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ZNS-Gewebe regenerieren mit Medryson?

Noch ist der Ansatz, mit einem Kortison das ZNS zu remyelinisieren und zu regenerieren, rein hypothetisch und funktioniert nur im Mausmodell. Ob es auch beim Menschen funktionieren kann, muss sich noch zeigen.

Beschädigtes Gewebe in Gehirn und Rückenmark zu regenerieren, davon träumen Patienten und Ärzte, Angehörige und Wissenschaftler, seitdem es die Multiple Sklerose gibt. Bisher ist dafür kein Kraut gewachsen. Während für die schubförmige Phase bereits viele die Krankheit wenigstens und teils sehr erfolgreich bremsende Wirkstoffe zur Verfügung stehen, gibt es für die progredienten, von schleichender Degeneration gekennzeichneten Verläufe PPMS und SPMS bislang nur verhalten wirksame Mittel (siehe auch MS behandeln). Bei fortgeschrittener MS steht bis heute die symptomatische Therapie im Vordergrund. Regeneration oder Remyelinisierung würde bedeuten, dass bereits entstandene Schäden wenigstens teilweise wieder repariert werden könnten.

Dabei gab und gibt es viele, im Mausmodell wirksame Ansätze; die Zulassung für progrediente MS-Verläufe schafften nur wenige und dies mit eher schwacher Wirksamkeit (siehe auch die AMSEL-Newsrubrik "Progressive/ progrediente MS").  Auch im aktuellen Fall wäre es verantwortungslos, zu viel Hoffnung zu schüren.

Ziel der Forschung: mehr Lebensqualität bei fortgeschrittener MS

Im Fall von Medryson beziehen sich die bisherigen Erfolge lediglich auf ein Mausmodell der MS. Erwähnenswert ist es dennoch, denn es zeigt einmal mehr, dass Forscher weltweit mit großem Einsatz an besseren Therapien für MS arbeiten. Und: Je mehr neue Ansätze entdeckt werden, desto größer ist die Chance, dass einige davon zu wirksamen Therapien führen und die Lebensqualität von Menschen mit fortgeschrittener MS verbessern können.

Zur Studie: Ein Forschungsteam um Professor Patrick Küry in Düsseldorf konnte am Mausmodell zeigen, dass das Kortikosteroid Medryson verlorene Zellen ersetzen hilft und auch Myelinscheiden wiederherstellen kann. Ließen sich diese Ergebnisse auf MS-Patienten übertragen, dann wäre es möglich, den Erkrankten mit fortgeschrittener MS besser zu helfen und womöglich – bislang noch ein kühner Traum bei der Behandlung der MS – verlorene Funktionen teilweise wiederherzustellen.

Maus ist nicht Mensch

Ganz klar muss man an dieser Stelle betonen, dass Maus nicht Mensch ist und auch eine Maus-MS nur begrenzte Parallelen mit der menschlichen MS aufweist. Ferner muss sich Medryson in der nötigen Dosierung als sicher erweisen, das Nutzen-Nebenwirkungsrisiko akzeptabel sein und all dies in aufwändigen Studien gezeigt werden.

Der Vorteil: So es diese Voraussetzungen erfüllt, könnte es etwas schneller gehen als mit einem gänzlich neuen Wirkstoff. Denn: Medryson ist in Form von Augentropfen ein bereits zugelassenes Medikament. Es gehört zu den Kortikosteroiden und ist für die Behandlung von inflammatorischen Augenerkrankungen und allergischen Augenreaktionen zugelassen. Im Hinblick auf seine neurologische Wirkung war es bisher kaum untersucht. Derzeit ist das Medikament in Deutschland nicht erhältlich.

Das Forschungsteam um Prof. Patrick Küry untersucht schon viele Jahre degenerative und regenerative Prozesse des ZNS, auch mit dem Ziel, Wirkstoffe zu finden, die den Regenerationsprozess in Gehirn und Rückenmark fördern. In seiner Studie konnte das Düsseldorfer Team zeigen, dass Astrozyten auf Myelinschäden speziell reagieren. Es entstehen Subtypen, die teils die Regeneration, teils den Zerstörungsprozess fördern. Diese Prozesse sind hochkomplex.

Unerwarteter Einfluss von Medryson auf Astrozyten-Subtypen

Unerwartet für die Forscher an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Düsseldorf war, dass Medryson (hier als Injektion gegeben) im Mausmodell Subtypen der Astrozyten fördert, die für Gewebeschutz und Remyelinisierung zuständig sind, und jene unterdrückt, die weitere Schäden verursachen würden. "Diese Studie deutet auch darauf hin, dass dieses Medikament als potenzielle Behandlung von Nutzen sein kann bei MS im Spätstadium, in dem regenerative Prozesse zunehmend scheitern," schließen die Forscher aus ihren Ergebnissen, wobei sie ebenfalls einschränken, dass hier weitere Studien nötig seien, auch vor dem Hintergrund, dass Maus und Mensch in der Reaktion ihrer ZNS-Zellen Unterschiede aufweisen.

Quelle: The Lancet, 08.08.2022.

Redaktion: AMSEL e.V., 09.09.2022