Junge Menschen, die an multipler Sklerose erkrankt sind, haben sich am Wochenende zu einem Erfahrungsaustausch in Stuttgart getroffen. Kritisiert wurde vor allem, dass viele Patienten nicht die besten Medikamente, die der Markt anbietet, erhielten.
Zur Eröffnung waren alle Stühle besetzt. Insgesamt 350 Menschen drängten am Samstagvormittag in den Veranstaltungssaal des Hotels Holiday Inn in Weilimdorf. "Mit dieser großen Resonanz haben wir gar nicht gerechnet", sagte Adam Michel, der Geschäftsführer der Aktion Multiple-Sklerose-Erkrankter (Amsel) in Baden-Württemberg. Zum ersten Mal hat die Amsel einen gesonderten Aktionstag für ihre jungen Mitglieder veranstaltet. Mehr als die Hälfte der insgesamt 59 Amsel-Kontaktgruppen im Land bieten seit einiger Zeit für junge MS-Patienten ein zusätzliches Angebot: die so genannten jungen Initiativen. Hier sollen junge Betroffene unter 40 Jahren aus gemeinsamen Begegnungen Kraft schöpfen. "Junge Menschen haben meist andere Lebensgewohnheiten und eine andere Sprache als die älteren Patienten", erklärt Adam Michel den Erfolg der jungen Initiativen.
"Werde ich durch MS zum Sklaven meiner Krankheit?" lautete das Thema eines Gesprächskreises am Samstagnachmittag. Betroffene und psychologische Fachleute diskutierten über Veränderungen des alltäglichen Lebens nach der einschneidenden Diagnose. Vielen MS-Patienten macht die veränderte Umwelt genauso zu schaffen wie die Krankheit an sich. Bei den einen bricht der alte Freundeskreis weg. Andere müssen wegen der Erkrankung ihre Dachgeschosswohnung verlassen. "MS ist aber nicht die verheerende Krankheit, die mit ihrem Namen verbunden wird", drückte Adam Michel von der Amsel die wichtigste Botschaft an alle jungen Patienten aus.
Nach Schätzungen der Deutschen Multiple-Sklerose-Gesellschaft (DMSG) sind in Deutschland 120 000 Menschen an MS erkrankt. "Wahrscheinlich liegt die Zahl sogar noch deutlich höher", sagte die DMSG-Bundesgeschäftsführerin Dorothea Pitschnau. Ihre Gesellschaft arbeite gerade mit Nachdruck an einem bundesweiten Melderegister, um präzisere Zahlen über die Betroffenen und ihr Alter zu erhalten. Durch verbesserte Diagnosemöglichkeiten erkenne man die Erkrankung in jüngster Zeit auch zunehmend bei Kindern. "Die Symptome wurden in der Vergangenheit oft als Wachstumsstörungen abgetan", berichtete Pitschnau.
In den meisten Fällen tritt die Erkrankung jedoch im frühen Erwachsenenalter auf. Von großer Bedeutung ist eine frühe Diagnose. Als hinderlich bei der Behandlung der Patienten erweisen sich nach Ansicht der DMSG die gesundheitspolitischen Regelungen. So würden die Ärzte wegen fester Verschreibungsetats nicht immer die wirksamsten Medikamente verschreiben. "Nur 18 Prozent der in Frage kommenden Patienten bekommen in Deutschland zurzeit die neuesten Arzneien", so Pitschnau. Der entscheidende Nachteil der erst seit fünf Jahren verfügbaren Präparate sei nämlich ihr Preis. Demnach koste eine Behandlung mit den gentechnologisch entwickelten Medikamenten bis zu 15 000 Euro pro Jahr. Gerade an dieser Stelle zu sparen ist nach Einschätzung der DMSG jedoch äußerst kurzfristig gedacht. "Immerhin machen die Arzneimittel nur sieben Prozent der gesamten Folgekosten einer MS-Erkrankung aus", sagte Dorothea Pitschnau.
Von Philipp Scheffbuch
Redaktion: AMSEL e.V., 09.09.2004