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Fehldiagnose Multiple Sklerose

Die Diagnosemöglichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren enorm verbessert. Dennoch kann auch fälschlich MS diagnostiziert werden. Eine multizentrische Studie geht der Frage nach, wie es zu Fehldiagnosen kommt.

Gleich vorweg: Die multizentrische Studie zu Fehldiagnosen der Multiplen Sklerose hat keine Daten zur Häufigkeit von Fehldiagnosen ermittelt, wie Prof. Andrew Solomon gegenüber der AMSEL-Onlineredaktion bestätigte. Den Forschern ging es in erster Linie um die Gründe, warum Multiple Sklerose in den vorliegenden Fällen falsch diagnostiziert wurde. Und: Was haben die Patienten stattdessen ? Mit dem Hintergedanken, die fehlleitenden Faktoren möglichst auszuschließen und die Gruppe der häufiger fehldiagnostizierten Patienten einzugrenzen.

Diagnose Multiple Sklerose: nicht aufs MRT allein verlassen

Ganz klares Ergebnis: Ein häufiger Grund für Fehldiagnosen war in den vorliegenden Fällen eine zu große Gewichtung von MRT-Ergebnissen, teils auch die Fehlinterpretation dieser MRT-Bilder. Bei einigen der falsch diagnostizierten Patienten lagen gar keine Liquorbefunde vor. Und / oder die Berichte von neurologischen Symptomen waren entweder nicht eindeutig einer MS zuzuordnen oder / und nicht objektiviert (aus der Erinnerung stellen sich Symptome sowie deren Ausprägung und tatsächliche Dauer oft subjektiv dar). Ebenso wurde in manchen Fällen trotz atypischer MS-Symptome vorschnell eine Diagnose ausgesprochen.

Es lässt sich vermuten, dass heute weit weniger Menschen falsch mit MS diagnostiziert werden als noch vor 50 Jahren. Das MRT, richtig angewendet und richtig interpretiert, ist da sehr hilfreich und wird immer genauer. 3 Tesla sind bei gut ausgestatteten Radiologen heute keine Seltenheit mehr. Dennoch ist jede Fehldiagnose natürlich eine Fehldiagnose zu viel, denn sie zieht Folgen nach sich: psychisch, gesellschaftlich und durchaus auch körperlich, wenn beispielsweise Patienten unter den Nebenwirkungen von MS-Therapien leiden, die sie gar nicht benötigen.

51 Fehdiagnosen Multiple Sklerose

Leider hat die Studie keine Daten zur Häufigkeit von Fehldiagnosen gesammelt. 23 speziell mit MS befasste Neurologen an 4 ausgewählten MS-Zentren gaben an, innerhalb eines Zeitraumes von 13 Monaten (oder kurz davor) insgesamt 110 "falsch" diagnostizierte Patienten ausgemacht zu haben. Wobei dies schon irreführend ist, denn über die Hälfte der 110 Fälle hat noch gar keine sichere Alternativ-Diagnose - auch durch die Spezialisten nicht. Sie haben jedoch vermutlich keine MS. Tatsächlich sind es also "nur" 51 (46 %), die mit Sicherheit falsch diagnostiziert wurden.

Unter den falsch diagnostizierenden Ärzten waren übrigens wiederum 24 % MS-Fachleute. Was zeigt, dass Multiple Sklerose eine in manchen Fällen schwer zu diagnostizierende Erkrankung ist. Tatsächlich gibt es keinen 100- %igen Biomarker, der anzeigen würde, ob man Multiple Sklerose hat. Weitestgehend erfolgt die Diagnose über das Ausschlussverfahren. In vielen Fällen wissen Arzt und Patient erst nach einem 2. Schub wirklich Bescheid.

Wichtig ist es dennoch, die Kriterien genau einzuhalten, bevor man diagnostiziert. Das heißt nicht, dass man deshalb nicht therapieren kann. Auch dies ist ein wichtiger Aspekt, denn je früher man einer MS begegnet, desto größer ist das Zeitfenster, in dem man therapeutisch wirken kann, desto höher die Lebensqualität auf lange Sicht für den Betroffenen. Eine Therapie steht heute bereits für CIS zur Verfügung, also auch ohne gesicherte MS-Diagnose, direkt nach dem ersten MS-typischen Anzeichen, etwa dem ersten Schub.

Alternativ-Diagnose zur Multiplen Sklerose: Migräne bei über einem Fünftel aller Fehldiagnosen

Und was hatten die Patienten dann für eine Krankheit, wenn nicht MUltiple Sklerose ? 2/3 der Fehldiagnostizierten hatten eine von 5 alternativen Erkrankungen. In 12 % der Fälle "diagnostizierten" die Neurologen allerdings eine nicht-spezifische neurologische Erkrankung mit untypischem MRT, was in dem Sinn keine Diagnose, vielmehr eine weitere Einschränkung ist. Bei 15 % konnte eine Fibromyalgie festgestellt werden. Und bei ganzen 22 % eine Migräne.

11 Prozent hatten ein psychisches Problem und 6 Prozent eine Neuromyelitis Optica (NMO). Fairer Weise muss man dazusagen, dass einige der weniger häufigen Diagnosen in dieser Gruppe sich im Verlauf noch als MS hätten entpuppen können, zum Beispiel beim Klinisch Isolierten Syndrom, das auch zur Gruppe der Fehldiagnosen gezählt wurde, was zwar korrekt ist, jedoch eine künftige gesicherte MS-Diagnose nicht ausschließt. Ein weites Feld...

Die Untersuchung der Forscher um Prof. Andrew Solomon von der Universität von Vermont ist wichtig und zukunftsweisend. Die Zahl der Fehldiagnosen bei Multipler Sklerose einzuschränken, wenngleich vermutlich nicht auf Null zu bringen, ist möglich. Und es erspart den Betroffenen Leid. Über 30 % hatten 3-10 Jahre lang eine Therapie bekommen. 30 % sogar über 10 Jahre. 4 % hatten an MS-Studien teilgenommen. Da rund 70 % der falsch Diagnostizierten eine teure Immuntherapie erhielten, lassen sich hier auch Kosten einsparen. Und die richtige Diagnose führt dann zur geeigneten Therapie der wirklichen Erkrankung.

Quelle: Neurology, 05.04.2016

Redaktion: AMSEL e.V., 16.06.2016