MS-Therapie im Alter

Weniger Schübe, dafür mehr Infekte: Viele fragen sich, ob sie im Alter nicht besser ihre MS-Therapie absetzen sollen. Eine US-Studie liefert Fakten dazu.

Das Immunsystem lässt mit dem Alter nach. Ein Grund dafür, warum Menschen mit Multipler Sklerose sich nach Jahren der Behandlung mit Immunmodulatoren überlegen, diese abzusetzen. Ärzte sprechen bei altersbedingt nachlassendem Immunsystem von der Immunoseneszenz. 

Allerdings setzt die nicht bei allen gleichzeitig und vor allem auch nur allmählich ein. Grob geht man davon aus, dass ab 60 Lebensjahren das Immunsystem schwächer wird. Daher sind ältere Menschen auch infektanfälliger und waren zum Beispiel priorisiert zu Zeiten knapper Coronaimpfstoffe.

Weniger Schübe, mehr Infekte?

Einige vor allem der wirksameren MS-Medikamente haben außerdem eine höhere Infektanfälligkeit als Nebenwirkung. Auch dies mag ein Grund sein, sich im Alter zu überlegen, MS-Mittel abzusetzen.

Soweit die Theorie. US-Forscherinnen und Forscher haben eine Studie aufgesetzt, um den Vor- und Nachteilen des Absetzens bzw. Weiter-Einnehmens von MS-Wirkstoffen im Alter nachzugehen.

An der DISCOMS-Studie, einer multizentrischen, randomisierten, kontrollierten, einfach verblindeten Phase-4-Studie nahmen seit Mai 2017 259 MS-Patientinnen und -Patienten teil. Alle waren über 55 Jahre, mindestens fünf Jahre schubfrei und hatten mindestens seit drei Jahren keine neuen Läsionen von 3 mm oder mehr.

Im Schnitt waren die 131 Teilnehmer, welche ihre Therapie absetzten, 62 Jahre und seit 13,2 Jahren schubfrei. Der EDSS lag durchschnittlich bei 3,3, also mittlere Behinderung und voll gehfähig.

Ergebnisse überraschen

Drei der absetzenden Patientinnen und Patienten, also 2,3 %, erlitten in den zwei Jahren Nachbeobachtungszeit einen Schub. 16 Patienten, 12,2 %, hatten neue Läsionen im MRT. Im Vergleich dazu lag die Schubrate bei den Fortsetzern der Medikation bei 0,8 % und bei 4,7 % kam es zu neuen Läsionen. Das Absetzen führte also teilweise zum Anstieg von Krankheitsaktivität auch im Alter, wobei dies in der untersuchten Kohorte nicht signifikant war. Ein Teil der Patienten mit Krankheitsaktivität begann daraufhin die Therapie von Neuem.

Erstaunlich war, dass bei den Therapieunterbrechern nicht weniger, sondern häufiger unerwünschte Ereignisse stattfanden (85 % zu 79 %, bei schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen 16 zu 14 %). Selbst Infektionen, typisch eigentlich bei immunsuppressiven Medikamenten, traten in der Gruppe der Therapieunterbrecher häufiger auf als bei denen, die ihre Medikation fortgesetzt hatten (23 % zu 15 %).

Individuelle Entscheidung

Auch wenn die Ergebnisse der Studie leicht zu einem Fortsetzen der begonnenen Therapie tendieren könnten, bleibt die Entscheidung des Therapieabsetzens eine individuelle. Und natürlich lässt sich nach einer Unterbrechung die Behandlung, etwa im Falle eines Schubes, wieder fortsetzen. Sowohl die Teilnehmerzahl als auch die Nachbeobachtungszeit waren in dieser Studie außerdem zu gering bzw. zu kurz, um abschließende Bewertungen abzugeben. Es bräuchte also weitere Studien, möglichst mit mehr Teilnehmern, um klarere Ergebnisse zu erzielen.

In Holland läuft laut ClinicalTrials.gov derzeit noch eine altersunabhängige Studie mit 131 Teilnehmern zum Therapieabsetzen, in Frankreich eine ähnliche Studie mit 250 Teilnehmern mit sekundär-progredientem Verlauf.

Quellen: ClinicalTrials.gov, abgerufen am 21.08.2023; The Lancet Neurology, Juli, 2023.

Redaktion: AMSEL e.V., 21.08.2023