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Multiple Sklerose behandeln mit und ohne Corona-Lage

Die MS ist das Problem!, bekräftigt Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann im aktuellen Expertenchat. Darum sollte man sie auch angemessen behandeln. Neben Covid-19 geht es im aktuellen Chat um Schwangerschaft nach Ocrelizumab, um Interferone und Propionsäure und manches mehr.

Manchmal ist einfach der Wurm drin, so auch heute im Expertenchat der AMSEL. Einige Chatter kamen - erstmals seit über 15 Jahren - aufgrund technischer Probleme nicht hinein. Das versuchen wir natürlich so schnell als möglich zu beheben. Hier das Chatprotokoll mit wenigen, aber gleichwohl wichtigen Fragen und Antworten:

Moderator Patricia Fleischmann: Guten Abend und herzlich willkommen zum Multiple-Sklerose-Chat der AMSEL! Heute geht es um die Behandlung der MS, sowohl unter Coronabedingungen wie auch unabhängig von dem Virus. Ab 20 Uhr antwortet Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann. - Wir sind gespannt auf Ihre Fragen!

Arnim: In den Medien wird berichtet, Interferone helfen gegen Corona. Warum gerade ein MS-Medikament und warum inhaliert? Könnte man Interferone als MSler auch inhalieren anstatt von Injektionen?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Guten Abend allen Chattern, hallo Arnim! Interferon-beta wird im Körper natürlicherweise gegen Virusinfektionen produziert. Es wurde gerade eine kontrollierte Studie veröffentlicht, in der in die Haut injiziertes Interferon-beta den COVID-Verlauf abgekürzt hat. Von dem inhalierten IFN-beta habe ich noch nichts gehört, aber das käme ja dann an den Ort des Hauptgeschehens, den Atmungstrakt. Ob Interferon bei MS auch inhaliert funktionieren würde bezweifle ich.

Privatdozent Dr. med. Mathias Buttmann

  • Seit 18.07.2016 Chefarzt der Klinik für Neurologie am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim
  • 2000-2016 Arzt an der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg, seit 2000 Mitglied der Klinischen Forschungsgruppe für MS, seit 2008 Oberarzt, seit 2010 Leitung der MS-Spezialambulanz
  • Wissenschaftliche Schwerpunkte: Immuntherapeutische Modulation der Blut-Hirn-Schranke bei MS, diagnostische und therapeutische Biomarker der MS, MS-Therapiestudien
  • Über 100 wissenschaftliche Publikationen, davon über 40 über Multiple Sklerose in englischsprachigen begutachteten Zeitschriften
  • Ratgeber über Covid-19 und Multiple Sklerose

Florian: Guten Tag, immer wieder kommt das Thema Propionsäure zu Tage. Erst im Feb/März wurden diesbezüglich neue Daten veröffentlicht (glaube in Cell?). Wie sehen Sie das Thema und würden sie die Einnahme bei RRMS, Diagnose 2019 empfehlen? (Zusätzlich zur Ocrevus

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Hallo Florian, ich sehe es aktuell als eine experimentelle Therapie und würde es nicht empfehlen, siehe mein Corona-Ratgeber auf der AMSEL-Seite, da steht mehr dazu.

Florian: Hallo, habe im Januar die erst halbe Ocrevus bekommen und im Februar die 2 halbe. Die erste im Januar hat problemlos geklappt. Bei der 2. halben im Februar musste nach 200 ml abgebrochen werden. (obwohl nur 40 ml/h). Jetzt kommen die B-Zellen wieder zurück und soll am 04.08 meine erste Volle bekommen. Bin weiblich, 75kg. Ist mit einer besseren Verträglichkeit bei den nächsten zu rechnen oder wie soll das klappen wenn bereits 300ml zuviel waren? Außerdem arbeite ich in der Pflege, also kein Abstand halten möglich sollte ich vorsorglich nach der Infusion in der Arbeit pausieren ?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Was traten denn für Nebenwirkungen auf, Florian?

Florian: Sehr starke/extrem Kopfschmerzen sowie Schmerzen in Hüfte und Gelenke

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Das ist schon sehr ungewöhnlich. Ich würde es vorsichtig noch einmal probieren. Erfahrungsgemäß sind die Infusionen meist wirklich sehr gut verträglich. Es sollte auf die korrekte Begleitmedikation geachtet werden. Aber ich kann natürlich keine Garantie geben. Eine Krankschreibung ist aus meiner Sicht nicht unbedingt erforderlich (vorausgesetzt, die Infusion wurde gut vertragen).

Monja: Guten Tag, habe für kurzem gelesen, dass bei MS-Patienten mit IgG-Synthese von einer schnelleren Progression auszugehen ist. Wie hoch ist den der Anteil von MS-Patienten mit IgG-Synthese oder ist dies eher die Ausnahme? Mache mir Sorgen, da bei mir dies der Fall ist.

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Wenn es um die IgG-Synthese im Nervenwasser geht: Die haben die allermeisten Menschen mit MS (bis zu 97%). Prognostisch hat das für den einzelnen MS-Betroffenen wenig Aussagekraft. Wenn man einen ersten Schub hatte und im Nervenwasser eine IgG-Synthese nachweisbar ist, ist das Risiko für einen zweiten Schub etwas höher. Sie brauchen sich jedenfalls keine Sorgen deswegen zu machen.

Teresa: Hallo und guten Abend, meine Frage ist zur Therapieänderung wegen Verschlechterung. MS seit ca.30 Jahren, Rebif 44 durchgängig seit 19 Jahren. Im Nov.2019 Cotison 3x1000, MRT Veränderung neuer bzw. größerer Herd im Kopf. Therapieänderung auf siponimod erwogen, dann corona Zeit und abgewartet. Bis heute verspüre ich schleichende Verschlechterung , Augen, Gang, Kognition, fatigue. Wie soll ich weiter verfahren? Ich überlege auch Reha zu beantragen, was ist in der Situation sinnvoll?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Hallo Theresa, Siponimod klingt für Sie nach einer guten Wahl. Ich würde es nicht länger hinauszögern, da die Gefahr selbst bei einer Coronainfektion wahrscheinlich sehr gering ist. Das zeigen Registerdaten aus aller Welt. Wirkstoffe mit ähnlichem Wirkmechanismus wie Siponimod werden zurzeit sogar in Studien als Therapie gegen COVID-19 getestet. Die MS ist das Problem!

Arnim: Auf was muss man achten, wenn man die 60 überschreitet und Interferone spritzt? Andere Erkrankungen, Medikamente?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Interferone vertragen sich meist gut mit anderen Medikamenten. Haben Sie andere Erkrankungen? Die Frage lässt sich besser gezielt beantworten.

Florian: Sehen Sie eine Therapie in der Pipeline welche noch effektiver als Tysabri bzw Ocrevus ist ? Wie ist der aktuelle Stand bezüglich messenchymale Stammzellen und HSCT? Ihr Meinung bezüglich ATA188 ?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Momentan sehe ich keine solche medikamentöse Therapie. Nach bisherigen ersten Ergebnissen sehe ich den möglichen Nutzen von mesenchymalen Stammzellen bei MS eher skeptisch, allerdings wissen wir noch nicht genug. HSCT hat sich in den letzten Jahren sehr weiterentwickelt und ist viel sicherer geworden. Hier sehe ich ein großes Potenzial für die Zukunft bei sehr aktiven Verläufen. ATA188 (T-Zellen, die EBV-infizierte Zellen erkennen sollen) ist bislang eine rein experimentelle Therapie, die ich skeptisch sehe bezüglich ihres möglichen Nutzens bei progredienter MS.

Elisa: Guten Abend, mein MS-Zentrum meinte vor kurzem, dass ein junger Mensch mit RRMS, diese im Jahr 2020 gestellt wurde gut behandelbar ist, sodass ein hoher EDSS Wert

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Rest der Frage und Antwort dazu: siehe unten.

Elisa: Ergänzend: ein hoher EDSS Wert < 7 sehr unwahrscheinlich ist. Teilen Sie diese Meinung?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Ist natürlich etwas pauschal, aber grundsätzlich teile ich die Meinung, wenn ich auch eher "unwahrscheinlich" statt "sehr unwahrscheinlich" sagen würde. Letztlich kommt es immer auf den Einzelfall an.

Schmid: Sollte Ocrevus wieder nicht vertragen weden, ist Ofatumamab eine Alternative? Bis wann wird es zugelassen und hat es eine gleiche Wirkstärke bei der MS wie Ocrevus ?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Eventuell könnte es eine Alternative sein, wenn ich ggf. auch eher zu einem ganz anderen Wirkmechanismus tendieren würde. Die Zulassung in Europa wird aktuell für die erste Jahreshälfte 2021 erwartet. Vergleichende Wirksamkeitsdaten gibt es nicht. Bei schubförmiger MS haben sich beide in Studien hervorragend wirksam gezeigt. Da würde ich die Hand nicht umdrehen.

Schmid: Was wäre den der an der Wirkmechanismus, Tysabri geht nicht JC Positiv. Lemtrada, Mavanclad ?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Hierzu müsste ich mehr über die Erkrankung und die bisherige Therapie wissen. S1P-Rezeptor-Modulatoren wie Fingolimod oder Ozanimod könnten eine weitere Möglichkeit sein, wenn das nicht vor Ocrevus kam.

Monja: Ich habe einen Kinderwunsch und bekomme momentan das Medikament Ocrevus. In Amerika ist die Pausierung zwischen der Infusion und des Schwanger werden 12 Monate, in Europa 6 Monate empfohlen und laut meiner Neurologin reichen 3 Monate Pause aus. Wie sehen sie das?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Die deutsche Fachinformation empfiehlt mindestens 12 Monate zwischen letzter Infusion und Schwangerschaft, was erstmal maßgeblich ist. Alles andere bleibt eine Einzelfallentscheidung. Ich ganz persönlich denke, dass 3 Monate wahrscheinlich ausreichen, aber das ist keine offizielle Empfehlung. Andererseits droht bei zu langer Pause ja erneute Krankheitsaktivität der MS. Das ist eine Gratwanderung.

Monja: Wo kann ich diesbezüglich mehr Infos bekommen bzw gibt is hierzu Studiendsten ?

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Die Anzahl dokumentierter Schwangerschaften kurz nach Ocrelizumab ist aktuell noch klein. Hier gab es bislang kein Sicherheitssignal. In Deutschland beschäftigt sich insbesondere Prof. Hellwig aus Bochum wissenschaftlich mit dem Thema und führt ein Register. Schauen Sie mal unter www.ms-und-kinderwunsch.de.

Arnim: Nur weniger Konition als früher, weniger Muskeln, öfter erkältet, keine anderen Krankheiten.

Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann: Dann brauchen Sie sich wegen des Interferons sicherlich keine besonderen Sorgen zu machen.

Moderator Patricia Fleischmann: Werte Chatter, vielen Dank für Ihre Fragen heute und  ein riesiges DANKE an Herrn Priv.-Doz. Dr. Mathias Buttmann! Wie ich selbst erst 15 Minuten vor Schluss erfahren habe, gab es technische Probleme, weswegen einige Chatter nicht teilnehmen konnten. Das bedauern wir sehr. Dem gehen wir natürlich nach und hoffen auf technisch einwandfreie Chats ab September. Im August ist wie immer Sommerpause. Ich wünsche Ihnen allen eine möglichst angenehme Zeit!

Redaktion: AMSEL e.V., 21.07.2020