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Mehr schwere Infektionen bei progredientem Verlauf

Eine schweizerisch-deutsche Studie hat untersucht, welche Patienten mit MS ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen tragen. Unerwartet: Beim schubförmigen Verlauf ist das Risiko deutlich geringer als bei progredienten Verläufen - trotz Immunsuppression.

Dass Menschen mit Multiple Sklerose häufiger Infektionen bekommen als Gesunde, ist längst bekannt. Auch, dass krankheitsmodifizierende Medikamente, wie sie häufig beim schubförmigen Verlauf zum Einsatz kommen, das Infektionsrisiko erhöhen können.

Wie hoch jedoch das Risiko für MS-Erkrankte mit verschiedenen Verläufen, in verschiedenem Alter und geschlechtsspezifisch ist – für diese Subgruppen fehlten in bisherigen Studien ausreichend Teilnehmer, um repräsentative Daten zu erheben. Das hat die nun vorliegende Studie gemacht, und zwar mit Patientendaten aus Deutschland.

Subgruppen: Verlauf, Alter und Geschlecht

Aus 3,4 Millionen Patientendaten wurden 4.250 Patienten mit MS herausgefiltert und nach Subgruppen innerhalb von 5 Jahren untersucht, je nachdem, ob sie

  • RRMS, PPMS oder SPMS hatten,
  • zwischen 18 und 50, 51 und 65 oder über 65 Jahre alt, und ob sie
  • Mann oder Frau waren.

Gezählt wurden nur schwere Infektionen, die einen Krankenhausaufenthalt nötig machten. Erneute Einweisungen innerhalb von jeweils sechs Wochen wurden nicht gezählt (galten als eine schwere Infektion). Insgesamt 32 Patienten wechselten innerhalb des Beobachtungszeitraumes von schubförmigen zum sekundär progredienten Verlauf und wurden entsprechend dort mitgezählt.

Größtes Risiko: progredient, älter und männlich

Die Ergebnisse sind deutlich. Am meisten gefährdet sind nicht die Patienten mit schubförmigen Verlauf, weil sie Immunmodulatoren nehmen, wie man annehmen könnte, sondern Patienten mit progredienten Verlauf, höherem Alter und männlichen Geschlechts.

Dass in höherem Alter mehr schwere Infektionen zu erwarten sind, entspricht auch der allgemeinen Bevölkerung. Dazu kommt, dass die Patientengruppen mit progredientem Verlauf hier deutlich älter waren als die im schubförmigen Verlauf (was natürlich ist, da der sekundär progrediente Verlauf auf den schubförmigen Verlauf folgt). Jedoch zeigten sich die Unterschiede (wenngleich abgeschwächt) auch innerhalb einer Altersklasse.

Verlauf als Risikofaktor

Zunächst die 100-Patientenjahres-Rate an Hospitalisierungen aufgrund schwerer Infektionen nur nach Verlauf: Hier lag die Rate beim schubförmigen Verlauf bei 3,37, bei primär progredienter MS bei 13,52 und bei sekundär progredienter MS bei 13,58. Bei den progredienten Verläufen also beim rund Vierfachen.

Nur nach Geschlecht unterteilt ergab sich eine Durchschnittsrate von 5,69 bei Frauen und 10,4 bei Männern. Auch wenn man die Geschlechter weiterhin getrennt nach Verläufen betrachtet, zeigt sich, dass die progredienten Verläufe eine um ein Vielfaches höhere Infektionsrate haben (2,98, 10,05 und 11,54 bei Frauen mit schubförmigem, primär progredientem oder sekundär progredientem Verlauf, also etwa verdreifacht bei den progredienten Verläufen, gegenüber 4,53, 19,45 und 17,85 bei Männern und damit vervier- bzw. verdreifacht).

Risiko mindestens verdoppelt, auch altersunabhängig

Wenn man die Altersgruppen getrennt betrachtet, zeigt sich nicht nur eine Steigerung von 2,74 (18 bis 50-jährige) über 7,76 (51 bis 65-jährige) auf 16,47 (über 65-jährige), sondern darüber hinaus bleibt die Infektionsrate auch innerhalb dieser drei Altersgruppen deutlich erhöht, wenn es sich um progrediente MS handelt:

Bei den 18 bis 50-jährigen gibt es je 100 Patientenjahre 2,25 schwere Infektionen bei den schubförmigen Verläufen, 6,29 bei primär progredienter MS und 5,82 bei sekundär progredienter MS. Das entspricht mindestens einer Verdoppelung der Rate bei Progredienz. In der Altersgruppe der 51- bis 65-jährigen steigert sich das Risiko von 3,94 (schubförmig) auf 11,91 (primär progredient) und schließlich 14,34 (sekundär progredient). Hier ist die Rate etwa verdreifacht. Über 65-jährige mit schubförmiger MS haben eine Rate von 10,24, bei primär progredienter MS sind es 18,54 und bei sekundär progredienter 16,47 Fälle je 100 Patientenjahre und damit immer noch fast verdoppelt bei Progredienz gegenüber Schüben.

Wer wissen, sich besser schützen

Dieses Wissen ist in mehrfacher Hinsicht wichtig für MS-Erkrankte und Ärzte. Zum einen kann man Prophylaxe betreiben, besonders gut auf sich achten, sich nicht überanstrengen und zum Beispiel besondere Hygienemaßnahmen, impfen (nicht nur gegen Corona, sondern auch gegen Grippe und beispielsweise Gürtelrose), eventuell Abstand zu Infizierten erwägen. Zum anderen gleich Maßnahmen ergreifen, sollte man sich infiziert haben, damit es erst gar nicht zu einer Einweisung kommt. Also besser rechtzeitig mit Wärmflasche und Tee auf die Couch und lieber einmal zu viel zum Arzt, als es "noch schnell" "allen" rechtmachen wollen.

Wichtig ist die Infektionsvermeidung auch im Hinblick auf die Multiple Sklerose selbst: Es ist aus anderen Studien bekannt, dass (schwere) Infektionen auch die Grunderkrankung MS verschlimmern können, beispielsweise das Gehen schwerer fällt nach einem schweren Harninfekt. Die meisten Infektionen innerhalb der vorliegenden Studie betrafen die Atemorgane sowie Blase und Genitaltrakt.

Übrigens: Die hier besprochene Studie dokumentiert auch Begleiterkrankungen, welche die MS-Patienten "mitbrachten". Zum Thema "Komorbiditäten bei Multipler Sklerose" erscheint in den kommenden Tagen ein weiterer ausführlicher Bericht auf amsel.de.

Quelle: Multiple Sclerosis and Related Disorders, 15.10.2022.

Redaktion: AMSEL e.V., 24.10.2022