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Warnung: Omega-3-Nahrungsergänzungsmittel und Herzrisiko

Die Gesundheitsbehörden warnen, dass durch Omega-3-Fettsäure-Präparate das Risiko für Vorhofflimmern bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen oder einem Risiko hierfür erhöht werden kann. AMSEL fragte bei Prof. Dr. Mathias Buttmann nach, was das für Menschen mit Multipler Sklerose bedeutet.

AMSEL: Lieber Herr Prof. Buttmann, was hat es mit dieser Warnung auf sich?

Buttmann: Am 16.11.23 haben die Hersteller Omega-3-Fettsäure-haltiger Arzneimittel in Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden einen sogenannten Rote-Hand-Brief veröffentlicht. Hierin wird die medizinische Fachöffentlichkeit über neu erkannte Risiken durch die Einnahme von Omega-3-Fettsäure-haltigen Arzneimitteln informiert. Vorausgegangen war eine Feststellung der Europäischen Gesundheitsbehörde EMA, dass bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Risikofaktoren hierfür durch die Einnahme das Risiko für das Auftreten eines sogenannten Vorhofflimmerns erhöht wird. Eine solche oft unbemerkte Herzrhythmusstörung kann gefährlich sein, weil sie unter anderem das Schlaganfallrisiko erhöhen kann.

AMSEL: Wie kamen die Gesundheitsbehörden zu dieser Risikoeinschätzung?

Buttmann: Grundlage für die behördliche Warnung waren insbesondere drei große, 2021 und 2022 veröffentlichte Metaanalysen, in denen jeweils eine Reihe kontrollierter Studien zu dieser Fragestellung zusammenfassend wissenschaftlich analysiert wurde. Die drei Arbeiten fanden heraus, dass durch eine Einnahme von Omega-3-Fettsäure-Nahrungsergänzungsmitteln gegenüber einem Placebo, also einem Scheinmedikament ohne Wirkstoff, das Risiko für Vorhofflimmern insgesamt um 32 bis 49 % erhöht werden kann, also bis zu eineinhalbfach. Ein erhöhtes Schlaganfallsrisiko konnte hingegen nicht nachgewiesen werden.

AMSEL: Betrifft diese Risikoerhöhung alle Menschen gleichermaßen?

Buttmann: Nein. Zum einen wurde beobachtet, dass das Risiko von der eingenommenen Dosis abhängt. Das Risiko war bei einer Einnahme von 4.000 mg pro Tag am höchsten. Zum anderen wurden in die genannten Studien insgesamt 80.000 Menschen eingeschlossen, von denen die meisten eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder Risikofaktoren hierfür hatten, insbesondere einen erhöhten Blutfettspiegel. Andere solcher Risikofaktoren sind z.B. ein Bluthochdruck, eine Zuckerkrankheit, ein zu hoher Cholesterinspiegel oder das Rauchen. Ob ohne solche Risikofaktoren das Risiko für Vorhofflimmern durch Omega-3-Fettsäure-Präparate erhöht wird, ist nicht bekannt. Ich würde denken, wahrscheinlich zumindest nicht in gleichem Maß.

AMSEL: Welchen Nutzen bringen denn Omega-3-Fettsäure-Präparate nach aktuellem Stand der Wissenschaft bei der Multiplen Sklerose?

Buttmann: Da scheiden sich die Geister. Ich persönlich orientiere mich in meinen Empfehlungen an nach meinen Maßstäben belastbarer wissenschaftlicher Evidenz. Es wurden bis heute mehrere randomisierte kontrollierte Therapiestudien bei MS durchgeführt, die allerdings von sehr unterschiedlicher Größe und Studienqualität waren, auch wurden unterschiedliche Dosierungen getestet. Bei wohlwollender Auslegung kann man darin teilweise einen positiven Trend zugunsten einer Einnahme dieser Präparate sehen, jedoch sicherlich keinen deutlichen Effekt. Bei strengerer Auslegung muss man sagen, dass es bislang keine belastbare Evidenz aus klinischen Studien gibt, die einen Nutzen belegen.

AMSEL: Was raten Sie Menschen mit MS in Ihrer Sprechstunde?

Buttmann: Ich rate weiterhin in erster Linie zu einer vollwertigen und ausgewogenen Ernährung. Ich kläre darüber auf, dass bislang für kein Nahrungsergänzungsmittel der Nutzen einer Einnahme bei Multipler Sklerose zweifelsfrei belegt wurde. Das gilt auch für das Vitamin D3, von dem aber in den Wintermonaten bis zu 4.000 IE pro Tag wahrscheinlich gefahrlos und mit möglichem Nutzen eingenommen werden können, alternativ einmal wöchentlich 20.000 IE. Von ultrahochdosiertem Vitamin D3 rate ich wegen der hiermit verbundenen Gefahren aktiv und klar ab. Meine zugrundeliegende Einschätzung basiert auf veröffentlichten Fallberichten zu teils gefährlichen Nebenwirkungen, während ich bislang keinen wissenschaftlichen Beleg eines Nutzens sehe. Von Omega-3-Präparaten, denen ich bislang neutral gegenüberstand, werde ich nun tendenziell eher abraten, zumindest bei höherer Dosierung und wenn oben genannte Risikofaktoren vorliegen. Eine Einnahme von bis zu 1.000 mg pro Tag ist selbst mit solchen Risikofaktoren nach aktueller Studienlage wahrscheinlich bedenkenlos möglich, jedoch halte ich auch den Nutzen für fraglich.

AMSEL: Was bedeutet dies für die Ernährung?  Bestimmte Fischarten wie Thunfisch und Öle, etwa Leinöl, enthalten relativ betrachtet viel Omega 3. Sollte man hier auch aufpassen mit der Dosierung oder besteht bei üblicher Verzehrmenge keine Gefahr?

Buttmann: Hier droht bei üblichen Verzehrmengen sicherlich keine Gefahr. Die Ernährungsempfehlungen bei MS ändern sich nicht. Nachzudenken ist lediglich über hochdosierte Omega-3-Nahrungsergänzungsmittel, die zumindest unter den oben genannten Voraussetzungen nicht ganz unkritisch zu sein scheinen.

AMSEL: Wir bedanken uns herzlich und senden Ihnen Grüße ans Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim!

Quelle: Rote-Hand-Brief zu Omega-3-Arzneimitteln, abgerufen auf EMA am 17.11.2023 (Pdf); European Medicines Agency, 29.09.2023.

Redaktion: AMSEL e.V., 17.11.2023