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Was ist eine wirksame Therapie der Multiplen Sklerose

Einfach gedacht: Ein Patient bekommt ein Medikament und es geht ihm besser, also ist es wirksam? - Leider ist es nicht so einfach. Die pure Tatsache, dass sich ein Patient unter einer Therapie bessert, ist kein Beweis für deren Wirksamkeit.

Es gibt objektive Besserungen ohne jede Therapie oder auch in Patientengruppen, die im Rahmen von Studien ein wirkungsloses Scheinmedikament (ein „Placebo“) erhalten. Um die Wirksamkeit eines Medikamentes aber auch eines Verfahrens z.B. der Hippotherapie zu beweisen, sind klinische Studien notwendig.

Jede korrekt durchgeführte Studie – sei es nun zur Multiplen Sklerose oder einer anderen Erkrankung – folgt einem Protokoll; Für Arzneimittelstudien gelten diesbezüglich sehr strenge gesetzliche Regeln. Das Ziel einer Studie ist es, wissenschaftlich korrekte Aussagen über die Wirksamkeit eines Medikamentes oder einer anderen Therapie zu erhalten. Genauso wichtig ist es aber, alle Nebenwirkungen zu erfassen. Dazu müssen alle während der Studie und einem Nachbeobachtungszeitraum auftretenden Krankheiten und abweichende Laborbefunde von allen Studienteilnehmern aufgelistet werden. Nicht wenige Arzneimittelstudien mussten abgebrochen werden, weil sich herausstellte, dass bis dahin unbekannte und zu gefährliche Nebenwirkungen aufgetreten sind.

Die Bedeutung der Randomisierung

Wenn man zwei Gruppen von Patienten miteinander vergleicht, z.B. Vegetarier und „Normalköstler“ und dann einen Unterschied zwischen beiden Gruppen findet, dann kann man nicht sicher sein, dass die Ursache für diesen Unterschied alleine in der Ernährung liegt. Es kann sein, dass die beiden Gruppen sich noch bezüglich anderer Faktoren unterscheiden. So treibt vielleicht die eine Gruppe mehr Sport oder macht mehr Entspannungstraining; man kann sich noch viele weitere Faktoren vorstellen, in denen Unterschiede bestehen.

Dieses Problem kann man durch Randomisierung umgehen: Bei diesem Verfahren werden die Studienteilnehmer zufällig der einen oder anderen Gruppe zugeordnet. Wenn die Gruppe insgesamt groß genug ist, kann man davon ausgehen, dass sich zufällige Unterschiede zwischen den Teilnehmern auf beide Gruppen verteilen und somit die beiden Gruppen ausreichend homogen sind, um eine relativ sichere Aussage zu erlauben.

Daran sieht man auch die Probleme solcher Studien: Während es einfach ist, in Arzneimittelstudien die Teilnehmer zuzuordnen, wird es sehr schwierig, randomisierte Studien durchzuführen, bei denen eine Änderung des LebensstiIs nötig wäre, z.B. dass eine Gruppe deutlich weniger tierische Fette zu sich nimmt oder deutlich mehr Sport treibt. Obwohl einige Faktoren nachträglich aus den Daten „herausgerechnet“ werden können, ha- ben Studien ohne Randomisierung eine geringere Aussagekraft.

Doppelblindstudie

Wenn z.B. ein Arzt von einer Behandlung überzeugt ist, schätzt er vielleicht bei einer körperlichen Untersuchung den Patienten unbewusst als besonders gut ein. Ein Patient, der an ein Medikament glaubt, strengt sich vielleicht mehr an. Es gibt auch vielfältige Einflüsse von seelischen Faktoren auf Therapieergebnisse. Wenn es also darum geht, die Wirksamkeit eines Medikamentes zu beweisen, gilt die Doppelblindstudie als der „Goldstandard“.

Dabei werden Gruppen gebildet; eine Gruppe erhält das Medikament (das „Verum“), eine andere Gruppe ein wirkungsloses Scheinmedikament (ein „Placebo“). Weder der Arzt noch der Patient wissen, wer das Medikament und wer das Placebo erhält, beide sind also diesbezüglich „blind“ (deshalb nennt man diese Studien auch „Doppelblindstudien“). Verum und Placebo unterscheiden sich äußerlich gar nicht. Selbstverständlich weiß jeder, der an einer Studie teilnimmt, darüber Bescheid, es gelten sehr strenge gesetzliche Regelungen für Arzneimittelstudien. Jeder Teilnehmer muss unterschreiben, dass er bereit ist, an einer solchen Arzneimittelstudie teilzunehmen und die Studienteilnahme kann jederzeit beendet werden.

Nach dem Studienende können die beiden Gruppen bezüglich bereits vorher festgelegter Kriterien verglichen werden. Wenn dann die Verumgruppe überzufällig (man sagt dann: „statistisch signifikant“) weniger MS-Schübe aufweist als die Placebogruppe, oder in der Verumgruppe mehr Patienten stabil sind als in der Placebogruppe, dann kann gesagt werden: Das Medikament ist bezüglich der Schubratenreduktion oder der Progressionsverlangsamung wirksam. Bei der schubförmigen Multiplen Sklerose werden jetzt die Studien meist doppelblind gegen ein bereits als wirksam erkanntes Medikament durchgeführt.

Das kann dann dazu führen, dass ein Betroffener sich dreimal pro Woche eine Spritze unter die Haut gibt und er noch Infusionen erhält. Entweder die Spritzen oder die Infusion enthalten Placebo. Natürlich können nicht alle Therapien der Multiplen Sklerose im Doppelblind-Design untersucht werden, bei der Hippotherapie oder krankengymnastischen Techniken weiß der Betroffene schon, was er erhalten hat. Aber auch solche Verfahren können in wissenschaftlich sauberen Studien untersucht werden.

Evidenzbasierte Medizin

Wir alle möchten bestmöglich nach dem aktuellen Stand des Wissens behandelt werden, eines Wissens, das gerade bei der Multiplen Sklerose sehr schnell wächst. „Evidenzbasierte Medizin ist demnach der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten“, so lautet eine Definition.

Evidenzklassen

Um eine Orientierung darüber geben zu können, wie gut eine Therapieempfehlung durch wissenschaftliche Daten begründet ist, wurden sogenannte Evidenzklassen definiert:

Evidenzklasse I (die beste Evidenzklasse):

Es liegen meist mehrere, große, randomisierte, kontrollierte, methodisch gut gemachte Studien vor (bei Arzneimitteln oft Doppelblindstudien), oft auch sogenannte Metaanalysen, bei denen verschiedene Studien zusammengefasst werden.

Evidenzklasse II:

Es liegen meist mehrere, gut angelegte Studien ohne Randomisierung vor.

Evidenzklasse III:

Evidenz aufgrund gut angelegter, nicht experimenteller, beschreibender, vergleichender Studien.

Evidenzklasse IV:

Evidenz aufgrund von Meinungen von Expertenkreisen, Konsensuskonferenzen oder von Expertenmeinungen anerkannter Autoritäten.

Zulassungen für Medikamente werden praktisch nur bei Vorliegen von Klasse I Evidenzen für deren Wirksamkeit erteilt. Viele freiverkäufliche Substanzen wie z.B. Nahrungsergänzungsmittel, die für die Multiple Sklerose beworben werden, verfügen jedoch nicht über ausreichende Evidenzen für deren Wirksamkeit. Wenn jemand die „Wirksamkeit“ eines Verfahrens oder eines Medikamentes etc. behauptet, sollte derjenige Daten zur Wirksamkeit vorlegen können und nicht nur Argumente dafür, dass diese Therapie sinnvoll sein könnte.

Was bedeutet es, wenn die Wirksamkeit einer Therapie bewiesen ist?

Bei Immuntherapien hat Wirksamkeit nichts mit Heilung zu tun (die gibt es leider bei der Multiplen Sklerose noch nicht). Es kann auch nicht versprochen werden, dass es eine Besserung von Symptomen gibt. Wirksamkeit heißt zum Beispiel bei der schubförmigen MS, dass die Betroffenen, die mit der Substanz behandelt wurden, mathematisch beweisbar („signifikant“) weniger Schübe haben und sich langsamer verschlechtern als die Kontrollgruppe.

Leider ist es immer noch so, dass auch unter den allerneuesten Therapien eine klinische Verschlechterung nicht ausgeschlossen werden kann. Die „wirksamen“ Immuntherapien der MS konnten alle auch zeigen, dass es weniger neue oder kontrastmittelaufnehmende Herde darunter gibt. Auch ein kleiner Unterschied zwischen der Verum- und der Placebogruppe kann statistisch signifikant sein, und das Medikament ist damit „wirksam“. Es lohnt sich also, die Originalkurven anzusehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie groß der zu erwartende Nutzen ist, d.h. wie groß der Unterschied zwischen den Gruppen ist. Wenn man zu viel erwartet, ist die Gefahr groß, vom realen Effekt des Medikamentes enttäuscht zu sein.

Allerdings sagen Mittelwerte nichts darüber aus, wie groß der Nutzen für den Einzelnen ist. Wenn man Glück hat, kann man deutlich besser abschneiden als der Mittelwert in der Studie vorhersagt, es kann aber auch sein, dass die Therapie sehr wenig nutzt und über eine Alternative nachgedacht werden muss.

Fazit

Bevor eine Therapie zugelassen wird, müssen der Nutzen und die Nebenwirkungen in großen Studien belegt sein. Wenn die mit dem zu prüfenden Medikament behandelte Gruppe mathematisch beweisbar besser abschneidet als eine Placebo-Gruppe (die Placebo erhalten hatte), kann gesagt werden, dass diese Therapie wirksam ist. Leider gibt es immer wieder Berichte über „Wundertherapien“ oder es wird versucht, Nahrungsergänzungsmittel zu verkaufen, für die kein Wirksamkeitsbeweis vorliegt. Im Zweifelsfall sollte dazu der behandelnde Neurologe gefragt werden.

Quelle: together, 04.19 / Abdruck mit freundlicher Genehmigung des DMSG-Landesverbandes Rheinland-Pfalz

Redaktion: AMSEL e.V., 13.08.2020