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Pflegereform – Grundlegende Änderungen ab 2017 (TEIL 1)

Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) wird die Hilfe für pflegebedürftige Menschen von Grund auf reformiert: neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und neue Begutachtungskriterien, die den individuellen Pflegebedarf besser abbilden sollen. Together 03/16 stellt die Änderungen und Auswirkungen des PSG II vor.

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll mit der Neuregelung die Pflegesituation umfassend verbessert werden. Dabei sollen die individuellen Pflegebedürfnisse und die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen mehr Berücksichtigung finden als bisher.

Die Leistungen der Pflegeversicherung werden hierfür um fünf Milliarden Euro aufgestockt. Mit dem Geld soll insbesondere die Versorgung von Personen mit Demenz verbessert werden.

So soll es zukünftig für Personen mit körperlichen Einschränkungen und mit demenziellen Erkrankungen einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung geben.

Die wichtigsten Neuregelungen im Überblick:

  • 5 Pflegegrade ersetzen die bisherigen 3 Pflegestufen
  • Neudefinition des Begriffs der Pflegebedürftigkeit
  • Grad der Selbstständigkeit ersetzt Minutenpflege als Maßstab des Pflegebedarfs
  • Höhere Leistungen für viele Pflegebedürftige
  • Bestandsschutz für Personen mit vorhandener Pflegestufe
  • Verbesserung der sozialen Absicherung von Pflegepersonen
  • Einheitlicher pflegebedingter Eigenanteil in Heimeinrichtungen für die Pflegegrade 2 bis 5

Die bisherigen und künftigen Leistungen im Vergleich

Durch die Neuregelung soll niemand schlechter gestellt werden. Aktuelle Bezieher von Pflegeleistungen genießen einen Besitzstandsschutz. Die Überleitung in das neue System erfolgt automatisch. Eine neue Begutachtung wird nicht durchgeführt. Dabei gilt die Grundregel, dass Personen mit einem rein körperlichen Pflegebedarf um einen Pflegegrad hochgestuft werden (Bsp. Pflegestufe 1 wird Pflegegrad 2) und Personen mit Demenz um zwei Stufen angehoben (Bsp. Pflegestufe 1 mit Demenz wird Pflegegrad 3).

Nachfolgende Tabelle zeigt den Übergang vom bisherigen zum neuen System für die einzelnen Pflegestufen im ambulanten Bereich/der häuslichen Pflege (pro Monat):

Leistungen bis Ende 2016Leistungen ab 2017
 bisherige
Pflegestufe
 
 Pflege-
geld
 
 Sach-
leistung
 
> künftiger
Pflegegrad
 
 Pflege-
geld 
 Sach-
leistung
 
1
0
(mit Demenz)
123231>2316689
1244468>
1
(mit Demenz)
316689>35451.298
24581.144>
2
(mit Demenz)
5451.298>47281.612
37281.612>
3
Härtefall
7281.995>59011.995

Anmerkung: Der zukünftige Pflegegrad 1 kommt erst bei Neueinstufungen nach dem 01.01.2017 in Betracht, mit Anspruch auf Entlastungsbetrag i.H.v. 125 Euro mtl.

Einheitlicher Entlastungsbetrag

Der bisherige Entlastungsbetrag für zusätzliche Betreuungsleistungen in Höhe von 104 bzw. 208 Euro wird mit der Pflegereform vereinheitlicht und beträgt in Zukunft pauschal 125 Euro pro Monat. Mit dem Entlastungsbetrag können Aufwendungen der Tages- oder Nachtpflege, der Kurzzeitpflege, besondere Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung oder Angebote der hauswirtschaftlichen Versorgung von zugelassenen Pflegediensten sowie für Leistungen von beispielsweise familienentlastenden Diensten finanziert werden. Beim Pflegegrad 1 kann der Entlastungsbetrag ausnahmsweise auch für die Sachleistung durch den Pflegedienst (Grundpflege) eingesetzt werden.

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff

Experten sind der Ansicht, dass der bisherige Begriff der Pflegebedürftigkeit zu sehr auf körperliche Beeinträchtigungen ausgerichtet war und Menschen mit demenziellen, kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen nur teilweise gerecht wurde. Dies soll sich mit der Reform grundlegend ändern. Alle pflegerelevanten Beeinträchtigungen sollen nun bei der Begutachtung berücksichtigt werden.

Grad der Selbstständigkeit statt Zeitaufwand maßgeblich

Nicht mehr der Minutenbedarf für Pflegeverrichtungen sondern der Grad der Selbstständigkeit einer Person ist zukünftig der Maßstab der Begutachtung. Dabei werden künftig die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten der Menschen in sechs verschiedenen Bereichen beurteilt.

Diese Module werden vom Bundesministerium für Gesundheit im Wortlaut folgendermaßen beschrieben:

  1. Mobilität: körperliche Beweglichkeit, z.B. morgens aufstehen vom Bett und ins Badezimmer gehen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen
  2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: verstehen und reden, z.B. Orientierung über Ort und Zeit, Sachverhalte begreifen, Risiken erkennen, andere Menschen im Gespräch verstehen
  3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: z.B. Unruhe in der Nacht, oder Ängste und Aggressionen, die für sich und andere belastend sind, Abwehr pflegerischer Maßnahmen
  4. Selbstversorgung: z.B. sich selbstständig waschen und ankleiden, essen und trinken, selbstständige Benutzung der Toilette
  5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: z.B. Selbsteinnahme von Medikamenten, Blutzuckermessung durchführen und deuten, Umgang mit Prothese oder Rollator, Arzt selbstständig aufsuchen
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: z.B. die Fähigkeit haben, den Tagesablauf selbstständig zu gestalten, mit anderen Menschen in direkten Kontakt zu treten oder die Skatrunde ohne Hilfe zu besuchen

Die einzelnen Module sind wiederum in mehrere Kriterien unterteilt, die einzeln bewertet werden. So beinhaltet beispielsweise das Modul 1 "Mobilität" 5 Unterkriterien, die jeweils mit einer Punktzahl von 0 bis 3 bewertet werden. Je höher die Punktezahl, desto schwerwiegender die Beeinträchtigung. Die Punkte eines Moduls werden addiert und das Ergebnis spiegelt das Ausmaß der Beeinträchtigung im jeweiligen Modul wider. Für das Modul 1 "Mobilität" mit fünf Unterkriterien können sich so maximal 15 Punkte ergeben.

Allerdings fließen nicht alle Module mit gleicher Gewichtung in das Gesamtergebnis ein. Entsprechend ihrer Bedeutung für den Alltag werden die Ergebnisse aus den einzelnen Modulen unterschiedlich stark bei der Berechnung des Pflegegrades berücksichtigt. Das Modul "Selbstversorgung" wird beispielsweise mit 40 % gewichtet, das Modul "Mobilität" dagegen nur mit 10 %. Das Klingt kompliziert und ist im Einzelfall für die Betroffenen sicherlich schwierig nachvollziehbar, ob die Eingruppierung in einen der fünf Pflegegrade dem tatsächlichen Pflegebedarf entspricht.

Aus dem Punktesystem ergeben sich folgende Pflegegrade:

  • Pflegegrad 1: 12,5 bis unter 27 Punkte
  • Pflegegrad 2: 27 bis unter 47,5 Punkte
  • Pflegegrad 3: 47,5 bis unter 70 Punkte
  • Pflegegrad 4: 70 bis unter 90 Punkte
  • Pflegegrad 5: 90 bis 100 Punkte

Im zweiten Teil des Artikels finden Sie eine Übersicht überdie künftigen Leistungen im stationären Bereich und die Regelungen zur Kurzzeit- und Verhinderungspflege, Wohnungsanpassung und Pflegezeit für Berufstätige.

Redaktion: AMSEL e.V., 08.11.2016