MS aus neurologischer Sicht

20.03.07 - Das Anwendungsspektrum von Tysabri wird sich vermutlich in Zukunft erweitern, so Dr. Herbert Schreiber im AMSEL-Expertenchat.

Moderator Patricia Fleischmann: Einen schönen guten Abend, liebe AMSEL-Chatter und ein herzliches Willkommen an Dr. Herbert Schreiber, unseren heutigen Chatexperten. Wir sind gespannt auf Ihre Beiträge!

 
 
Dr. herbert schreiber
 
 
 
     
     

    Niedergelassener Neurologe der Gemeinschaftspraxis Drs. Lang, Krauß, Kriebel und Schreiber in Ulm.

    • Schwerpunkte: Rehabilitationsmedizin, Geriatrie, Schmerztherapie.
      apl. Prof. der Universität Ulm.
      Tätig in der Patientenakademie Neuropoint, Ulm.
    • Regelmäßig als Referent und Experte auf AMSEL-Veranstaltungen engagiert.

     


    Nele: Guten Abend ! ich habe seit Juli 2002 MS hatte es ziemlich gut bin jetzt 26Jahre alt, seit Dezember habe ich Mühe mit gehen war in der MRT waren keine aktiven Herde zu sehen mir wurde REHA angeboten war 6 wochen da die ersten 2 wochen warten gut bis ich von Avonex jetzt auf Rebif 44 wechseln musste wurde schwächer kam nach Hause gehe zum Arzt er sagt das ich ein Schub habe und noch schwächer auf den Beinen bin habe von Freitag bis heute dienstag 5 mal 500 mg Cortisoninfusion bekommen es geht mir besser die frage ist kann es einen Rückfall geben weil ich das cortison abegsetzt habe und kann es sein das ich von der REHA einen Schub bekommen habe oder sogar wegen Rebif 44 bis sich das an den Körper gewöhnt hat ich möchte laufen können wie vor 3 Mte.

    Dr. Herbert Schreiber: S.g. Patientin, die Gefahr eines Rückfalls nach Absetzen von Cortison schätze ich gering ein. Wichtig ist zunächst, daß Sie gut darauf angesprochen haben, was für einen Schub spricht (trotz negativen MRTs). Nun sollten Sie die Fortschritte konsequent durch Physiotherapie ausbauen. Von der Reha kommt der Schub sicher nicht, auch mit größter Wahrscheinlichkeit nicht von Rebif. Sie wissen, daß MS eine Auto-Immunerkrankung ist, was heißt, daß Schübe auch ohne äußere Faktoren vom Immunsystem selbst ausgelöst werden können (Immunsystem des Körpers greift sich selbst an). Ich würde in der derzeitigen Situation abwarten und dem Rebif längere Einwirkzeit geben.

    Gerit: Ich heiße Gerit, bin Mutter von zwei Kinder im Alter von 10 und 6 Jahren. Ich habe seit 2003 MS ich spritze mich jeden Tag mit Interferon Copaxone, muß aber zusätzlich weil ich nach dem letzten Schub so starke Panik Attacken bekam eine Art Antidepressiva (Trevolor 150) einmal am Tag nehm. Nun zur meine Frage: Ich habe in der letzten Zeit Schmerzen im Innenbereich meines Beines und dachte zuerst es wären die Venen, aber nach ärztlicher Abklärung war dies nicht der Fall. Wenn ich mit der Hand den Innenbereich meines Beines abfühle ist es wirklich schmerzhaft. Nun fängt dieser gleiche Schmerz im linken Innenbreich meines Armes an. Wenn ich im Bett liege ist der Schmerz heftiger und ich merk, wenn ich kalte Stellen suche, wird es besser. Meine neurologische Ärztin sagt, ich soll nicht immer auf meinen Körper hören, sondern lernen anderst damit um zugehen. Liegen diese Muskelschmerzen an der MS??

    Dr. Herbert Schreiber: S.g. Patientin, diese Schmerzen sollten weiter diagnostiziert werden. Möglicherweise kommen sie von den Nervenwurzeln im Kreuzbereich, die bis in die Beine ausstrahlen. Andererseits spräche die Armbeteiligung dagegen. Man muß aber auf jeden Fall die Wirbelsäule prüfen. Eine Auslösung von Schnmerzen durch ihre MS ist ebenso nicht ausgeschlossen, ein relativ hoher Prozentsatz von MS-Pat hat Schmerzen, was man früher nicht wußte. Man spricht von "zentralen" Schmerzen, da sie im Gehirn bzw Rückenmark entstehen können. Eine Therapieoption wäre vielleicht das Präparat Lyrica. Vielleicht sprechen sie dieses einmal bei Ihrem Arzt an.

    Krass: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, wie beurteilen Sie die Wertigkeit von Aminosäuren für die Entstehung von MS und möglichen neuen Therapieansätzen ? Die Schulmedizin scheint derzeit ein besonderes Augenmerk auf die nähere Erforschung von Aminosäuren im Hinblick auf die Entstehung von verschiedensten Erkrankungen, so auch bei der MS, zu legen. Vielen Dank für die Beantwortung.

    Dr. Herbert Schreiber: Leider habe ich mich mit diesem Thema nicht ausreichend befaßt. Ich weiß nur, daß immer wieder einmal L-phenylalanine in Therapiestudien auftaucht. Eine kompetente Aussage kann ich hier jedoch nicht machen.

    Bine: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, meine Fragen sind: kann die "MS" auch Organe schädigen? Ich habe schon seit Wochen Schmerzen in Richtung Leber. Meine letzte Ultraschalluntersuchung der Leber war im Dezember. Damals war alles ok. Ich kann "Ärzte" nicht mehr sehen. Ich war in den 2 jahren bestimmt 100000 Mal dort. Ich habe Rehantrag gestellt. Falls es genehmigt wird, untersuchen die Ärzte in der Reha auch alles komplett? Was halten Sie von Tysabrie? Können auch Besserungen in puncto Laufen auftreten? oder kann es auch nur evtl. den Stand halten?? Vielen Dank für Ihre Antworten

    Dr. Herbert Schreiber: S.g. Patientin, MS ist eine Erkrankung, die auf Gehirn und Rückenmark beschränkt ist. Eine Schädigung innerer Organe kommt nicht vor. Deshalb trotzdem bitte einen Internisten aufsuchen, falls die Leberbeschwerden nicht weggehen. REHA ist eine gute Idee. Dort kann man auch internistisch untersuchen, ggf über Kooperationen der Kliniken. Besserungen können in der Reha durchaus auch beim Laufen auftreten, insbes wirken sich hier Übungseffekte positiv aus, die auch länger anhalten können. Tysabri ist ein gutes und innovatives Medikament, kommt allerdings derzeit nur für Patienten in Frage, die auf die gängigen immunmodulatorischen Substanzen nicht ansprechen. Wahrscheinlich wird sich jedoch das Anwendungsspektrum in Zukunft erweitern.

    N: sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, gibt es neue Informationen zu möglichen SPMS-Therapien? vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus !

    Dr. Herbert Schreiber: Leider gibt es nichts wesentlich Neues. Bei SPMS (sekundär progredient) steht weiterhin Betaferon zur Verfügung, als Eskalationstherapie auch Mitoxantron. Tysabri ist für die sekundär progrediente Form derzeit nicht zugelassen, wohl aber für schwerwiegende schubförmige MS. Möglicherweise erweitert sich das Spektrum jedoch in den kommenden Jahren.

    Anja: Guten Abend, Im Jahr 2003 wurde bei meinem Mann die Diagnose MS gestellt. Angeblich muß er die Krankeit aber schon sehr viel länger haben, da mindenstens eine Sehnerventzündung vorher dagewesen sein muß. Seit Anfang 2004 spritz er Copaxone, was er gut verträgt. Er hatte 2005 einen leichten Schub, und nun zu Weihnachten wieder (diesmal schwerer). Jetzt sind die Beine schon wieder taub, der Neurologe möchte aber kein Cortison geben, da er gut laufen kann. Trotzdem soll ein MRT gemacht werden und ein Wechsel zu einem anderen Medikament wird erwogen. Welche Alternativen gibt es?

    Dr. Herbert Schreiber: Zu Cortison kann ich nichts sagen, da ich die das klin Bild Ihres Mann nicht kenne. In der Regel wird jedoch bei Schüben, insbes wenn sie schwerer sind, mit Cortison behandelt. Die MRT Kontrolle ist voll zu unterstützen, da dadurch die Läsionslast sehr genau, also auch klinisch möglicherweise nicht erkennbare Krankheitsaktivität, nachgewiesen werden kann. Alternativen müssen gut erwogen werden - nach 2 Schüben unter COP ist jedoch ein Wechsel durchaus überlegenswert. Zusatz-Infos kommen vielleicht vom NMR. Alternativen bieten die Interferone (Betaferon, Rebif, Avonex).

    N: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, wird es bald Therapien geben, die z.B. das Laufen verbessern (z.B. Kaliumkanalblocker)? Vielen Dank für die Beantwortung im Voraus.

    Dr. Herbert Schreiber: Ich kann mir vorstellen, daß neue Medikamente, die Ionenkanäle (z.B. Kalium, Natrium, Calcium) beeinflußen, erweiterte Therapieansätze gegen die Spastik bieten. Dies würde sich dann auch positiv auf das Laufen auswirken. Auch neue Schmerzmedikamente sind aus diesem Spektrum zu erwarten. Von einer unmittelbar bevorstehenden Markteinführung ist mir aber nichts bekannt.

    N: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, besteht die Möglichkeit, daß Medikamente wie Simvastatin (Statine) sich negativ auf die Nervenleitgeschwindigkeit auswirken und somit das Laufen verschlechtern? Danke für Ihre Beantwortung!

    Dr. Herbert Schreiber: Mir ist nicht bekannt, daß Simvastatin oder andere "Fettsenker" die Nervenleitgeschwindigkeit herabsetzen. Jedoch können sie eine Beeinträchtigung des Muskels auslösen. Man findet relativ häufig eine erhöhte Muskel-CK im Blut, was die Muskelschädigung andeutet. Manchmal sind auch Muskelschmerzen mit im Spiel, im Extremfall eine Muskelschwäche (Myopathie) - dies erfordert eine neurolog Kontrolle und meist ein Absetzen bwz Wechsel des Präparats. Entscheidend ist immer auch die Frage, wie schwerwiegend die Fettstoffwechselstörung ist. Ggf bitte hier nochmals Rücksprache mit Hausarzt und Neurologen.

    N: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, z. Zt. wird immer wieder die FSME-Impfung empfohlen. Was halten Sie von einer solchen Imfung für MS-Patienten? Danke für Ihre Antwort !

    Dr. Herbert Schreiber: Vor kurzem hatte ich ein Gutachten zur Frage Impfung und MS. Eine langes und leider nach wie vor nicht eindeutig geklärtes Thema. Persönlich kann ich meine Angst nicht ganz loswerden, obwohl harte Beweise für eine direkte Assoziation zwischen MS und der FSME-Impfung fehlen. In Endemiegebieten für die Erkrankung ist die Impfung deshalb zu diskutieren.

    N: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, welche zusätzlichen Vitaminpräparate bzw. nahrungsergänzungsmittel können Sie empfehlen die sich eher positiv auf den Gesundheitszustand auswirken und wie sehen sie die oft vertetene Meinung, daß immunsteigernde Präparate auch den Angrift auf das Myelin fördern? Danke für Ihre Antwort !

    Dr. Herbert Schreiber: Ich konnte dieses Thema etwas genauer durch die Literaturrecherche einer Mitarbeiterin studieren. Es ist vor allem Vitamin D in der Diskussion, ebenso Vit B12. Vit D kam vor allem durch Tierstudien ins Interesse, in denen die aktive Form einen günstigen Effekt gegen die allergische autoimmune encephalomyelitis ausübte. Auch Immunzellen (T-Zellen) werden durch Vit D mitreguliert. Diese und ähnliche Bef machen das Präparat als Therapieansatz interesssant. Leider gibt es bisher keine Daten am Menschen, die diese Hypothesen stüzten oder gar beweisen könnten. Das ist die Schußfolgerung der Cochrane Datenbank, die sehr renommiert und genau ist und 8 Studien am Menschen ausgewertet hat. Teil 2 Ihrer Frage: Ja, ich kann mir vorstellen, daß ein überaktives Immunsystem "kontraproduktiv" bei MS sein kann. Ob sich das bei den immunsteigernden Medikamenten schon auswirkt, die allgeimein im Handel sind, ist die Frage. Ich bin eher skeptisch. Persönlich würde ich (ohne Not) auf solche Präparate verzichten.

    N: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, man hört immer wieder von Überlegungungen, daß die Physiotherapie nur noch einmal im Quartal verschrieben werden kann - womit muß man rechnen ? Danke für Ihre Antwort !

    Dr. Herbert Schreiber: Das sind Kostendämpfungs-Phantasien von Betriebwirten etc. MS ist eine chronische Erkrankung, die auch andauerende Folgeschäden machen kann. Deshalb ist meine persönliche Meinung und sicher auch die vieler KollegInnen, daß MS Pat bei medizinisch begründeter Indikation ohne zeitl Begrenzung Physiother erhalten sollen. Ich glaube aber nicht, daß MS pat hier Angst haben müssen.

    Tabea: Sehr geehrter Dr. Schreiber, ab ostern soll eine Therapiemit Tysabri bei mir beginnen. Weil es mir die letzten Monate aber schlecht ging, ich müde und energielos war, habe ich ein großes Blutbild machen lassen, wobei raus kam, dass meine Leukozyten sehr niedrig waren. Das Immunsystem schien sehr geschwächt zu sein. Hat dies eine negative Folge auf den Beginn von Tysabri. Ich bin etwas besorgt, da es im Vorfeld Todesfälle gab

    Dr. Herbert Schreiber: Ich würde das BB auf jeden Fall im zeitlichen profil untersuchen lassen. Tysabri ist ein hervorragend wirksames Medikament. Man weiß jedoch, daß immungeschwächte Pat womöglich einer größeren Gefahr ausgesetzt sind (z.B. wenn eine Chemotherapie oder Immunsupression mit Zytostatika vorausging). Wahrscheinlich erholt sich Ihr Blutbild wieder, so daß dann die Therapie auch begonnen werden kann.

    Moderator Patricia Fleischmann: Verehrte Chatter, der heutige Expertenchat neigt sich allmählich dem Ende. Bitte stellen Sie Ihre Fragen bald, damit Dr. Herbert Schreiber sie noch beantworten kann. Jetzt schonmal die Ankündigung für unseren nächsten Chat: Am Dienstag, 3. April 2007 wird sich der Psychologe Ralf Babinsky dem Thema "MS und geistige Leistungsfähigkeit" widmen. Die AMSEL freut sich, wenn Sie wieder vorbeischauen!

    N: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, kurz noch eine Nachfrage zu Ihrer Antwort bzgl. zusätzlichen Vitaminpräparaten bzw. Nahrungsergänzungsmitteln. Was genau ist die aktive Form von Vitamin D, können Sie ein Präparat nennen? und in welcher Dosis würden Sie B12 empfehlen? - oft hört man, daß B12 oral eingenommen nicht so wirksam sei wie i.m. ? Danke nochmals ! Danke nochmals !

    Dr. Herbert Schreiber: Die akitve Form ist 1,25(OH)(2)D(3) - dehydroxycholecalciferol - es wird in Haut und Niere aktiviert. Ein Präparat kann ich Ihnen jedoch nicht nennen. Bitte einmal einen Apother fragen. Auf jeden Fall ist Vit B12 i.m. wirksamer als oral eingenommen. Bei einem metabolisch relevanten Vit B12 Mangel wird deshalb noch immer die intramusk Applikation empfohlen. Diese Empfehlung gilt jedoch nur für einen im Labor nachgewisenen, Stoffwechselrelevanten BitB12 Mangel - bei einer Nahrungssubstitution würde ich das nicht empfehlen.

    Moderator Patricia Fleischmann: Liebe Chatter, wir bedanken uns für Ihre rege Teilnahme. Der Chat schließt nun. Bitte stellen Sie jetzt keine weiteren Fragen mehr. Ich wünsche allen einen angenehmen Abend und danke Herrn Dr. Schreiber für seine kompetenten Antworten.

    N: Sehr geehrter Herr Dr. Schreiber, herzlichen Dank für Ihre kompetenten Antworten und nnoch einen schönen Abend !

    Dr. Herbert Schreiber: Besten Dank meinerseits für Ihr Interesse.

    Redaktion: AMSEL e.V., 11.04.2007