplex ist. Nervenzellen müssen vor dem Zelltod geschützt werden, die Nervenzellfortsätze sollen regenerieren, und dürfen nicht durch Gliazellen oder andere Zellen behindert werden. Es gibt aber verschiedene Ansätze, solche Therapeutika zu entwickeln, und einige solche Substanzen werden derzeit klinisch getestet.

 
 
Prof. Dr. med. Michael Sendtner
 
 
 

Vorstand des Instituts für Klinische Neurobiologie, Universitätsklinikum der Universität Würzburg.

  • Der weltweit anerkannte Mediziner und Neurobiologe erhielt den Sobek-Forschungspreis 2007.
  • Einer der Forschungsschwerpunkte: die MS sowie diesem Krankheitsbild zugrundeliegende zelluläre Fehlfunktionen.
  • "Grundlagenforschung von höchster Relevanz für die Fortentwicklung medizinischer Behandlungsmethoden", so Prof. Dr. Peter Frankenberg, baden-württembergischer Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst über den Forscher.
  • Sobek-Preis für Pionierarbeiten auf dem Gebiet der Erforschung neurotropher (die "Nerven ernährender") Faktoren.


Sandra: hallo prof. sendter, wie soll ich unter dem thema verstehen? gibt´s alternative medizin, die man/frau keine spritze mehr braucht? wie kann ich mich vor schüben schützen? danke vorab für die antworten...

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Sandra, es gibt auch aus der Grundlagenmedizin einige überraschende Erkenntnisse, dass z.B. neuronale Aktivität für die Aufrechterhaltung von Nervenzellen und insbesondere von Synapsen und Nervenzellfortsätzen eine große Rolle spielt. Da gibt es Ansätze für alternative Behandlungsstrategien. Man ist aber noch weit davon entfernt, wirksame Behandlungskonzepte vorzulegen.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, um die Wartezeit zu verkürzen, können Sie auch gern über das Feld "Allgemeiner Beitrag" Fragen in die Runde stellen. Derzeit sind 7 Chatter angemeldet.

Tom: Kann ich durch meine Verhaltensweise die Degeneration verzögern und eine Regeneration unterstützen. Liege hier Ergebnisse vor, die helfen die Zeit bis zu eine "fertigen" Medikament zu überbrücken?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Tom, Es ist aus der Grundlagenforschung bekannt, dass neuronale Aktivität Synapsen erhält, und auch von anderen neurodegenerativen Erkrankungen weiß man, dass ein geistiges "Fitnesstraining" sehr wohl einen positiven Einfluss auf den Krankheitsprozess haben könnte. Allerdings ist es gerade bei der MS auch wichtig, sich so zu verhalten, dass das Immunsystem nicht "entgleist". Wenn man Nervenzellen in Zellkultur mit Glucocorticoiden behandelt, findet man erhöhten Nervenzelltod, und in den Bereichen des Gehirns wie dem Hippocampus, in dem Nervenzellen neu geboren werden, ist diese Neuroneogenese unter Glucocorticoidwirkung (Stress) stark reduziert. Auf die richtige Balance kommt es an. Leider gibt es noch keine optimierten Programme für Patienten, und auch keine sicheren Ergebnisse aus klinischen Studien, die solche Effekte zeigen.

Moderator Patricia Fleischmann: @ Sandra: Prof. Sendtner wird Ihnen gewiss auch gleich antworten, doch von Seiten der Redaktion schon mal so viel: Heute Abend bewegen wir uns auf dem Gebiet der Forschung. Bis aus Forschungsergebnissen Medikamente werden, vergehen normalerweise etliche Jahre. Nicht nur die Wirkung, sondern vor allem Nebenwirkungen der Mittel müssen genau überprüft werden.

Moderator Patricia Fleischmann: @ alle: Über "Allgemeiner Beitrag" können Sie sich untereinander austauschen, z.B. über MS-Nachrichten aus dem Gebiet der Forschung.

Paula: Hallo Prof. Michael Sendtner, gerne hätte ich von Ihnen gewußt, ob ich mich auf meinen Leitsatz "in ca. 10 Jahren wird MS heilbar oder zumindest zu stoppen sein" verlassen kann. Das ist so mein Glaube auf den ich mich stütze und hoffe. Ich habe erst seit September 2008 die Diagnose und bis zu diesem Zeitpunkt 2 Schübe mit geringen Gehproblemen auf der rechten Seite gehabt. Hat sich alles wieder zurückgebildet und seit Februar diesen Jahres spritze ich Betaferon und vertrage es eigentlich ganz gut. Da sich die Krankheit aber bekanntlicherweise in den nächsten Jahren verschlechtern wird, habe ich etwas Angst davor bald nicht mehr richtig laufen zu können und Sport zu betreiben! Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie mir Mut machen und Neues zu berichten haben, was so in Zukunft in der MS Forschung passieren wird . Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Paula, ich bin als Forscher Optimist und überzeugt, dass man in 10 Jahren bei der Behandlung der MS weiter sein wird als jetzt. Ob man dann die Krankheit wird heilen können, oder einen Stillstand erreichen kann, weiß keiner. Aus meiner Sicht macht die MS-Forschung gerade auf dem Gebiet der Neuroprotektion gute Fortschritte. Vor wenigen Jahren kannte man die Mechanismen noch gar nicht, die zur Synapsen- und Axon-Degeneration führen, und zur Zeit hat man schon erste Substanzen wie 4-aminopyridine in der klinischen Testung. Hier gibt es aus einer ersten Multi Center Studie aus den USA und Kanada, die im Juni 2008 veröffentlicht wurde, schon ermutigende erste Ergebnisse, auch wenn diese noch bestätigt werden müssen. Andere Wirkmechanismen (neurotrophe Faktoren) werden derzeit in Tiermodellen erprobt, auch hier gibt es Fortschritte, die man möglicherweise in nicht allzuferner Zeit in die Klinik einbringen kann. Ich bin ganz optimistisch, dass die Behandlungsmöglichkeiten sich verbessern werden.

noki: Guten Abend! Kann man vielleicht durch bestimmte Nahrungsmittel (Nüsse?) den Nerven etwas gutes tun bzw. ihnen beim "Reparieren" helfen? Wie kann ich meine Selbstheilungskräfte "aktivieren"?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Eine gesunde und ausgeglichene Ernährung hat nicht nur einen positiven Einfluss auf der Seite des Immunsystems. Nüsse haben sehr viele Lipide, und können ein Beitrag sein zu einer ausgeglichenen und gesunden Ernährung. Eine direkte neuroprotektive Wirkung ist, soweit ich weiß, noch nicht nachgewiesen worden.

Moderator Patricia Fleischmann: @ noki: A propos "Selbstheilungskräfte stärken": Die AMSEL hat dazu ganz druckfrisch eine Broschüre herausgegeben. Zu bestellen unter www.amsel-shop.de.

Sandra: und die psychischen "Nebenwirkungen" auf das eigene? erschweren sie die regeneration?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hier weiß man noch sehr wenig. Es gibt Hinweise aus der Depressionsforschung, dass mit Modellen für akuten und chronischen Stress die Expression von neurotrophen Faktoren in bestimmten Hirnregionen reduziert ist, und von anderen Experimenten weiß man, dass z.B. Antidepressiva die Expression dieses neurotrophen Faktors (Brain-derived neurotrophic factor) wieder erhöhen. Es gibt noch zu wenig Erkenntnisse, wie die BDNF-Expression im Gehirn den Verlauf der Multiplen Sklerose beeinflusst, dazu werden derzeit von verschiedenen Arbeitsgruppen Experimente durchgeführt. Man kann jedoch auf der Basis der bekannten Untersuchungen vermuten, dass die psychische Befindlichkeit die Expression von schützenden neurotrophen Faktoren wie BDNF beeinflusst, und dass eine reduzierte Expression von BDNF möglicherweise auch einen Einfluss auf den Verlauf einer entzündlichen Erkrankung wie der Multiplen Sklerose hat.

Moderator Patricia Fleischmann: Und abermals der Hinweis: Chatten Sie ruhig auch untereinander. Einfach Beitrag in "Allgemeiner Beitrag" schreiben, abschicken, und die andern können darauf antworten...

Kerstin: Lieber Prof. Sendtner, soviel ich verstanden habe, sind es die falsch programmierten T-Zellen, die die Myelinscheiden radikal angreifen und somit Entzündungsherden verursachen. Wie sieht es mit den Methoden aus, die die falsch programmierten T-Zellen erkennen und zerstören? Gibt es diese Methoden, und falls ja, wie sieht das Ergebnis dieser Erprobung aus?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Kerstin, die Suppression fehlgesteuerter T-Zellreaktivität ist im Moment die am besten erforschte Behandlungsstrategie, z.B. mit Beta-Interferon, Copaxone etc.. Da solche T-Lymphozyten nicht nur große Entzündungsherde im Gehirn verursachen können, sondern direkt die Nervenzellfortsätze quasi durchtrennen, ist es wichtig, die Nervenzellfortsätze zu schützen. Gerade wenn die Markscheiden bei diesen Nervenzellfortsätzen durch T-Zell-"Angriffe" beschädigt sind, sind die Nervenzellen besonders vulnerabel. Man weiß, dass neuronale Aktivität einen relativen Schutz in einer solchen Situation vermitteln kann, und es gibt derzeit Substanzen, die Kalium Kanäle blockieren (z.B. 3-4diaminopyridine), man stellt sich vor, dass sie so die Nervenzellfortsätze besser erregbar machen, diese Substanzen werden derzeit klinisch bei MS Patienten getestet. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse.


Allgemein - noki: Ist die Broschüre gut?



Allgemein - Kerstin: hallo @alle! nehmt ihr auch copaxone? ich nehme es, und mir ist aufgefallen, dass nach gut einem halben jahr die hautstruktur sich ziemlich verschlechtert hat (jede menge rote flecke, pickel und rauhe stellen). habt ihr das auch?


Brigitta: Sehr geehrter Herr Prof. Sendtner, ich habe mich vermehrt mit der Neuroplastizität auseinander gesetzt. Ist es richtig, dass ich verloren gegangene Funktionen durch intensives "Andenken" der Regionen, wieder beleben kann. Wenn ich das richtig verstanden habe, werden dann sogenannte Umleitungen gebaut. ich hoffe, Sie verstehen was ich meine. Gruß Brigitta

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Brigitta, das ist im Prinzip richtig. Neuronale Aktivität hilft, inaktive Synapsen zu rekrutieren, bestehende Synapsen zu verstärken und zu stabilisieren. Man vermutet, dass solche Synapsen bei einer "Attacke" von T-Lymphozyten auch resistenter sind. Das Problem scheint das "Andenken der Region" zu sein. Komplexe Denkvorgänge involvieren sehr unterschiedliche Bereiche des Gehirns, die durch Faserbündel miteinander in Verbindung stehen. Diese Bündel können bei der MS leicht angegriffen werden, da sie in der Regel myelinisiert sind, und über die Plastizität solcher langer Faserverbindungen, wenn sie bei der MS lädiert werden, weiß man im Moment noch zu wenig. Das ist derzeit ein wichtiges und sehr stark beforschtes Thema.

Moderator Patricia Fleischmann: @noki: Die Broschüre gibt einen kleinen Einblick in die Möglichkeit, positiven Einfluss auf den eigenen Körper zu nehmen, neue Wege zu gehen. Drei Konzepte werden vorgestellt: Klassische Homöopathie, Visualisierung und Lachyoga. Außerdem gibt es Literaturtipps und Adressen.

Moderator Patricia Fleischmann: Kerstins allgemeine Frage ist schon etwas nach unten gerutscht, daher von mir die Anregung für eine Diskussion unter den Chattern: Welche Therapie verfolgen Sie? Medikamentös, physiotherapeutisch, Ernährung...

Moderator Patricia Fleischmann: Ach ja: Bitte einfach ins Feld "Allgemeiner Beitrag" schreiben, dann können alle mitdiskutieren.

Kerstin: Lieber Prof. Sendtner, ja da bin ich auch sehr gespannt. Sie meinen also, dass die Behandlung sich auf die Förderung des Aktionspotenzials konzentrieren soll? Das wäre aber dann ein, sagen wir mal, unaufhörliches Tischtennisspiel. Die Axone gegen die T-Lymphozyten zu schützen, stelle ich mir als einen sehr großen Aufwand vor, vor allem, wenn es nicht möglich ist, die Ursache direkt zu behandeln.

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Kerstin, Ursache und Wirkung können bei der MS sehr komplex zusammenspielen, und das klinische Bild im Spätstadium der Erkrankung ist nicht nur eine Folge des ursächlichen Defekts, sondern auch anderer sekundärer Veränderungen, wie z.B. der Reaktivität von Mikroglia und Astrozyten. Nur ein Beispiel: Bei einem aktuten Schub der MS kann eine bestimmte Funktion (z.B. Sehen auf einem Auge, oder Motorik eines Beins) verloren gehen. Wenn die Axone der Nervenzellen in der Region mit der Entzündung aber weitgehend geschützt sind, besteht ein relativ großes Regenerationspotential, sobald der Schub akut abgeklungen ist. Wenn die Axone alle durchtrennt sind, ist das Regenerationspotential relativ niedrig. Auch das würde den Krankheitsverlauf sehr stark beeinflussen.


Allgemein - Brigitta: Ich lege sehr großen Wert auf Ernährung und auf meine seelisches Gleichgewicht.



Allgemein - Sandra: welche ernährung?



Allgemein - Sandra: vegetarisch, viel fisch?



Allgemein - Brigitta: kein fleisch, viel rohes Gemüse, 1 bis 2 Mal in der Woche Fisch, gänzlich verzichte ich auf Fertigprodukte.



Allgemein - Sandra: seit wann hast du ms?



Allgemein - Brigitta: mein brot backe ich meist selber, mit vielen saaten und schrot und vollkornmehl



Allgemein - Brigitta: Ich habe die ppms und weiß es seit 4 jahren. werde nächsten Monat 56


Brigitta: Danke für Ihre Antwort, auf jeden Fall kann es nicht schaden, diesen meinen Weg weiter zu gehen. Und es ist erfreulich, dass dieses Thema stark beforscht wird. Ihnen noch einen angenehmen Abend und danke, dass sie mit uns chatten. Brigttta

Prof. Dr. Michael Sendtner: Das mache ich sehr gern. Danke auch Ihnen für Ihre Beiträge!


Allgemein - Sandra: hab ms - aber genaue ms-"sorte" weiß ich noch nicht... diagnose hab ich erst seit jan. 2008



Allgemein - Brigitta: @ sandra, die ppms ist die ohne Schübe, von Anfang an schleichend


Moderator Patricia Fleischmann: @ Prof. Sendtner / @ Sandra: Sandra hat ganz unten noch eine Anschlussfrage offen. Vielleicht können Sie die etwas genauer ausführen, Sandra?

Elke: Guten Abend Dr. Sendter, wenn Sie von neuronaler Aktivität sprechen, meinen Sie damit Gedankentätigkeit oder auch körperliche Bewegungen ?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Elke, damit ist auch körperliche Bewegung gemeint.

Tom: "Neuronale Aktivität hilft, inaktive Synapsen zu rekrutieren, bestehende Synapsen zu verstärken und zu stabilisieren. " hört sich vielversprechend an. Sie beschreiben hier eine "Richtung" (vom Gehirn zu den Nerven". Ist der umgekehrte Weg (vom Muskel zu den Nerven) auch möglich? Anders formuliert: Kann ich degenerierte Nervenbahnen stabilisieren/aktivieren, indem ich von aussen Impulse gebe, also zum Beispiel über eine Elektrostimulation arbeite oder mechanisch "reize" (Stichwort Rüttelplatte)?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Tom, man hat das bei Motoneuronerkrankungen, bei denen ja selektiv die motorischen Axone im peripheren Nervensystem - die ja bei der MS nicht betroffen sind - und die zentralen motorischen Nervenzellen, die von der Hirnrinde zum Rückenmark laufen, die bei beiden Erkrankungen betroffen sind, untersucht. Die Ergebnisse sind noch nicht endgültig, aber es gibt bisher keine klaren Hinweise, dass die Elektrostimulation der Muskulatur den degenerativen Prozess verlangsamt. Zur Zeit laufen mehrere klinische Studien, bei denen Patienten mit Spastik, darunter auch MS Patienten z.B. auf Laufbändern gezielt trainiert werden. Ich kenne die Ergebnisse noch nicht, aber das wird sicher spannend. Es gibt auch eine erste Studie zur transkraniellen Magnetstimulation bei der Multiplen Sklerose, man hat bei einzelnen Patienten, die behandelt wurden, auch Effekte gefunden, allerdings waren nur sehr wenige Patienten beteiligt, und man kann nichts über Langzeitwirkungen aussagen.

Babel: Hallo Prof. Sendtner, vor kurzen gab es einen Bericht der Berliner Charité, dass Grüner Tee eine neuroprotektive Wirkung hat. Seitdem hat man davon nichts mehr gehört. Ist die Forschung daran eingestellt worden?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Ich habe diese Forschung nicht im Detail verfolgt, weiß, dass in der Abteilung von Frau Prof. Zipp nach Bestandteilen im grünen Tee gesucht wurde, und man hat eine Substanzklasse, sogenannte Flavanoide identifiziert, die sowohl das Immunsystem beeinflussen können als auch direkt auf Nervenzellen neuroprotektiv wirken könnten. Der große Vorteil solcher Substanzen, im Vergleich z.B. mit neurotrophen Faktoren besteht darin, dass sie relativ gut ins Nervensystem gelangen können. Ich hoffe sehr, dass diese klinischen Studien weitergeführt werden, vielleicht auch parallel dazu Studien, bei denen die identifizierten Wirksubstanzen getestet werden. Das wäre auch für die Grundlagenforschung interessant, die dann die zellulären Mechnismen aufklären kann, wie solche Substanzen wirken.

Kerstin: Lieber Prof. Sendtner, jetzt ist mir einiges klarer geworden. Vielen Dank dafür! Welche Methoden gibt es heutzutage bzw empfehlen Sie, die das Regenerationspotenzial mittels "Axonenstärkung" unterstützen?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hier weiß man noch sehr wenig. Es gibt Hinweise aus der Depressionsforschung, dass mit Modellen für akuten und chronischen Stress die Expression von neurotrophen Faktoren in bestimmten Hirnregionen reduziert ist, und von anderen Experimenten weiß man, dass z.B. Antidepressiva die Expression dieses neurotrophen Faktors (Brain-derived neurotrophic factor) wieder erhöhen. Es gibt noch zu wenig Erkenntnisse, wie die BDNF-Expression im Gehirn den Verlauf der Multiplen Sklerose beeinflusst, dazu werden derzeit von verschiedenen Arbeitsgruppen Experimente durchgeführt. Man kann jedoch auf der Basis der bekannten Untersuchungen vermuten, dass die psychische Befindlichkeit die Expression von schützenden neurotrophen Faktoren wie BDNF beeinflusst, und dass eine reduzierte Expression von BDNF möglicherweise auch einen Einfluss auf den Verlauf einer entzündlichen Erkrankung wie der Multiplen Sklerose hat.


Allgemein - noki: Hallo Paula! Bitte hab keine Angst, dass alles so schnell so viel schlimmer wird! Meine Mutter hat MS schon seit Ewigkeiten und hat absolut keine Probleme. Bei mir selbst sieht es etwas anders aus, aber es ist nicht umsonst die Krankheit mit den 1000 Gesichtern.


Elke: Danke für Ihre Antwort. Das richtige Mass in der körperlichen Bewegung für mich zu finden erlebe ich nur leider als schwierig. Es ist schnell zu viel und dann geht es mir schlechter. Vor allem wenn die Bewegung mit Kraftanstrengung verbunden ist. Vielleicht haben Sie auch da einen Rat ?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Elke, Ich glaube, hier gibt es keine allgemeingültigen Rezepte. Sie sollten das mit Ihrem Neurologen besprechen, und gemeinsam auf der Basis Ihrer Erfahrungen, was Ihnen gut tut und was nicht, ein für Sie optimales Programm entwickeln. Bewegung darf man auf keinem Fall mit Kraftsport und ehrgeiziger Anstrengung gleichsetzen, das wäre auf jeden Fall ein Fehler.

Andrea: Wie schätzen Sie die Bedeutung von Stress für die Regeneration/Protektion ein - bzw. die Rolle von Ruhe und Entspannung?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Hallo Andrea, man kennt die Zusammenhänge noch nicht bis ins kleinste Detail. Man weiß aber, dass Stresshormone (Glucocorticoide) Nervenzellen vulnerabler machen. z.B. in Zellkultur kann man mit einer hohen Konzentration von Glucocorticoiden Zelltod bei Nervenzellen induzieren. Man vermutet, dass solche Mechanismen auch z.B. Störungen des Gedächtnisses unter Stresssituationen zugrunde liegen. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass auch die Neuroneogenese im Hippocampus durch solche Stresshormone reduziert wird.

noki: Vielen Dank für Ihre Antworten und einen schönen Abend noch!

Prof. Dr. Michael Sendtner: Auch Ihnen einen schönen Abend!

Elke: Danke, ich meine auch gar nicht Kraftsport, sondern Treppen steigen, oder wenn ich doch mal ein paar Schritte rennen möchte, um die S-Bahn noch zu erwischen, das darf ich eigentlich nicht mehr machen, da kann ich mich dann danach kaum mehr auf den Beinen halten, die brechen einfach weg. Ja, ich muss da einfach meine Einschränkungen auch akzeptieren lernen.

Prof. Dr. Michael Sendtner: Aus der Forschung zur Rolle des neurotrophen Faktors Brain-derived neurotrophic factor auf die Aufrechterhaltung und Bildung von Synapsen im Gehirn weiß man, dass durch körperliche Aktivität die Produktion dieses Faktors steigt, aber akuter und chronischer Stress einen gegenteiligen Effekt hat, die Expression von BDNF sinkt. An diesem Beispiel zeigt sich die Ambivalenz dieses Problems: körperliche Aktivität darf nicht zum Stressfaktor werden, dies hätte dann keine positive Wirkung.

Moderator Patricia Fleischmann: zu Elkes Frage: Mit welchen Sport- oder Trainingsarten haben denn die andern Chatter gute Erfahrungen gemacht?

Moderator Patricia Fleischmann: Und noch ein Tipp aus dem Broschürengundus der AMSEL: "Energie-Fatigue-Manager" heißt eine Broschüre, die unter MS-Betroffenen wärmstens empfohlen wird. www.amsel-shop.de

Kerstin: Lieber Prof. Sendtner, können Sie mir gute Literatur die neuronale Aktivität betreffend empfehlen?

Prof. Dr. Michael Sendtner: Es gibt zu diesem Thema viele Publikationen von Eric Kandel, auch ein sehr gutes Lehrbuch, das ich meinen Studenten empfehle. Zu dem Thema gibt es auch Aufsätze von Wolf Singer, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt. Alle diese Arbeiten sind sehr empfehlens- und lesenswert.


Allgemein - Elke: Danke Patricia, die Broschüre will ich mir schon länger besorgen, ist mir schon mal empfohlen werden.


Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, schon wieder sind 90 Minuten wie im Flug vergangen und der Chat schließt für heute. Herzlichen Dank an Herrn Prof. Sendtnder und an Sie für Ihre Beiträge hier. Am Dienstag, 2. Juni geht es weiter, noch nicht ganz offiziell, doch höchst wahrscheinlich mit Prof. Alfred Lindner zur Therapie der MS. Ihnen allen einen wunderbaren restlichen Abend und immer ein kühles Plätzchen morgen. Es soll ja recht warm werden.

Moderator Patricia Fleischmann: @ Elke: Einfach über den Shop bestellen oder auch bei der AMSEL anrufen. Nummern stehen im Netz.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, Prof. Sendtner ist bereits auf dem Weg zu einem weiteren Termin, darum müssen wir heute Abend sehr pünktlich schließen. Die offenen Fragen werden auf jeden Fall Anfang kommender Woche im Chatprotokoll nachgetragen. Ich danke jetzt schon für Ihre Geduld und wünsche, auch im Namen Prof. Sendtners, allen nochmals einen wunderschönen Abend.

Redaktion: AMSEL e.V., 26.05.2009