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Publikationspflicht kann Leben retten

16.11.04 - Wissen ist Macht, und das weiß auch die Pharmaindustrie. Die SPD-Bundestagsfraktion spricht sich für eine zentrale Veröffentlichung aller Studien aus.

Anlässlich der Anhörung der Enquete-Kommission "Ethik und
Recht der modernen Medizin" zum Schutz von Patienten und
Probanden bei klinischer Forschung am Menschen erklärte der
Sprecher der AG Ethik und Recht der modernen Medizin der
SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Wodarg:

"Durch die heutige Anhörung der Enquete-Kommission zum
Schutz von Patienten und Probanden wurde eine bedenkliche
Lücke in der Regelung klinischer Forschung am Menschen
deutlich: das Fehlen eines öffentlich zugänglichen Registers für klinische Studien und einer Veröffentlichungspflicht für laufende oder bereits abgeschlossene Studien.

Experten und Vertreter von Patientenverbänden wiesen darauf hin, dass bislang weder in Deutschland, noch auf europäischer Ebene eine derartige Publikationspflicht gegeben ist. Das bestehende Studienregister der Europäischen Arzneimittelbehörde EMEA in London steht nur staatlichen Stellen zur Verfügung, ist aber für Patienten, Wissenschaftler und Ärzte nicht zugänglich - eine Regelung, die auf Wunsch der Pharmaindustrie geschaffen wurde, die das Recht auf ihr geistiges Eigentum bedroht sah. Daher kann es geschehen, dass Studien mit einem vergleichbaren Studiendesign gleich mehrfach durchgeführt werden, obgleich eine Studie ausreichen würde. So werden immer wieder Probanden gänzlich ohne Not den Belastungen und eventuellen Risiken klinischer Studien ausgesetzt.

Noch gravierender ist die Tatsache, dass so genannte "negative Studien" - also Studien, die nicht die gewünschten Resultate bringen - von Pharmaunternehmen und
Wissenschaftlern oft abgebrochen oder unter Verschluss gehalten werden. Das gilt nach der Stellungnahme des Deutschen Cochrane Zentrums und des Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin auch für Studien, die gravierende
Nebenwirkungen von Arzneimitteln belegen können.

Ein eklatantes Beispiel liefert dafür der jüngste
Arzneimittelskandal um Vioxx. Hier erbrachte beispielsweise eine klinische Studie bereits im Jahre 2000 deutliche
Hinweise auf ein erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Komplikationen durch den verwendeten Wirkstoff. In der offiziellen Publikation der Studie wurden diese Hinweise aber schlicht unterschlagen. Zugleich wurden bei einer weiteren Studie, die eine verbesserte Verträglichkeit der verwendeten Wirkstoffe belegen sollte, Daten systematisch manipuliert. In einem anderen Fall steht das Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline derzeit in New York vor Gericht, weil es von fünf klinischen Studien, die in Antidepressiva für Kinder durchgeführt wurden, nur eine publizieren ließ, die restlichen vier aber unter Verschluss hielt. Das betreffende Antidepressivum hatte möglicherweise zu einer erhöhten Suizidrate unter den Patienten geführt.

In beiden Fällen hätten durch eine Veröffentlichungspflicht für klinische Studien vielleicht viele Menschenleben gerettet werden können. Es geht nicht an, dass über die Veröffentlichung von Studien, die für Gesundheit und Leben von Patientinnen und Patienten von erheblicher Bedeutung sind, letztlich diejenigen entscheiden, die ein unmittelbares kommerzielles Interesse am Verkauf der getesteten Mittel haben. Hier besteht bislang eine eklatante Regelungslücke, die nicht nur zu Lasten der Probanden klinischer Studien, sondern aller Patientinnen und Patienten geht."

Wichtiges Anliegen der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" wird es sein, Vorschläge zu ihrer Schließung zu erarbeiten. Ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung wäre laut der Kommission, das Studienregister der EMEA öffentlich zugänglich zu machen. Denn wo das Leben und die Gesundheit von Menschen auf dem Spiel stehen, müssten kommerzielle Interessen zurückstehen.

Redaktion: AMSEL e.V., 16.11.2004