Patricia Fleischmann: Liebe AMSEL-Chatter, herzlich willkommen zu unserem Expertenchat! Ab 19 Uhr antwortet hier Prof. Ingo Kleiter von der Marianne-Strauß-Klinik am Starnberger See. Gern dürfen Sie schon jetzt Ihre Fragen zur MS-Therapie stellen 🗨️😀
Clara: Hallo Hr. Prof. Kleiter, ich habe den chronisch schleichenden Verlauf, bekomme Ocrevus. Es geht mir trotzdem immer schlechter. Ich weiß es gibt sonst keine andere Therapie. Aber vielleicht haben Sie für mich einen Tipp, was ich evtl. noch machen könnte.
Prof. Ingo Kleiter: Guten Abend Clara,
zunächst möchte ich alle herzlich begrüßen zum heutigen Expertenchat. Vielen Dank für Ihre Frage, komme gleich hierauf zu
Prof. Ingo Kleiter: So, jetzt bin ich bereit. Ich nehme an Sie haben eine PPMS mit schleichenden Verlauf. In der Tat ist hier aktuell nur Ocrevus zugelassen, welches aber nur bei einem Teil der Patienten eine weitere schleichende Verschlechterung verhindern kann. Dennoch sollte das Medikament falls es gut vertragen wird zunächst für eine gewisse Zeit, meist 2-4 Jahre gegeben werden, um dann die Wirksamkeit wirklich abschätzen zu können. Daneben sollten immer auch Maßnahmen der symptomatischen Therapie (z.B. gegen Schmerzen, Spastik, usw.) sowie Bewegungstherapie/Neurorehabilitation angewendet werden.
sb: Ich habe PPMS. Gegen die neuropathischen Schmerzen nehme ich seit Jahren Pregabin, gegen die orthopädischen Folgeschmerzen durch Fehlhaltung/Fehlbelastung seit Monaten Ibuprofen. Ein MRT-Termin Ende September soll zeigen, ob vielleicht Bandscheiben betroffen sind.
Ibuprofen kann man ja nicht dauerhaft nehmen - gibt es Alternativen?
Und gibt es Reha-Kliniken oder Reha-ähnliche Akutkliniken, die mir als chronischer Schmerzpatientin neurologischer und orthopädischer Herkunft helfen könnten?
Prof. Ingo Kleiter: Guten Abend sb,
das gleichzeitige Auftreten von neuropathischen und orthopädischen (oder muskuloskeletalen) Schmerzen ist häufig bei der chronischen MS, da hier Fehlhaltungen die Regel sind. Prinzipiell haben Sie bereits 2 geeignete Medikamente, wobei es für beides auch Alternativen gäbe. Ibuprofen sollte nicht in höheren Dosen über lange Zeit gegeben werden (u.a. kardiale Nebenwirkungen). Bei chronischen Schmerzen hilft am besten eine multimodale Schmerztherapie, also eine interdisziplinäre Behandlung von Neurologen, Schmerztherapeuten, Physio- und Ergotherapeuten sowie Psychologen. Dies ist in spezialisierten Fachkliniken wie der MSK oder in Enzensberg sowie in manchen Rehakliniken möglich.
Katzenfisch: Hallo und vorab danke für die Zeit! Für mich steht die Ersttherapieentscheidung an und ich wäre vor der Entscheidung mit der Neurologin gerne noch eine Einschätzung hören: Ich tendiere zu einer hochwirksamen Therapie mit Kesimpta, habe aber (bisher) einen moderaten Verlauf. Kann man das dennoch so entschieden oder ist das in meinem Fall eher abzuraten (oder auch: ein Problem für die Krankenkasse?).
Zum Verlauf: (1) 2016 Sensibilitätsstörungen und eine MS-Läsion perventrikulär; OKB pos.
(2) Fraglich 2 mal leichtes verschwommen sehen seitdem, aber keine Therapie oder DIagnose.
(3) Irgendwann chron. Obstipation und ggf. leichte Blasenentleerungsstörung ohne Infektneigung - beides permanent(!)
(4) 2023 Sensibilitätsstörung. 1-2 spinale Läsionen und 2 winzige periventrikulär, nun DIagnosekriterien erfüllt.. Bis auf Obstipation und Blase hat sich alles zurückgebildet, aber ich würde schon lieber die Progression so gut wie möglich eindämmen... Kann man mit Kesimpta starten? Und wäre die Blasenentleerungsstörung eine Kontraindikation?
Prof. Ingo Kleiter: Hallo und guten Abend,
vielen Dank für die Frage. Ich versuche allgemein zu antworten, da eine individuelle Beratung nur per Chat das Arztgespräch nicht ersetzen kann. Die Kriterien einer schubförmigen MS scheinen bei Ihnen erfüllt zu sein (und relevante Differentialdiagnosen hoffentlich ausgeschlossen). Bei 2-3 Schüben und eher geringer Läsionslast in 7 Jahren handelt es sich glücklicherweise bisher nicht um eine hochaktive MS. Insofern wären prinzipiell auch Medikamente mit moderater Wirkstärke geeignet. Andererseits haben Sie bereits permanente Symptome und weitere Schübe/MRT-Herde sollten nach Möglichkeit vermieden werden, was für eine hochaktive Therapie spräche. Zu letzteren gehört Kesimpta (Ofatumumab). Da das Medikament für schubförmige MS zugelassen ist (die hier vorliegt), hätten die Kostenträger auch kein Problem mit einer Verschreibung. Auch eine Blasenentleerungsstörung ist keine Kontraindikation, höchstens wenn Sie deswegen ständig Harnwegsinfekte hätten (diese Thematik wäre dann gesondert zu behandeln). Letztendlich ist die Entscheidung aber eine Frage der Nutzen-Risiko-Abwägung, und diese fällt angesichts der guten Wirksamkeit und nach bisherigen Erfahrung auch relativ guten Sicherheit/Verträglichkeit oft zugunsten von Kesimpta aus.
Roland: Hallo Herr Doktor Kleiter ich habe seit 1999 MS und nun muss meine Therapie von Copaxone auf Cladripin umgestellt werden jetzt meine Fragen wie kann man nach dieser Therapie weiter machen (therapieren) , müssen die erforderlichen Impfungen (Gürtelrose) beide abgeschlossen sein und da bei mir eine Schulter OP ansteht möchte ich wissen ob ich bis die erledigt ist noch warten soll vielen Dank
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Roland,
Cladribin gehört zu den stärker wirksamen Medikamenten und wird insgesamt über 4 Wochen in 2 Jahren gegeben, wirkt danach meist mehrere Jahre weiter. Somit ergibt sich bei vielen Patienten erst 4 Jahre nach Beginn, manchmal noch deutlich später, die Frage nach einer Folgetherapie. Wenn die Veränderungen auf das Blutbild (oft Lymphopenie, Leukopenie) abgeklungen sind, kann danach prinzipiell jede andere MS-Therapie gegeben werden. Allerdings gibt es manchmal lang anhaltende Blutbildveränderungen, zudem besteht meist eine sekundär progrediente MS - und hier sind dann nur wenige MS-Medikamente eine Option. Bezüglich Gürtelrose-Impfung (Shingrix) wäre es sinnvoll, diese zumindest begonnen zu haben, bevor Cladribin gestartet wird, da Gürtelrose eine der häufigsten Nebenwirkungen ist. Optimalerweise sind beide Impfungen bereits abgeschlossen. Auch größere Operationen sind sinnvollerweise abgeschlossen, wobei diese natürlich nicht unter Cladribin kontraindiziert sind.
sb: Vielen Dank! Ich habe noch eine Nachfrage: Welche Alternativen zu Pregabin und Ibuprofen würden Sie empfehlen?
Prof. Ingo Kleiter: Das kann ich leider so pauschal nicht beantworten, da hier viele Faktoren eine Rolle spielen, u.a. Komorbiditäten (andere Erkrankungen), die weiteren Medikamente, und und und. Beispiele für Alternativen zu Pregabalin sind Gabapentin und Duloxetin, zu Ibuprofen Diclofenac oder ein Coxib (z.B. Etericoxib).
Clau: (Randbemerkung/ Randfrage ich nehme gerne 10 prozentiges CBD Öl bei Bedarf gegen Neuropathische Tiefenschmerzen in Armen und Beinen/ etwa 10-20 Tropfen - sehen Sie da mögliche Nebenwirkungen)
Prof. Ingo Kleiter: Guten Abend Clau,
CBD-Öl ist keine in Studien etablierte Substanz zur Behandlung neuropathischer Schmerzen, wird wenn überhaupt als Reservemedikament gegeben. In niedrigen Dosierungen wird es meist gut vertragen.
Katzenfisch: Vielen Dank. Natürlich ersetzt der Chat kein Arztgespräch, ich bin aber vorab gern gut informiert, insofern hilft mir die Antwort sehr weiter :)
Die BTK-I klingen auch sehr interessant (auch wenn man die Studien abwarten muss), aber aus der Geschichte vergangener Medikamente wäre ich da ungern "early adopter" sondern zumindest ein paar Jahre später. Erschwert ein B-Zell-Depletierer wie Kesimpta einen späteren Wechsel auf BTKI (Es erscheint mir vom Wirkprinzip eigentlich nicht problematisch)
Prof. Ingo Kleiter: nein, das dürfte kein Problem sein, aber wie Sie selbst schon sagen: aktuell sind BTKi außerhalb von Studien nicht verfügbar und bis sie für MS in Deutschland verschrieben werden können, dürfte es noch einige Zeit dauern.
Patricia Fleischmann: @alle: Nur für den Fall, dass Sie die AMSEL-Übersicht "MS behandeln"
https://www.amsel.de/multiple-sklerose/behandeln/
noch nicht kennen sollten: Hierin findet sich auch eine Seite "Therapien und Verlaufsformen" , die sämtliche zugelassenen Immunmodulatoren nach Verlaufsform und nach ihrer Wirksamkeitskategorie auflistet:
https://www.amsel.de/multiple-sklerose/behandeln/therapiemoeglichkeiten-und-verlaufsformen/
Gut zu wissen, bei 15+ Wirkstoffen.
Clau: 👍️
Clau: Hallo Herr Prof. Kleiter,
auch wenn ich nun seit 8 Jahren im MS Thema bin... habe ich kontinuierlich den Eindruck, dass keiner anhand von MRT Bildern sehen bzw. sagen kann, ob es nun ein schleichender Verlauf ist oder nicht bzw. ob das Medikament wirksam ist oder nicht.
Oft bekam ich zu hören,das MRT ist stabil - anscheinend ist das aber nur bedingt ein gutes Zeichen bzw. hat bei einer allgemeinen Symptom Verschlechterung wenig bis keine Aussagekraft. Mein Einstieg war schubförmig und bei stabilem MRT nehmen die Einschränkungen mehr und mehr zu.
Wie sehen Sie das?
Ist ein MRT nun bei der Beurteilung eines schleichenden Verlaufs aussagekräftig oder nicht? Oder kommt es da eher auf Hirnvolumenmessungen an?
Danke für Ihre Meinung
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Clau,
sorry, habe die erste Frage übersehen. Die Kernspintomographie (MRT) ist eine wichtige Methode zur Diagnosestellung der MS, um Nebenwirkungen von Medikamenten oder Begleiterkrankungen herauszufinden und schließlich auch für die Verlaufskontrolle. Für letztere ist es jedoch wichtig die Grenzen zu kennen. Die aktuell in der klinischen Versorgung verwendeten MRT-Sequenzen erlauben neue oder sich vergrößernde Läsionen zu sehen. Dies gibt direkt einen Hinweis darauf, ob "immunologische Krankheitsaktivität" vorliegt, was dann eine Entscheidung bezüglich Beginn, Fortführung oder Wechsel eines prophylaktischen Immunmedikaments erlaubt. Weniger gut geeignet ist die MRT um eine schleichende klinische Verschlechterung (=chronische Progression) darzustellen. Diese wird nicht als "immunologische Krankheitsaktivität" (das wären z.B. auch MS-Schübe) bezeichnet, sondern als "neurodegenerativer Teil" der MS. "Sehen" kann man die Neurodegeneration manchmal anhand einer zunehmenden Atrophie (also Abbau) von Gehirngewebe. Dieser kann mit einer Hirnvolumenmessung erfasst werden, die Streubreite der Untersuchung ist jedoch groß.
Wenn Sie also hören, ein MRT sei "stabil", bezieht sich das in der Regel auf den "immunologischen Teil" der Erkrankung. Leider bedeutet dies NICHT, dass der neurodegenerative Teil der MS auch stabil ist, was sich in einem schleichenden Verlauf äußern kann.
Clau: 👍️
CQ: Hallo Professor Kleiter, ich habe seit 2007 MS es war viele Jahre stabil, aber seit zwei Jahren geht es steil Berg ab. Meine Gehstrecke hat sich innerhalb dieser zwei Jahre von knapp 1 km auf jetzt 40 m mit Rollator reduziert. Ich nutze seit Anfang diesen Jahres einen Rollstuhl für weitere Strecken . Ich habe vor zwei Jahren schon Orkus bekommen, leider nicht vertragen und es hat auch nicht geholfen. So wie es aussieht ist mein Verlauf jetzt SPMS. Welche Optionen gibt es noch, um die Progression jetzt endlich zu stoppen? Herzlichen Dank für Ihre Ihre Einschätzung.
Prof. Ingo Kleiter: Hallo CQ,
leider ist es nicht ungewöhnlich, dass sich MS-Symptome etwa 15-20 Jahre nach Beginn der Erkrankung nochmals deutlich verschlechtern. Dies ist dann meist die gefürchtete "sekundäre Progredient", also SPMS, der neurodegenerative Teil der MS. Die mit Abstand beste Behandlung ist eine prophylaktische Behandlung, also es durch geeignete Immuntherapien in der frühen Phase der MS gar nicht erst zur SPMS kommen zu lassen. Dies war noch vor 20 Jahren sehr schwierig zu erreichen, gelingt mit den aktuellen Medikamenten aber immer häufiger (jedoch lange nicht immer). In der Phase der SPMS wirken Immuntherapien meist schlechter als für die schubförmige MS, da es weniger "immunologische Krankheitsaktivität" gibt. Dennoch können diese Therapien, abhängig von individuellen Faktoren, zumindest am Anfang der SPMS gegeben werden, beispielsweise Siponimod oder B-Zell-depletierende Therapien. Eine begleitende symptomatische Therapie und rehabilitative/Trainingstherapie sollte möglichst immer erfolgen.
CQ: Nachtrag: Mayzent hat leider auch nicht geholfen und wurde auch nicht vertragen.
Prof. Ingo Kleiter: Dann ist es auch nicht sinnvoll, diesen Ansatz nochmals zu verfolgen.
CQ: Bzw welche B-Zell-depletierende Therapie kommt in Frage?
Jonna: Guten Abend Herr Professor,
ich habe seit über 20 Jahren MS, mittlerweile hochaktiv. Seit 2015 habe ich Gilenya genommen, hatte jedoch nahezu regelmäßig alle 9-12 Monate neue Symptome. Die MS wird als schubförmig bewertet, obwohl die Schübe sich immer über Wochen anschleichen. Die Ausfälle bleiben, das Cortison schlägt dann i.d.R. nicht mehr an. EDSS zwischen 3,5 und 4..
Momentan habe ich auf Kesimpta umgestellt, habe erst 2x gespritzt.
Meine Fragen:
1.) Hätte ich auf ein noch stärkeres Mittel als Kesimpta wechseln sollen?
2.) Seit dem Absetzen von Gilenya rebelliert mein Immunsystem: ich reagiere auf jede Kleinigkeit, habe plötzlich extremsten Juckreiz/ Pusteln an Armen und Beinen (hatte ca. 2003 einmal einen Schub mit diesen Symptomen, sonst keine Probleme damit), eine vormals sehr leichte Katzenallergie, die unter Gilenya weg war, ist jetzt sehr schlimm.
Gibt es eine andere Therapie bei der hochaktiven Form, die diese allergischen Beschwerden wieder eindämmt?
Vielen Dank
Herzliche Grüße
Prof. Ingo Kleiter: Guten Abend Joanna,
prinzipiell ist Kesimpta, ein B-Zell-depletierendes Medikament, geeignet, wenn unter Gilenya weiter Schübe oder MRT-Krankheitsaktivität auftreten. Alternativen wären andere B-Zell-depletierende Medikamente wie Ocrevus oder Rituximab und Natalizumab (wenn der JCV-Index negativ ist), zudem Medikamente derselben Wirkstärke wie Gilenya wenn die vorgenannten nicht möglich sind.
Zu Ihrer 2. Frage:
Ja, das kann vorkommen, wobei Gilenya nicht klassischerweise zur Behandlung von allergischen/ atopischen Symptomen eingesetzt wird. Ich würde hier zunächst eine Vorstellung beim Hautarzt empfehlen, um zu klären ob topische Medikamente (z.B. Salben) infrage kommen. Die MS-Therapie würde ich nicht nach der Wirkung auf ihre atopischen Symptome auswählen, die oben genannten infrage kommenden Medikamente sind hier auch nicht geeignet.
CQ: Danke. Dh. es gibt jetzt keine medikamentöse Therapiemöglichkeiten mehr?
Prof. Ingo Kleiter: Das kann ich so pauschal nicht sagen, dazu müsste ich mir Ihre Befunde, Bilder und Geschichte genauer ansehen. Neben den bisher genannten Medikamenten gibt es weitere, seltener eingesetzte Therapiemöglichkeiten wie intervalläre Steroidtherapie, Mitoxantron und Cyclophosphamid, um einige zu nennen.
CQ: Danke
Prof. Ingo Kleiter: Sehr gern geschehen.
Sally: Hallo Herr Prof Kleiter, meine Diagnose ist von 2001, meine Medikamentenkarriere verlief über Rebif, Tysabi, Dalizumab und seit 2018 Ocrelizumab. Ich bin unter Ocrevus erstmals stabil, meine Gehstrecke ist nicht tatsächlich eingeschränkt, leicht ataktischer Gang bei zu großer Belastung, leichte Fatigue, Macken von Sehnerventzündungen, prinzipiell bin ich aber bislang all die Jahre verhältnismäßig gut durchgekommen. Vor kurzem habe ich gelesen, dass man beim Absetzen von Ocrevus nicht prinzipiell davon ausgehen kann, dass die B-Zellen sich wieder erholen, wie es zunächst ja den Anschein hatte. Für mich war das in der Therapieentscheidung durchaus wichtig, dass die Depletion reversibel ist. Nicht, dass ich deswegen an meiner Situation deswegen etwas ändern könnte: ich wäre dennoch interessiert, ob Sie dazu etwas sagen können, wie sich der Körper nach einer zunehmenden Anzahl von Behandlungsjahren mit Depletion erfahrungsgemäß verhält. Unter Corona wurde bei mir der Turnus der Infusionen auf fast 10 Monate gestreckt, da waren im Blut keine Zellen belegbar. Wie hoch ist die Möglichkeit einer dauerhaften „Schädigung“, lässt sich das benennen?
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Sally,
vielen Dank für diese interessante, aber schwierig zu beantwortende Frage. Man könnte es sich einfach machen und sagen wir wissen es nicht, dafür fehlen momentan die erforderlichen Langzeituntersuchungen, Ocrevus ist erst seit 2018 auf dem Markt. Wir gehen zudem aufgrund des Wirkmechanismus davon aus, dass Ocrevus hauptsächlich die B-Zellen im Blut und Lymphgeweben erreicht und zerstört, nicht jedoch die nachbildenden Zellen im Knochenmark. Andererseits wissen wir von einer ähnlichen, schon wesentlich länger verwendeten Substanz, Rituximab, dass es sehr wohl bei längerfristiger Anwendung über viele Jahre zu einem langsamen Abfall von Immunglobulinen (v.a. IgG, IgM), aber auch anderen Immunzellen als B-Zellen kommen kann und dass die Erholung von B-Zellen nach Absetzen manchmal sehr langsam vonstatten geht. In seltenen Fällen kann es sogar zu einer dauerhaften Depletion von B-Zellen kommen. Die Mechanismen hierfür sind bisher nicht geklärt, so dass auch eine Prävention oder Vorhersage, wer betroffen sein wird, nicht möglich ist. Zu beachten ist jedoch, dass viele dieser Befunde aus Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen kommen, also nicht zwangsläufig auf MS-Patienten unter B-Zell depletierender Therapie übertragen werden können.
Sally: Danke Ihnen für Ihre ehrliche Antwort!
Joe: Hallo ich habe ms seit 2019 wurde damals durch eine sne diagnostierzt. Hatte im mrt viele herde aber habe bis dahin nie was gemerkt. Habe daraufhin tecfidera genommen hatte nach 2 jahren wieder einen schub. Sne wieder selbe auge daraufhin therapie gewechselt jetzt nehme jetzt zeposia seitdem kein schub und keine mrt veränderung. Aber man liest immer wieder das es vielen in den ersten jahren gut geht. Kann es wirklich schlechter werden nach jahren? Seit der diagnose fühle ich mich so als wäre nie was gewesen führe mein leben genaus so weiter. Wird es mal eine heilung geben wie man so liest?
Prof. Ingo Kleiter: Hallo Joe,
es ist sehr gut, dass mit Zeposia ein Medikament gefunden wurde, dass gut wirkt. Wenn die Krankheitsaktivität gestoppt wird, also keine neuen Schübe, keine neuen MRT Herde und keine Verschlechterung der klinischen Symptome/des neurologischen Befunds, bestehen auch gute Chance langfristig ein "normales Leben" mit MS zu führen. Dies ist dann zwar kein "Heilung", da weiter Medikamente genommen werden müssen, aber doch ein für Viele zufriedenstellender Zustand.
Ob es jemals eine Heilung geben wird - wer weiß? Ich tippe eher auf eine präventive Maßnahme oder Impfung, die in Zukunft verhindern könnte, dass MS noch auftritt.
Patricia Fleischmann: Liebe Chatterinnen und Chatter, haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen. Ein herzliches, großes DANKE geht natürlich an Prof. Ingo Kleiter, der sich einmal mehr Zeit genommen hat für den AMSEL-Expertenchat!
Weiter geht es am AMSEL-Dienstag, den 17. Oktober 2023 mit Dr. Michael Fritz und dem Thema Schmerzen und Spastik bei MS.
Ihnen allen einen schönen weiteren Abend 😀🥱👍️
Redaktion: AMSEL e.V., 20.09.2023