MS und Schwangerschaft

01.03.04 - Expertenchat mit Dr. Martin Rösener zum Thema 'MS und Schwangerschaft' - eine rege Diskussion: Reinschauen lohnt sich!

Moderator Patricia Fleischmann: Schönen guten Abend, liebe Chatter! Ich bin die neue Online-Redakteurin der AMSEL und begrüße Sie sehr herzlich zu unserem Chat mit Herrn Dr. Rösener zum Thema 'Schwangerschaft und MS'!

Rieke: hallo! ist es erwiesen, dass ms, bzw. die veranlagung dazu vererbbar ist?

Dr. Martin Rösener: Die Multiple Sklerose ist keine Erbkrankheit im eingentlichen Sinne, vererbt wird eine Konstellation von Gewebemerkmalen, die das Auftreten der Multiplen Sklerose begünstigen oder unwahrscheinlicher machen. Je nach Verwandschaftsgrad steigt das Risiko, ist aber dennoch insgesamt gering, sodaß es keine Empfehlung gibt, mit Multipler Sklerose keine Kinder zu bekommen.

Rieke: sollte man bei ms mit eisengaben während der schwangerschaft vorsichtig sein? (entzündungsaktivität)

Dr. Martin Rösener: Die Eisengaben während der Schwangerschaft sollten sich ausschließlich nach den gynäkologischen bzw. geburtshilflichen Vorgaben richten, ein negativer Einfluß auf die Multiple Sklerose ist nicht zu erwarten.

Rieke: Darf eine PDA bei einer MS-Patientin gegeben werden, bzw. darf sie wegen der MS von einem Anästhesisten abgelehnt werden?

Dr. Martin Rösener: Das Vorgehen bei der Geburt sollte sich ausschließlich nach den geburtshilflichen Erfordernissen richten, das geburtshilfliche Verfahren hat keinen nachteiligen Effekt auf die Multiple Sklerose der Mutter. Dies ist in einer Untersuchung mit mehr als 200 Müttern mit Multipler Sklerose nachgewiesen worden. Insbesondere auch die Periduralanästhesie (PDA) kann bei Patientinnen mit Multipler Sklerose angewendet werden.

sternchen: Nach meiner ersten Schwangerschaft bekam ich einen schweren Schub. Wie hoch ist die Warscheinlichkeit daß es bei einer zweiten Schwangerschaft genauso ist?

Dr. Martin Rösener: Der Einfluß der Schwangerschaft auf die Erkrankung ist insgesamt neutral, es kommt aber während der Schwangerschaft zu weniger, nach der Schwangerschaft zu mehr Schüben. Um die Schubhäufung nach der Schwangerschaft zu verhindern gibt es verschiedene Strategien. Eine wäre auf das Stillen zu verzichten und sofort nach der Geburt die immunmodulatorische Therapie wiederaufzunehmen.

Lisa: Hallo ! mein Freund spritzt sich seit ca.3 Wochen Compaxone. Wir wünschen uns ein Kind. Haben aber Angst dass es behindert zur Welt kommen kann wg. Compaxone. Müssen wir auf Kinder verzichten ??

Dr. Martin Rösener: Die Frage betrifft 2 Themenbereiche: 1. Schadet die Medikation mit Copaxone dem Kind und 2. wird ein Kind durch die Multiple Sklerose behindert. Zur Frage der Erblichkeit der Multiplen Sklerose habe ich gerade eben schon Stellung genommen, Sie können das da nochmal nachlesen. Es gibt bislang keinen Hinweis, daß Copaxone Spermien schädigt, dennoch wird empfohlen vor der Zeugung eines Kindes etwa 6 -10 Wochen auf die Gabe des Medikamentes zu verzichten um jedes Risiko sicher ausschließen zu können.

Rieke: Ich habe gelesen, dass es neben den Immunglobulinen eine Art Hormongabe/-pflaster o.ä. geben soll, mit dem nach der Geburt der Gefahr eines Schubes vorgebeugt werden kann. Ist das richtig?

Dr. Martin Rösener: Hormone habe zwar sicher einen Einfluß auf die Multiple Sklerose, sonst wären Frauen nicht mehr betroffen als Männer, zur Behandlung ist dies jedoch noch nie als wirksam nachgewiesen worden. Entsprechend kann von einer Hormongabe nach der Schwangerschaft keine Schubreduktion erwartet werden.

sabrina: Ich muß meine BU Rente verlängern, bin jetzt in der 10.Woche schwanger. Muß/darf/soll ich das mitteilen?????

Dr. Martin Rösener: Herzlichen Glückwunsch zur Schwangerschaft. Die Berufsunfähigkeitsrente wird nach Maßgabe der Leistungfähigkeit gewährt, eine Schwangerschaft hat darauf in der Regel keinen Einfluß. Wenn Sie BU Rente auf Zeit beziehen, sollten Sie sich zum gegebenen Zeitpunkt wieder begutachten lassen und das völlig unabhängig davon ob Sie schwanger sind oder nicht.

Lisa: Ist es mezinisch sinnvoll jetzt, wo gerade erst mit der compaxone therapie begonnen wurde, wieder aufzuhören ? Es dauert doch 6 Monate bis Compaxone wirkt. Ist es um den Krankheitsverlauf bei meinem Freund nicht unnötig zu verschlechtern evtl. besser den Kinderwunsch einige Jahre hinauszuzögern?

Dr. Martin Rösener: Richtig ist, daß es lange dauert bis Copaxone wirkt. Wie man in diesem speziellen Fall vorgehen wird hängt von vielen Faktoren ab. Aktivität der Erkrankung und damit die Dringlichkeit der Therapie, Dringlichkeit des Kinderwunsches, Alter von Ihnen und Ihrem Freund. Den Kinderwunsch um Jahre hinauszuschieben ist sicher nicht wünschenswert. Vielleicht gibt man so lange Copaxone bis ein stabiler Krankheitsverlauf erreicht ist, setzt dann zur Zeugung kurz aus um danach die Behandlung wiederaufzunehmen. Das ist allerdings nur ein allgemeiner Vorschlag, genaueres sollte Ihr Freund mit seinem behandelnden Neurologen besprechen.

Rieke: Meine letzte Frage: Gelten Schwangerschaften von MS-Patientinnen automatisch als Risikoschwangerschaften mit entsprechenden Vorgaben/ Einschränkungen?

Dr. Martin Rösener: Nein, eine Schwangerschaft bei einer Patientin ist keine Risikoschwangerschaft, jedenfalls nicht aus neurologischer Sicht. Kann sein, daß die Gynäkologen da anderer Meinung sind. Ich habe im letzten Jahr 4 schwangere MS Patientinnen betreut, alle 4 Kinder sind nach im wesentlichen unkomplizierter Schwangerschaft gesund auf die Welt gekommen.

sabrina: Das heißt Sie gehen davon aus, daß es eher uninteressant ist, ob schwanger oder nicht. Neue Frage: Gibt es auch für Rentner Mutterschaftsgeld?

Dr. Martin Rösener: Ich finde es gar nicht uninteressant ob jemand schwanger ist oder nicht. Für die werdende Mutter ist es in der Regel ein großes Glück. Nur für die Rentenversicherung ist es nicht von großer Bedeutung. Beim Mutterschaftsgeld für Rentner bin ich überfragt, glaube aber nicht, daß es das für Rentner gibt, weil es ja eigentlich eine Lohnersatzleistung ist. Hier kann Ihnen sicher der Berater der Rentenversicherung weiterhelfen.

sternchen: Ich spritze nun seid knapp 2 Jahren Rebif ( nach der ersten Schwangerschaft und der Behandlung mit Mitoxantron ) was sollte ich tun, wenn ich nach absetzten von Rebif einen schweren Schub bekommen sollte.... lieber auf ein zweites Kind verzichten?

Dr. Martin Rösener: Eine Schwangerschaft sollten Sie nur in einer stabilen Phase der Erkrankung in Angriff nehmen. Dazu ist erforderlich, wie Sie schon richtig dargelegt haben, daß Rebif abgesetzt werden muß. Sollte dann ein Schub auftreten wird dieser, wie sonst auch, hochdosiert mit Kortisoninfusionen behandelt. Werden Sie dann rasch schwanger, sind Sie zunächst vor Schüben geschützt. Treten in dieser Zeit aber gehäuft und schwere Schübe auf, bevor Sie schwanger sind, muß die immunmodulatorische Therapie wieder aufgenommen werden und der Kinderwunsch in einer ruhigeren Krankheitsphase erneut angegangen werden.

anita m: Ausser an ms leide ich auch an einem pco,was die möglichkeit schwanger zu werden nicht erleichtert.ich nehme seit vielen jahren kein verhütungsmittel,was dafür spricht,das ich auf natürlichem wege nicht schwanger werde.kann ich trotz ms eine künstliche befruchtung versuchen,oder weigertsich da krankenkasse und arzt?oder welche möglichkeiten hab ich?

Dr. Martin Rösener: Die Kostenerstattung für künstliche Befruchtung ist seit diesem Jahr durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetzt deutlich eingeschränkt worden. Genaue Auskunft kann Ihnen darüber die Krankenkasse oder Ihr Gynäkologe geben. Es kann sein, daß Sie einen Teil der Kosten selbst übernehmen müssen. Sonst gelten für Sie in Bezug auf die Multiple Sklerose keine Einschränkungen.

sabrina: Ich denke gerade mit MS sollte man sich in der Schwangerschaft und zur Geburt bemühen wenig Stress und Hektik zu haben. Wie stehen Sie zu Geburten in einem Geburtshaus?

Dr. Martin Rösener: Richtig ist, daß man sich als Patientin mit Multipler Sklerose möglichst wenig Streß aussetzten sollte, das gilt selbverständlich auf für die Schwangerschaft. Wo man entbindet sollte sich ganz ausschließlich nach den geburtshilflichen Erfordernissen richten. Als Arzt empfehle ich Ihnen eine Einrichtung zu wählen in der ärztliche Betreuung jederzeit verfügbar ist und ein Notfallkaiserschnitt falls erforderlich, sofort gemacht werden kann. Danach sollten Sie auf jeden Fall vorher fragen.

sabrina: oh ich glaube das geht in einem Geburtshaus nicht. Da sind ja nur Hebammen und kein Arzt. Sollte ich mich täuschen? Schön wärs.

Dr. Martin Rösener: Dann sollten Sie sich in jedem Fall nochmal von Ihrem Gynäkologen beraten lassen.

sternchen: Wie würden Sie meine Krankheitsphase im Moment schildern, ich hatte jetzt seit ich spritze zwei Schübe in Abstand von einen Jahr. Eher stabil, oder noch etwas warten?

Dr. Martin Rösener: Zwei Schübe im Abstand von einem Jahr sehe ich eher als stabil an. Wenn dies nach dem Absetzen von Rebif so bleibt, sollte der Schwangerschaft nichts mehr im Wege stehen.

sonja: Wenn man während der Schwangerschaft einen Schub bekommt, kann man dann mit Cortison behandelt werden?

Dr. Martin Rösener: Prinzipiell kann man auch während der Schwangerschaft eine hochdosierte Kortisoninfusionstherapie machen. In den ersten 3 Monaten wird man sehr zurückhaltend sein, danach auch nur nach strenger Indikationsstellung behandeln, aber möglich ist es. Es gibt bislang keinen Hinweis auf eine fruchtschädigende Wirkung von Kortison. Kortison ist ja ein körpereigenes Hormon, das ungeborene Kind hat es sowieso schon im Körper, wenn auch nicht in so großer Menge. Ich habe bereits mehrfach in der Schwangerschaft Kortison gegeben, die Kinder sind alle gesund.

Bea: Hallo! Weiß seit Febr. 2004, daß ich MS habe(festgestellt durch Sehnerventzündung). Habe nur kleine Vernarbungen im Gehirn und mir geht es jetzt eigentlich wieder gut. Die behandelnde Neurologin möchte gerne mit Avonex bei mir anfangen. Aber schon vor der Diagnose haben wir uns ein Kind gewünscht. (Bin 24) Wahrsch. können wir wohl nicht auf natürl. Wege Kinder bekommen. Ist jetzt eine künstl. Befruchtung riskanter als bei einer gesunden Frau? Ich habe große Angst nach der Geburt einen Schub zu bekommen. Rat???

Dr. Martin Rösener: Wenn jetzt kein aktueller Kinderwunsch bestünde, sollten Sie tatsächlich eine immunmodulatorische Therapie beginnen. Sonst ist es wieder eine Einzelfallentscheidung. Wenn es Ihnen sehr gut geht und der Kinderwunsch dringlich ist, sollten Sie ihn jetzt erfüllen und die immunmodulatorische Therapie direkt nach der Geburt beginnen, damit danach kein Schub auftritt. Schübe sollten in jedem Fall mit hochdosierten Kortisoninfusionen behandelt werden.

BENI: HALLO meine frage wäre,,,Gibtes von ALOE VERA GEL oder MEDIKAMENTE die was wirken

Dr. Martin Rösener: Wirken mag Aloe vera schon irgendwie, aber ein Effekt auf die Multiple Sklerose ist nie belegt worden.

BENI: und wo kann ich das gel kauffen und ist das teuer?

Dr. Martin Rösener: Aloe vera Präparate gibt es in jeder Apotheke.

sonja: Warum bekommen so viele Frauen nach der Schwangerschaft einen schweren Schub?

Dr. Martin Rösener: Die Hormone sind wohl dafür verantwortlich. Während der Schwangerschaft kommt es zu weniger Schüben, nach der Schwangerschaft ist für 3 - 6 Monate die Schubrate etwas erhöht. Während der Schwangerschaft kommt es zu einer erheblichen Umstellung des Hormonhaushaltes, die sich nach der Schwangerschaft wieder zurückbildet. Dies ist wahrscheinlich ein Teil der Ursache. In der Behandlung sollte man sich deshalb überlegen nach der Schwangerschaft die immunmodulatorische Therapie wieder rasch aufzunehmen.

sabrina: Ich überlege das Nabelschnurblut aufheben zu lassen, damit das Kind bei Bedarf (Krebs?) darauf zurückgreifen kann. Bringt das als MSler eigentlich was? Also ist das Immunsystem des Kindes überhaupt so in Ordnung?

Dr. Martin Rösener: Zunächst ist das Immunsystem des Kindes völlig in Ordnung, wie bereits gesagt wird nur eine bestimmte Konstellation von Gewebemerkmalen an das Kind weitergegeben. Die Konservierung von Nabelschnurblut zur späteren Behandlung einer Krebserkrankung Ihres Kindes kann deshalb durchaus sehr sinnvoll sein. Die Einzelheiten müssen Sie aber sicher mit Ihrem Gynäkologen besprechen.

Rieke: Ich hätte doch noch was: ich nehme regelmäßig Lachsölkapseln und Vitamin B in Tablettenform. Könnte das in der Schwangerschaft dem Kind schaden?

Dr. Martin Rösener: Nach meiner Kenntnis schadet die Nahrungsergänzung mit Lachsöl oder Vitamin B dem ungeborenen Kind nicht. Allerdings sollten übergroße Dosen dieser Substanzen in der Schwangerschaft gemieden und in jedem Fall der Beipackzettel der Präparate beachtet werden.

sonja: Wird dieses "Wissen" in der Forschung genutzt um evtl. bessere Medikamente zu entwickeln?

Dr. Martin Rösener: Der hormonelle Einfluß auf die Multiple Sklerose ist schon seit Jahren Forschungsgegenstand, eine Therapie auf dieser Basis ist jedoch nicht in Sicht.

Rieke: Äh, eine hätte ich noch....;-) ich mache keine Therapie, habe die Krankheit seit ca. 5 Jahren (2 vollständig remittierte Schübe) und bin seit 3 Jahren schubfrei. Sollte nach der Geburt trotzdem unbedingt mit einer Therapie begonnen werden?

Dr. Martin Rösener: Die Behandlung richtet sich immer nach der Krankheitsaktivität insgesamt. Wenn Sie tatsächlich seit 3 Jahren schubfrei sind und auch die Kernspintomographie keine Krankheitsaktivität zeigt, haben Sie einen günstigen Krankheitsverlauf und können entspannt den Verlauf auch nach der Schwangerschaft abwarten. Im Falle eines Schubes sollten Sie dann Abstillen, Kortisoninfusionen bekommen und dann die immunmodulatorische Therapie beginnnen.

sonja: Ich habe 2 Kinder. Ist es möglich, das eines davon mal an MS erkrankt, also ist die Möglichkeit Höher?

Dr. Martin Rösener: Die Multiple Sklerose ist keine Erbkrankheit im engeren Sinne, vererbt wird eine Konstellation von Gewebemerkmalen die das Auftreten einer Multiplen Sklerose begünstigen oder unwahrscheinlicher machen. Für Kinder mit an Multipler Sklerose erkrankten Eltern ist das Risiko ebenfalls an MS zu erkranken im Vergleich zur Normalbevölkerung etwa auf das doppelte erhöht. Dennoch bleibt es ein sehr niedriges Risiko.

Moderator Patricia Fleischmann: Vielen herzlichen Dank, Herr Dr. Rösener, dass Sie alle Fragen geduldig beantwortet haben! Und vielen Dank an alle Chatter für die rege Teilnahme! Es ist nun 20 Uhr 30 und der Chat damit geschlossen. Bislang unbeantwortete Fragen wird Herr Dr. Rösener gerne noch beantworten. Bis zum nächsten Chat!

20.04.2004

Redaktion: AMSEL e.V., 25.09.2006