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Neue Medis gegen Multiple Sklerose: Was kommt auf uns zu ?

Die Fumarsäure schaffte es bis ins Heute Journal. Auch wohl dieses Jahr kommen auch Teriflunomid und Alemtuzumab, Anfang 2014 vermutlich Laquinimod, so PD Dr. Oliver Neuhaus im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Hallo alle miteinander ! Willkommen zum Expertenchat der AMSEL. Heute antwortet Dr. Oliver Neuhaus zum Thema "Neue Medikamente bei Multipler Sklerose".

alina: Guten Abend, wann kommt denn nun die Fumarsäure?

PD Dr. Oliver Neuhaus: man rechnet diesen Sommer mit der Zulassung. Konkreter weiß ich es nicht.

PD Dr. Oliver Neuhaus

2006 Abschluss des Habilitationsverfahrens an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit dem Thema: "Immunpharmakologie der Multiplen Sklerose – Wirkmechanismen aktueller und künftiger Therapieansätze"

  • Seit 2007 Chefarzt der Abteilung Neurologie, Kreiskrankenhaus Sigmaringen, Kliniken Landkreis Sigmaringen GmbH
  • Prof. Dr. Neuhaus wurde 2003 für seine wegweisenden Arbeiten mit dem Sobek-Nachwuchspreis ausgezeichnet.

Heike: Hallo, habe seit 1993 den schubförmigen Verlauf. 11 Jahre lang Copaxone gespritzt, zwischendurch mal für 5 Monate Rebif 22 (hatte aber nur Probleme damit) und jetzt bekomme ich seit 12/07 Tysabri (jetzt 61 Infusionen), bin JC-positiv und soll umgehend auf ein anderes Medikamet umstellen. Ging mir aber die letzten Jahre gut, hatte nur 2 x leichte Sehnerventzündungen (im Januar 2012 und im Januar 2010). Können Sie mir einen Rat geben? Herzlichen Dank

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hallo Heike, da Sie JC-positiv sind, besteht in der Tat das PML-Risiko, allerdings ist nicht klar, ob es mit der Zeit weiter ansteigt. Ich empfehle Ihnen, auf ein anderes Medikament umzustellen, spätestens ab Zulassung auf eines der oralen Medikamente.

xxmedicusxx: Herr Dr. Neuhaus, wann kommt das erste Medikament raus, das Nerven wieder heilt, also repariert?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Das wird realistisch noch viele Jahre dauern. Konkret ist leider kein "reparierendes" Medikament in Sicht.

xxmedicusxx: Repariert die Fumarsäure Nerven?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Soweit man weiß, kann Fumarsäure den Nervenzellabbau verlangsamen. Eine Reparatur ist nicht nachgewiesen.

fb: Sehr geehrter Prof. Neuhaus, Siponimod (Weiterentwicklung von Fingolimod) wird demnächst in einer Studie geprüft. Ist Ihrer Meinung nach ein Erfolg bei SPMS zu erwarten? Danke für Ihre Antwort im Voraus!

PD Dr. Oliver Neuhaus: Siponimod soll weniger Nebenwirkungen als Fingolimod haben. Der Wirkmechanismus ist ähnlich. Wie alle Medikamente wird auch Siponimod zuerst bei der schubförmigen MS geprüft und erst in einem zweiten Schritt bei SPMS. Das kann aber dauern. Ob Fingolimod oder Siponimod bei SPMS helfen, hängt wahrscheinlich vom Grad der Entzündung ab, also ob noch Schübe vorkommen oder aktive MRT-Läsionen.

carla: hallo h. neuhaus, wie bewerten sie eigentlich die tatsache, dass medikamente, die seit längerer zeit bekannt und bewährt sind, wenn auch für andere krankheiten, jetzt den anderen patienten entzogen werden und exklusiv für ms zugelassen werden? abgesehen davon, dass ich das für moralisch fragwürdig halte, zumal z.b. aspirin durchaus für mehrere krankheiten, symptome die genehmigung hat, ist es für mich auch unverständlich, dass dann ein medikament wir bg-12 zum einen für ms’ler geringer dosiert wird, gleichzeitig aber ein zigfaches des “alten” medikaments kostet. irgendwie trägt das wohl nur zur gewinnmaximierung der pharmaindustrie bei, nicht aber zu einem höheren vertrauen in die pharmamultis. dazu kommt noch das ständige hinauszögern der zulassung ... danke!

PD Dr. Oliver Neuhaus: Sie haben vollkommen recht. Das vorherige Entziehen eines "alten" Medikamentes, damit es später teuer verkauft werden kann, hat ein "Geschmäckle". Immerhin soll Alemtuzumab für die Leukämiebetroffenen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Mit Fumarat verhält es sich ähnlich. Fumaderm ist sicherlich billiger, aber nicht für die MS getestet, wird also hier nie zugelassen werden.

peter: wie kann es sein, daß die privaten krankenkassen fumarsäure für 100 euro im monat aus der apotheke verschreiben dürfen und die gesetzlichen kassen nicht?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Die Information stimmt nicht. Fumaderm darf weder bei privat Versicherten noch bei gesetzlich Versicherten verschrieben werden. Nur für Patienten mit Schuppenflechte steht es zur Verfügung.

xxmedicusxx: Kann die Fumarsäure zusätzlich zur Basistherapie mit Betaferon genommen werden? Sozusagen als positiv wirkende Ergänzung.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Theoretisch ja, aber alle neuen Medikamente werden nur zur Monotherapie zugelassen werden, also als alleiniges Medikament. In der MS spielen heute Kombinationen überhaupt keine Rolle, anders als bei anderen Erkrankungen wie z.B. Rheuma.

Markus: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Neuhaus! Man liest in ausgewählten Beiträgen, u.a. auch bei AMSEL ständig über neue Ansätze in der Forschung, über neue Erkenntnisse und die Hoffnung, diese Erkenntnisse in die MS-Therapie zukünftig integrieren zu können. Als Laie sind es ständig völlig andere, scheinbar nicht im Zusammenhang stehende Erkenntnisse und Forschungsergebnisse. Meine Frage: Gibt es Verbindungen zwischen den einzelnen Forschungseinrichtungen/Forschungsteams? Evtl. eine übergeordnete Koordinationsstelle? Oder geht es hier auch um Ruhm, als Erster mit neuen Erkenntnissen, neuen Medikamenten auf dem Markt zu sein? Gerade als Betroffener hofft man auf schnelle Ergebnisse in der Grundlagenforschung, um somit ggf. noch selbst in den „Genuß“ einer Heilung bzw. Aufhalten des weiteren Voranschreitens der Krankheit zu kommen.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Eine übergeordnete Koordinationsstelle gibt es leider nicht. Aber die klinischen Forscher und die Grundlagenforscher treffen sich regelmäßig auf Kongressen, vor allem auf dem großen MS-Kongress "ECTRIMS", um ihre Kenntnisse auszutauschen. Manchmal kommt eine Grundlagenidee tatsächlich recht schnell bis zum Patienten, wie jetzt bald Fumarsäure oder früher Interferon-beta. Aber viele Grundlagenansätze "versanden" auch, weil ihre Tests bei Tieren oder Menschen nicht erfolgreich sind.

Janet: Ich war beim Neurologen mit folgenden Symtome: Taubheitfgefühl, Krippeln, und starke Muskelkrämpfe in beiden Füße,Beine, Hände und Arme.Inkondinenz, Schluckbeschwerden,Konzentrationsbeschwerden,Gedächnisstörungen,ständige Müdigkeit,Stimmungsschwankungen,Depressionen,teilweise starkes zittern,hin und wieder sehe ich verschwommen,schwindelig und kann manchmal beim sprechen die Wörter nicht aussprechen. Der Arzt meinte ich hätt warscheinlich MS.War beim MRT für Kopf und HWS. Diagnose: Negativ! Arzt meinte keine weißen flecken im Kopf zu sehen,er meinte doch kein MS. Daher die Frage: Langt die Untersuchung vom MRT um eine MS zu 99% auszuschließen? Wenn nein? Soll ich dann den Arzt auf die Nervenwasser Untersuchung ansprechen? Wenn keine MS? Was für eine Krankheit könnte es sonst noch sein? Entschuldigung für die vielen Fragen,bin verzweifelt, da ich die Beschwerden schon sehr lange habe und die Beschwerden immer schlimmer werden und ich auf den Arzttermin 9 Monate warten mußte und dadurch meine Arbeit verloren habe und jetzt auch noch ein Umzug vor der Türe steht. Im vorraus vielen Dank für ihre Bemühung und ihre Antwort.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Bei MS findet man fast immer Auffälligkeiten im MRT. Wenn dieses negativ ist, ist der nächste Schritt tatsächlich eine Lumbalpunktion. Es ist sinnvoll, dass Sie Ihre Beschwerden gründlich neurologisch abklären lassen.

schmusie: Hallo, alle reden von Fumarsäure. Ist es denn das einzige neue Mittel was dieses Jahr auf den Markt kommen soll??

PD Dr. Oliver Neuhaus: Nein, es ist aber das bekannteste neue Medikament, weil es schon im Heute Journal war. Wohl dieses Jahr kommen auch Teriflunomid und Alemtuzumab. Anfang nächsten Jahres wird wohl noch Laquinimod kommen.

Martin: Sehr geehrter Prof. Neuhaus, welches Medikament in der Pipeline ist ihrer Ansicht nach das vielversprechendste?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Wichtige Frage, keine leichte Antwort. Fumarat hat Vorteile gegenüber Copaxone gezeigt. Teriflunomid ist in der Wirksamkeit vergleichbar mit Interferon und Copaxone. Alemtuzumab ist sicherlich das stärkste Medikament, kann aber starke Nebenwirkungen haben, so dass es wohl nur in der Eskalation zugelassen werden wird. Laquinimod ist etwas schwächer als die Basismedikamente. Man wird individuell entscheiden müssen, welches Medikament für wen das geeignetste ist.

fb: Sehr geehrter Prof. Neuhaus, Siponimod (Weiterentwicklung von Fingolimod) wird demnächst in einer Studie für SPMS an der Uni Ulm geprüft (EXPAND-Studie)! Dies nur zur Info!

PD Dr. Oliver Neuhaus: Klasse, dann kann es diesmal vielleicht schneller gehen.

peter: nein, ich meine nicht fumaderm, sondern dimethylfumarat, das sich jeder mit privatrezept in der apotheke machen lassen kann. einige private kassen übernehmen die geringen kosten. die gesetzlichen kassen nicht. warum?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Weil das in Apotheken hergestellte Dimethylfumarat nicht für die Therapie der MS zugelassen ist und deshalb von gesetzlichen Kassen nicht erstattet werden kann. Manche privaten Kassen versuchen auf diesem Weg, Geld zu sparen, aber nicht zugelassene Medikamente sind für alle Beteiligten gefährlich, auch für den verschreibenden Arzt. Ich persönlich verschreibe keine nicht zugelassenen Medikamente.

XXX: Hallo, ich spritze 3x wöchentlich Interferon. Da es immer sehr weh tut und ich immer rote Flecken bekomme, wollte ich fragen, ob es in absehbarer Zeit ein äquivalentes Medikament in Tablettenform gibt. Viele Grüße

PD Dr. Oliver Neuhaus: Interferon wird es nicht als Tabletten geben, da es im Magen seine Wirksamkeit verliert. Gerade wird eine Interferonform getestet, die man nur alle vier Wochen spritzen muss. Alternativen in Tablettenform sind die erwähnten hoffentlich bald zugelassenen neuen Medikamente.

AndyZ: Sehr geehrter Prof. Neuhaus, zusätzlich zu MS habe ich noch Morbus Bechterew. Können Sie mir mitteilen ob für mich Teriflunomid oder BG12 besser geeignet ist. Welches Medikament ist unabhängig davon zu bevorzugen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Diese Frage ist für Ihren Rheumatologen wichtig. Teriflunomid ist mit dem Rheumamedikament Leflunomid verwandt, weshalb es vielleicht bei beiden Erkrankungen hilfreich sein kann. Allerdings ist Bechterew nicht die klassische Rheumatoide Arthritis, für das Leflunomid eingesetzt wird.

Lina: Können Sie etwas über das Nebenwirkungs-Spektrum von Teriflunomid sagen im Vergleich zur Fumarsäure? Vielen Dank!

PD Dr. Oliver Neuhaus: Teriflunomid wird meist gut vertragen und macht - obwohl es aus der Klasse der Immunsuppressiva kommt - keine stark erhöhten Infektionsraten. Die wichtigste Nebenwirkung ist, dass es Embryos schädigen kann, weshalb man bzw. frau nicht unter Teriflunomid schwanger werden darf. Falls es doch passiert, muss man Teriflunomid aus dem Körper entfernen, indem ein zweites Medikament, Cholestyramin, für einige Tage genommen wird. Fumarsäure kann Magen-Darm-Nebenwirkungen machen und den so genannten Flash, also eine harmlose aber sehr unangenehme Rötung der Haut mit Herzklopfen und Hitzewallung. Letzteren kann man übrigens wahrscheinlich durch das Einnehmen von Acetylsalicylsäure 100 mg verhindern.

Moderator Patricia Fleischmann: @ Markus - kleine Ergänzung: Was sich im Bereich der MS-Forschung tut ist zweifellos spannend. Die AMSEL-Onlineredaktion bemüht sich, Nachrichten über Wirkstoffe in Studien und erst recht über Grundlagenforschung auch ins rechte Licht zur rücken. Daher finden Sie bei uns viele "könnte" "würde" "sollte". Und einige Fragezeichen. Außerdem der Hinweis, dass noch so rosig klingende Laborerfolge bis zum marktreifen Medikament einige Jahre durchmachen müssen. Falls sie nicht vorher schon mangels Wirkung oder zu heftiger Nebenwirkungen raufallen. Andere Medien lassen den Konjunktiv gern weg. Das finden wir verantwortungslos. Nur: Sie wissen es oft nicht besser. So entstehen dann auch Nachrichten wie Ole (DSDS) habe eine "tödliche" Krankheit. Und das Vorurteil in der breiten Bevölkerung auszumerzen kostet uns wiederum Jahre an Aufklärungsarbeit...

Lina: Welche Vorteile hat Fumarat gegenüber Copaxone, abgesehen von der oralen Einnahme?

PD Dr. Oliver Neuhaus: In der Studie, in der Fumarat gegen Placebo getestet wurde, wurde von einer Patientengruppe auch Copaxone genommen. Diese Studie war aber keine korrekte Vergleichsstudie, denn die Copaxone-Patienten wussten, dass sie Copaxone nahmen. Die Fumarat-Patienten oder Placebo-Patienten wussten es nicht. Fumarat hat hier eine bessere Wirkung als Copaxone gezeigt.

Martin: Verstehe ich die Aussage also richtig, dass bei erfolgter Zulassung von Fumarat dieses Medikament der Basistherapie mit Interferon bei schubförmiger MS vorzuziehen ist?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Voraussichtlich wird es als Medikament der ersten Wahl empfohlen werden. Ein direkter Vergleich mit Interferon, das weiterhin Medikament der ersten Wahl bleiben wird, ist bislang nicht erfolgt. Wer auf Interferon völlig stabil ist, also keine Schübe hat, keine schleichende Verschlechterung und keine MRT-Veränderung, kann sicher bei Interferon bleiben, sofern er es verträgt.

schmusie: Fumarsäure, Laquinimod, Teriflunomid und Alemtuzumab. Sind diese alle oral einzunehmen? Das spritzen ist auf dauer ziemlich lästig.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Fumarsäure, Teriflunomid und Laquinimod werden orale Medikamente sein. Alemtuzumab wird als Infusion gegeben werden, und zwar über wenige Tage, dann ein ganzes Jahr gar nicht, dann wieder wenige Tage, und dann wahrscheinlich mehrere Jahre nicht mehr. Grund ist, dass es so stark im Immunsystem eingreift. Wegen der Nebenwirkungen wird es aber sicher nicht Medikament der ersten Wahl sein.

peter: meines wissens ist die bald zugelassene fumarsäure von biogen dimethylfumarat. alles andere wäre mir neu.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ja, das Biogen-Medikament ist Dimethylfumarat und nichts anderes.

goldfisch: Hallo! Kann das in der Apotheke hergestellte Dimethylfumarat denn das noch nicht zugelassene Medikament ersetzen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Nein, denn es wird nicht zugelassen werden.

Lina: Hallo, ich habe gehört, dass es eine Studie gibt, i der Copaxone in doppelter Dosis getestet wird, also zum 3x spritzen statt täglich. Können Sie mehr dazu sagen? wo wird dies gemacht, wann wird es da Ergebnisse geben?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Bei Copaxone ist die Standarddosis 20 mg täglich. Eine frühere Studie mit 40 mg täglich zeigte keine Vorteile, weshalb an der Copaxone-Dosis wohl nicht mehr gerüttelt werden wird.

Martin: Gibt es auch Fortschritte MS zu diagnostizieren?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Grundsätzlich gibt es hier wenig Neues. Man muss Alternativen ausschließen, fordert mindestens einen Schub, typische MRT-Auffälligkeiten und in Deutschland eine Liquoruntersuchung mit typischen Ergebnissen.

XXX: Hat diese Interferonform, die man alle vier Wochen spritzen muss schon einen Namen? Danke

PD Dr. Oliver Neuhaus: Es ist ein so genanntes "pegyliertes" Avonex, also eine Form, die länger im Körper wirksam bleibt.

Lina: In welcher Dosierung wird Fumarat empfohlen werden?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Da ich von zu Hause chatte, weiß ich es nicht exakt auswendig. Ich glaube, 2 x 240 mg täglich.

Lina: Welche Empfehlungen der Dosierung oder Einnahme gibt es für Fumarat, um die Magen-Dramstörungen möglichst gering zu halten?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Wenn man Fumarat zusammen mit Milch oder einem Milchprodukt einnimmt, sollen die Magen-Darm-Probleme weniger sein. Dies ist wahrscheinlich nur im ersten Monat nötig, da sich diese Nebenwirkungen in der Regel dann verlieren.

peter: naja, ich habe mich undeutlich ausgedrückt: wird biogen nach der zulassung in der lage sein, die herstellung vom günstigen dimethylfumarat aus apothekenherstellung) zu unterbinden? schließlich hat biogen den stoff ja nicht entwickelt, den gibt es ja schon seit jahrzehnten im großhandel. (vielen dank für ihre geduld ;) )

PD Dr. Oliver Neuhaus: Tatsächlich kann man im "Chemiehandel" Dimethylfumarat für wenige Cent kaufen. Dies wird nicht durch Biogen unterbunden werden können. Aber jedes "selbst" hergestellte Dimethylfumarat wird nicht zugelassen sein.

goldfisch: Also verstehe ich das richtig: Der Wirkstoff (Dimethylfumarat) ist derselbe, aber weil es ein Mittel gegen eine andere Erkrankung ist, darf es nicht zur Behandlung von MS-Patienten verschrieben werden bzw. wird dafür nicht zugelassen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Das "Apotheken"-Dimethylfumarat ist für keine Erkrankung zugelassen. Zugelassen ist nur Fumaderm für die Psoriasis, das zwei Wirkstoffe beinhaltet.

Lina: Welche Medikamente stehen zur Verbesserung der Gehfähigkeit zur Verfügung. Womit läßt sich evtl. eine Verlängerung der Gehstrecke bewirken, eine Kräftigung der Beine? Kann man von den neuen Medikamenten außer Aufhalten der Progression auch Verbesserungen in der Symptomatik erhoffen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Für die Gehfähigkeit ist für alle Formen der MS Fampridine (Fampyra) zugelassen, wirkt aber nur bei manchen Betroffenen. Deshalb ist hier ein 14-Tages-Test sinnvoll; wenn es wirkt, dann deutlich, und dann kann das Medikament fortgesetzt werden. Von den neuen Medikamenten gibt es noch keine Informationen über eine Wirksamkeit auf die Gehfähigkeit selbst, außer, dass Schübe seltener werden. Verbesserungen der Symptome sind eher durch Physiotherapie oder symptomatische Medikamente zu erwarten.

Moderator Patricia Fleischmann: @ Martin: Morgen berichten wir auf amsel.de über eine neue MRT-Methode, entwickelt in Cleveland, die helfen könnte, MS schneller zu diagnostizieren. Für die MS-Patienten von heute gilt wie bei vielen News über Multiple Sklerose, oben hab ich das schon erwähnt: Momentan ist das Zukunftsmusik. Aber die Forschung von heute bringt halt die Verbesserung von morgen.

Martin: Herr Prof. Neuhaus, kann man schon einen Blick auf die übernächste Generation an Medikamenten riskieren? Welche Art bzw. was kommt da auf uns zu?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Die übernächste Reihe, also Medikamente, die jetzt in so genannten Phase II-Studien sind, sind auch immunmodulierende oder immunsuppressive Medikamente, hoffentlich mit besserer Wirksamkeit oder besserer Verträglichkeit als die vorhandenen Medikamente. Vielleicht sind auch Wirkstoffe für die Primäre MS dabei. Heilende Medikamente sind leider nicht in Sicht.

Salla: Wie sind denn die geschätzten Preise der neuen Medikament

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ich weiß es nicht konkret, aber sicherlich in der Größenordnung der jetzigen Medikamente oder etwas höher, also um die 1000 Euro pro Monat. Neuerdings können die Behörden die Preise nach einem Jahr wieder senken, wie aktuell bei Fampyra, sofern kein "Zusatznutzen" bewiesen ist, aber dieses Verfahren ist umstritten.

goldfisch: Welche Wirkstoffe enthält das erwähnte Fumarat? und welche Nebenwirkungen hat es? Muss man eine spezielle Diät einhalten, um die Wirkung nicht zu beeinträchtigen? ist Fumarsäure nicht auch ein körpereigener Stoff?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Das für MS kommende Fumarat enthält ausschließlich Dimethylfumarat. Nebenwirkungen habe ich vorher besprochen. Eine spezielle Diät wird nicht nötig sein, aber wenn man im ersten Monat Milch oder Milchprodukte dazu nimmt, kann man wohl Magen-Darm-Nebenwirkungen reduzieren.

peter: dann wäre dimethylfumarat immerhin eine option für arme menschen in entwicklungsländern, die sich keine der völlig überteuerten ms-medikamente leisten können?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ja, definitiv.

goldfisch: Oh, da ist schon teilweise die Antwort.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ja.

Lina: Können Sie bitte nochmal den Zusammenhang von Teriflunomid und Infektionen erläutern?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Teriflunomid supprimiert, also dämpft Teile des Immunsystems, weshalb eigentlich mehr Infekte auftreten müssten. Das ist in den Studien aber erfreulicherweise nicht beobachtet worden.

spatz: Sehr geehrter Herr Neuhaus, heute wird ja eigentlich jedem MS Betroffenen dazu geraten eine Basistherapie zu machen – egal wieviele Schübe er in welchem Zeitraum mit welchen Auswirkungen er auch hatte – obwohl die Wirkung umstritten ist. Was halten Sie davon?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ich sehe sehr viele MS-Betroffene. Tatsächlich kann ich nur sehr wenigen empfehlen, keine Basistherapie zu nehmen, und zwar denjenigen, die nur einen Schub hatten und sehr wenige MRT-Herde haben und die vollkommen stabile Verläufe haben (klinisch und in MRT-Kontrollen). Grundsätzlich kann durch Basistherapien der Verlauf - der individuell schwer vorhersehbar ist - positiv beeinflusst werden.

felida: ich nehme an, dass sie kein homöopath sind, aber es gibt ja fumarsäure auch als homöopathisches mittel, garantiert günstiger als bg-12. ist das eine alternative?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ja, ich bin kein Homöopath. Die Lehre der Homöopathie bekämpft "Gleiches mit Gleichem". Fumarsäure ist aber nicht "Gleiches" im Vergleich zur MS-Ursache. Ich glaube nicht, dass homöopathisches Fumarat Vorteile bringt.

goldfisch: Wenn man noch keine Therapie macht, aber wegen der Häufung der Schübe und den zurückbehaltenen Auswirkungen den Rat erhält, mit einer Therapie zu beginnen, macht es da Sinn auf die Zulassung von Fumarat zu warten?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Nein. Es gibt immer unvorhersehbare Verzögerungen bei Zulassungen. Manchmal wird auch eine erwartete Zulassung gestoppt. Deshalb kann ich bei keinem der vier neuen Medikamente genau sagen, wann und wie es soweit sein wird (also wie genau der Zulassungstext sein wird). Wenn jetzt Schubaktivität herrscht, fangen Sie bitte jetzt mit einem der zur Verfügung stehenden Medikamente an.

peter: gibt es neuigkeiten zur egcg studie (grüntee)?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Hier weiß ich leider nicht viele Neuigkeiten. Die Grundlagenforschung hat hier tolle Ergebnisse gezeigt, allerdings in Dosen, die beim Menschen 20 Liter Grüntee pro Tag entsprechen würde, was natürlich nicht möglich ist...

Lina: Mir wird in Gesprächen mit Neurologen insbesondere immer wieder Physiotherapie, Physiotherapie, Physiotherapie empfohlen. Auffallend ist, dass sehr erfahrene Neurologen und MS-Behandler weniger nachdrücklich zur bisherigen Basistherapie raten. Wäre es nicht sinnvoll, sich auch von ärztlicher Seite intensiv für regelmäßige , z.B. jährliche Reha-Inanspruchnahme von MS-Patienten bei den Krankenkassen einzusetzen. Persönlich habe ich sehr lange jüngst kämpfen müssen und erst mit großer Verzögerung nach einem Schub eine solche bewilligt bekommen.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Grundsätzlich haben Sie recht. Jedes Gehirn, auch das MS-Gehirn, ist plastisch, kann also durch Rehabilitation und ihren Mitteln Physiotherapie/Ergotherapie/Logopädie und Neuropsychologie Funktionen, die durch die Krankheit verloren gingen, wieder erlernen. Sinnvoll ist die Kombination konsequenter nichtmedikamtöser Therapie und Stadium- und Symptom-orientierter medikamentöser Therapie.

Martin: Man liest ja immer wieder, dass Vitamin D mit MS in Zusammenhang gebracht wird. Gibt es hier etwas neues und was halten Sie von der Einnahme von Vitamin D in Tablettenform?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Ein Vitamin-D-Mangel in der Jugend ist ein Risikofaktor, später MS zu bekommen. Wer MS hat, profitiert allerdings nicht (mehr) von Vitamin D. Ausnahme ist der echte Vitamin-D-Mangel, der dann sinnvollerweise durch Sonnenlicht, und Milchprodukte bekämpft werden kann und wenn das nicht ausreicht durch Vitamin D-Tabletten. Ein Einfluss auf die MS selbst ist hier aber nicht bewiesen.

felida: das war auch mein einwand, als das in einer gruppe auftauchte! hab auch keine antwrot bekommen. vielen dank!

PD Dr. Oliver Neuhaus: Bitte eine konkrete Frage!

felida: meine neurologin hat mir letzte woche gesagt, mitte juni sei ein symposium zu bg-12 und davor müsse es zugelassen sein

PD Dr. Oliver Neuhaus: Das Symposium ist tatsächlich im Juni, aber die vorherige Zulassung konnten mir auch die Leute von Biogen nicht bestätigen. Wir müssen es einfach abwarten.

spatz: Ok, dann werde ich konkreter: Patient hat einen Schub mit Empfindungsstörungen, die Untersuchungen bringen kein Ergebnis. 9 Jahre später ein neuer Schub mit Empfindungstörungen und einer leichten Lähmung und leichter Spastik und Fatigue. Das Meiste hat sich – unbehandelt – zurück gebildet. Dazwischen kleinere Sachen, die aber so wenig auffielen, dass nicht mal ein Arzt dazu befragt wurde. Würden Sie so jemandem zu einer Basistherapie raten und wenn ja, warum?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Das Problem ist, Sie können weder nach dem ersten Schub noch nach dem zweiten Schub, auch wenn er erst nach 9 Jahren kommt, vorhersagen, wie es weiter geht. Hier würde ich den MRT-Verlauf mit einbeziehen. Wenn im MRT neue Herde aufgetreten sind, die MS also nicht "ruhig" ist, würde ich eine Basistherapie empfehlen. Dasselbe gilt, wenn von Anfang an viele Herde im MRT zu sehen sind. Bei einem schwachen Schub und sehr wenig im MRT kann auch mal abgewartet werden, was aber unter engmaschigen Kontrollen und in voller Kenntnis des Patienten, dass es auch schief gehen kann, erfolgen muss.

silke: Sind neue Medikamente in Aussicht, gegen Spastik?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Wir haben ja die alten Antispastika, Baclofen (Lioresal) und Tizanidin (Sirdalud) und das relativ neue Cannabismedikament Sativex. Manchmal gibt es noch die Baclofenpumpen in den Spinalkanal, wenn eine starke Spastik der Beine vorliegt und die Tabletten zu starke Nebenwirkungen auf die Armfunktion haben. Ganz neue Antispastika außer Sativex sehe ich nicht.


Allgemein - Jutta: sowohl die Interferone als auch Copaxone kosten deutlich mehr als 1000€ pro Monat, und sowohl Tysabri als auch Gilenya mehr als 2000€.


spatz: (im MRT ca. 10 Herde im Gehirn sichtbar, im Rückenmark 1–2)

PD Dr. Oliver Neuhaus: Bitte eine konkrete Frage!

Lina: In Kürze werde ich wieder eine umfassende MRT-Verlaufskontrolle haben, also Kopf und Rückenmark. Können Sie bitte etwas über die Schädlichkeit des verwendeten Kontrastmittel sagen? Ich glaube, es handelt sich um Gadulinium.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Gadolinium kann selten Allergien machen, wird aber sonst gut vertragen. Es ist in keiner Weise mit den Röntgenkontrastmitteln vergleichbar, die Schilddrüsen- und Nierennebenwirkungen machen können. Diese gibt es nur bei Röntgen- oder CT-Untersuchungen oder bei Katheteruntersuchungen.

Lina: Was sind viele Herde? Gestern traf ich einen seit langen Jahren betroffenen MS-Patienten, der ca. 50 Herde im Kopf hat, aber erst bei EDSS 2,5 ist.

PD Dr. Oliver Neuhaus: Es ist häufig verblüffend, dass die Zahl der Herde oft nicht zur körperlichen Einschränkung passt. Grund ist, dass es wichtigere und weniger wichtige "Ecken" im Gehirn gibt. "Gefährlichere" Herde sind im Hirnstamm und im Rückenmark, während im Großhirn mehrere Herde oft keine sichtbaren Auswirkungen haben. "Viele" hängt deshalb vom Ort ab. Neun oder mehr Herde halte ich für sehr viele.

goldfisch: Was ist mit "engmaschiger Kontrolle" gemeint?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Jährliche Vorstellung beim Neurologen und jährliche MRTs.

Lina: welches sind im MRT-Befund die Herde, die auf Axonuntergang bzw. schwarze Löcher hinweisen? T1 oder T2

PD Dr. Oliver Neuhaus: Schwarze Löcher, die Axonuntergang zeigen, sind in der T1-Wichtung zu sehen.

Lina: Sie halten 9 Herde für sehr viele. Ist damit die Betroffenheit von "gefährlichen" Ecken, also Hirnstamm gemeint oder die genrelle Verteilung?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Generell. Wenn jemand 9 oder mehr Herde hat und einen schubförmigen Verlauf hat, empfehle ich eine Basistherapie. Die Zahl 9 ist aber nicht bindend. Im Hirnstamm reicht ein Herd, um unbedingt behandelt zu werden.

Lina: Bedeuten Probleme mit den Beinen (Schwäche) , dass die Herde im Rückenmark liegen?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Häufig ja, aber nicht immer. Die Steuerung der Beinmotorik geht über die so genannten Pyramidenbahnen, die oben im Gehirn anfangen.

Lina: Wissen Sie, ob in Deutschland noch bzgl. CCSVI geforscht wird, also der chronisch cerebrospinalen Veneninsuffizienz?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Bei den letzten großen MS-Kongressen wurden viele Studien gezeigt, die die CCSVI-Theorie nicht bestätigten. Ich denke, es gibt noch weitere Studien auch in Deutschland, aber insgesamt ist es ruhig geworden um CCSVI.

XXX: Für wen genau ist die Fumarsäure geeignet, bzw. für welche Verlaufsform der MS?

PD Dr. Oliver Neuhaus: Fumarat wird wie bislang alle Immunmedikamente erst für die schubförmige MS zugelassen werden, und zwar wahrscheinlich als Basistherapie.

Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, das war's für heute. Danke, dass Sie hier waren und ganz herzlichen Dank natürlich an Herrn Dr. Neuhaus für seine hilfreichen Antworten zur Multiplen Sklerose. Bis dahin vielleicht und allen eine gute Nacht !

Redaktion: AMSEL e.V., 19.03.2013