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Nachgehakt: Regeneration untergegangener Axone

Tübinger und Londoner Forscher lassen im Tiermodell verletzte Axone neu sprießen. Lässt sich der Mechanismus auch auf Multiple Sklerose übertragen ? Die AMSEL-Onlineredaktion hakte nach.

Neurowissenschaftler haben Hinweise gefunden, dass es möglich ist, die Regeneration verletzter Nervenfasern im zentralen Nervensystem (ZNS) mittels epigenetischer Prozesse anzuregen und chemisch zu kontrollieren. Forscher des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen und des Imperial College London zeigten im Tierversuch, dass die Anzahl sich regenerierender Nervenfasern durch den Einsatz des Proteins PCAF (P300/CBP-assoziierter Faktor) signifikant steigt.

Sind Nervenfortsätze, sogenannte Axone, in Gehirn oder Rückenmark beschädigt, findet normalerweise keine Regeneration statt. Man spricht von Axonuntergang - und dieser ist im ZNS unumkehrbar, anders als im peripheren Nervensystem (PNS).

Rund 30 Prozent der Nervenfortsätze des PNS wachsen nach einer Verletzung wieder nach. Das Protein PCAF übernimmt dabei eine entscheidende Funktion, wenn es um die chemischen und genetischen Vorgänge geht, die die Regeneration der Nervenstränge im PNS in Gang setzen. Ist der P300/CBP-assoziierte Faktor (PCAF) blockiert, findet auch im PNS keine Neuroregeneration statt.

Regenerationsprozess im ZNS gestartet

Einen ähnlichen Regenerationsprozess wie im peripheren Nervensystem konnten die Wissenschaftler nun auch im ZNS von Mäusen auslösen. Dafür injizierten sie Mäusen mit einer Verletzung des zentralen Nervensystems das Protein PCAF. Das erhöhte signifikant die Anzahl der sich regenerierenden Nervenfasern.

"Die Ergebnisse unserer Arbeit deuten darauf hin, dass wir in der Lage sind, bestimmte epigenetische Veränderungen im zentralen Nervensystem zu erzielen, die das Wachstum von Nervenfasern nach Verletzungen verbessern", sagt Professor Simone Di Giovanni vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen und dem Imperial College London. Der nächste Schritt wäre, so Di Giovanni, zu sehen, ob es gelingt, die Beweglichkeit, der mit PCAF behandelten Mäuse, wiederherzustellen. Bei epigenetischen Prozessen findet die Veränderung nicht an der genetischen Information, der DNA selbst statt, sondern an ihrer Verpackung (epi: auf, außerhalb). Das geschieht in Form chemischer Reaktionen, die Gene aktivieren oder deaktivieren können.

Auf Multiple Sklerose übertragbar ?

Die AMSEL-Onlineredaktion hakte beim Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen nach: Inwiefern ließen sich Ihre Entdeckungen zur Regeneration untergegangener Axone im ZNS auch auf MS übertragen? - Hier die Antwort von Dr. Radhika Puttagunta

Multiple Sklerose ist gekennzeichnet durch eine Autoimmunreaktion auf Proteine des Myelins und den damit einhergehenden Verlust der Nervenzellen. Durch unsere aktuelle Forschung besteht Hoffnung, dass diese Schäden an den Nerven durch deren Nachwachsen eines Tages umkehrbar sind. Die für das Nervenwachstum ausschlaggebenden chemischen Modifizierungen, über die wir hier berichten, werden auch hinsichtlich ihrer Beteiligung an der Autoimmunreaktion untersucht, wie sie bei MS auftritt. Wir hoffen, dass es durch weitere Forschung in der Zukunft möglich sein

wird, Medikamente zu entwickeln, die es ermöglichen existierende Schäden an Nerven zu reparieren und ebenfalls die Autoimmunreaktion auf Myelin zu unterbinden.

Um die Unterschiede zwischen zentralem und peripherem Nervensystem zu untersuchen, setzten die Forscher sowohl auf Maus-Modelle als auch auf Zellkulturen. Sie verglichen die Reaktionen beider Systeme anhand sogenannter Spinalganglien. Das sind noch innerhalb des Wirbelkanals gelegene Nervenknoten, die ZNS und PNS miteinander verbinden.

Wechsel in ein epigenetisches Programm

Sie fanden heraus, dass ein bestimmter epigenetischer Prozess bei der Regeneration eine große Rolle spielt. Sind Nervenzellen im peripheren Nervensystem beschädigt, startet ein komplexer Kommunikationsmechanismus. Dazu gehört unter anderem eine sogenannte retrograde Signalübertragung zum Zellkörper. "Damit wechselt die Zelle in ein epigenetisches Programm, das das Nervenwachstum initiiert”, beschreibt Dr. Radhika Puttagunta vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen den ersten Schritt der Nervenzelle auf dem Weg zur Regeneration.

Bisher war sehr wenig über diesen Prozess bekannt, in dessen Mittelpunkt der von den Forschern entdeckte P300/CBP-assoziierte Faktor (PCAF) steht. Mit ihrer Arbeit ist es den Forschern um Simone Die Giovanni überdies auch erstmals gelungen, einen spezifischen epigenetischen Prozess, der für die Regeneration von Nervenfasern verantwortlich ist, zu identifizieren.

Quelle: PCAF-dependent epigenetic changes promote axonal regeneration in the central nervous system’, Nature Communications (2014), DOI 10.1038/ncomms4527.; Pressemitteilung des Hertie Institutes für Hirnforschung Tübingen, 01.04.2014

Redaktion: AMSEL e.V., 26.05.2014