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Plastische Stammzellen dank Virus

08.08.08 - Neurale Stammzellen im erwachsenen Gehirn können nicht nur neue Nervenzellen bilden. "Kitzelt" ein Retrovirus ein bestimmtes Gen, können aus ihnen auch Oligodendrozyten werden, die Nervenfasern zu einer Isolationsschicht verhelfen. Dies zeigt eine neue Publikation in Nature Neuroscience von Forschern der ETH und des Salk Institute for Biological Studies.

In Hirnen von Erwachsenen entstehen in zwei bestimmten Hirnregionen laufend neue Nervenzellen, dem Hippocampus und dem Seitenventrikel. Dabei teilen sich neurale Stammzellen und aus den entstehenden Tochterzellen formieren sich die Nervenzellen.

Unter künstlichen Bedingungen in der Petrischale, wo zahlreiche Wachstumsfaktoren beigegeben werden, sind die neuralen Stammzellen in der Lage, alle möglichen verschiedene Formen von Zelltypen auszubilden: Nervenzellen, Astrozyten oder Oligodendrozyten. Nach der Teilung einer Vorläuferzelle "entscheiden" sich die Tochterzellen, was sie werden sollen. Lange waren die Forscher überzeugt: aus den Vorläufern entstehen im Gehirn bei Erwachsenen anders als in der Kulturschale fast ausschließlich nur noch eine Zellart, nämlich Nervenzellen.

Schicksal nicht besiegelt

ETH-Assistenzprofessor Sebastian Jessberger und Forscher des Salk Institute for Biological Studies, La Jolla, zeigen nun in einem Nature Neuroscience-Paper, dass sie das Schicksal von neuralen Stammzellen auch innerhalb des Gehirns von Mäusen ändern können. Diese Arbeit wurde Ende Juni 2008 online veröffentlicht.

"Wir konnten zeigen, wie potent und plastisch Stammzellen im adulten Gehirn tatsächlich sind", sagt er. Sie hätten es nun geschafft, das Schicksal von Stammzellnachkommen zu verändern. Aus den Vorläuferzellen können bei Erwachsenen auch Oligodendrozyten entstehen, wenn mit einem genetischen Trick ein bestimmtes Gen hoch exprimiert wird. Dieses Gen, das Ascl 1-Gen, kodiert für einen Transkriptionsfaktor. Dieser Faktor hat verschiedene Funktion, die vom "Einsatzort" abhängen.

Wird nun das Gen im Übermaß in diesen Faktor übersetzt, also überexprimiert, dann entwickeln sich aus geteilten Vorläuferzellen Oligodendrozyten.

Plastischer als angenommen

Oligodendrozyten kommt im Gehirn eine wichtige Aufgabe zu. Sie isolieren Nervenfasern mit einer Myelinschicht. Dieses Myelin ist wichtig, damit die Nervenreizleitung funktioniert. Fehlt die Myelin-Scheide, dann können Nervenreize nicht oder nur schwach weitergegeben werden. Der Zerfall von Myelin verursacht zum Beispiel Multiple Sklerose. "Die Vorläuferzellen und auch ihre Umgebung sind also plastischer als bisher angenommen wurde", gibt Sebastian Jessberger zu bedenken.

In einem nächsten Schritt könne man sich nun überlegen, diese Möglichkeiten der Stammzellen zu nutzen, um Nervenfasern bei bestimmten Krankheitsbildern zu remyelinisieren, damit die Information wieder rascher weitergeleitet werde, sagt Jessberger. Theoretisch sei es denkbar, das Problem der Demyelinisierung wie sie bei MS vorkomme, mit Oligodendrozyten, die von neuralen Stammzellen gebildet werden, zu bekämpfen.

Therapeutische Anwendung

Jessberger warnt aber davor, Hoffnung auf Heilung zu wecken. Diese Arbeit ist laut dem Assistenz-Professor nur ein Prinzipienbeweis. Der Ansatz, mit dem er die Stammzellen zur Ausbildung von Gliazellen gebracht hat, ist für Therapien beim Menschen nicht geeignet. Die Forscher spritzten Mäusen Retroviren direkt ins Hirn. Diese Viren können sich nur in teilende Zellen einschmuggeln, da sie darauf angewiesen sind, dass die Hülle des Zellkerns offen ist. Retroviren taugen aber nicht für therapeutische Zwecke. "Wir sind noch weit weg von einer therapeutischen Anwendung", sagt Jessberger. Selbst wenn es in Mäusen gut funktioniere, hieße das nicht, dass es auch beim Menschen funktioniere.

Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

 
 
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Literaturhinweis
Jessberger S, Toni N, Clemenson Jr GD, Ray J & Gage FH: Directed differentiation of hippocamapl stem/progenitor cells in the adult brain, published online 2008 June 29, Nature Neuroscience, doi: 10.1038/nn.2148
 

Redaktion: AMSEL e.V., 08.08.2008