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In Bewegung bleiben mit Multipler Sklerose (MS)

Zum Glück veraltet: „Ruhe, Vermeidung von Anstrengung aller Art und von Übermüdung werden in akuten Stadien der Multiplen Sklerose automatisch verordnet und [...] in chronischen Stadien der Krankheit angeraten (Aird, 1957)“. Solche und ähnliche Ansichten zu Sport, Bewegung und Anstrengung bei Multipler Sklerose gehören der Vergangenheit an. Heute gilt: Bewegung tut gut, gerade auch bei MS.

Effektive Behandlungsmöglichkeit für Krankheitssymptome

Noch vor einigen Jahrzehnten dachte man, dass sich durch körperliche Aktivität Symptome wie Fatigue oder Spastik verschlechtern oder diese Schübe auslösen könnten. Heute empfehlen internationale Leitlinien und auch die aktuelle deutsche Leitlinie zu „Bewegungstherapie zur Verbesserung der Mobilität bei Patienten mit Multipler Sklerose“ körperliche Aktivität als effektive Behandlungsmöglichkeit für Krankheitssymptome. Nicht ohne Grund sind während einer Rehabilitationsmaßnahme fast zwei Drittel der therapeutischen Maßnahmen Bewegungs- und Physiotherapie.

Positive Wirkungen von Training und Bewegung bei MS

Generell zeigt sich eine Zunahme der Muskelkraft durch Krafttraining und eine Verbesserung der Ausdauer durch Ausdauertraining. Auch Gleichgewicht und Koordination können gezielt trainiert werden. Diese direkten, physiologischen Wirkungen sind die Grundlage für eine Verbesserung der Fatigue und der Gehfähigkeit, Reduzierung der Sturzgefahr, Verbesserung depressiver Verstimmungen und schließlich der Lebensqualität.

Positive Effekte auf die Lebensqualität können auch psychologischen Ursprungs sein: Durch Sport und beim Sport kann die soziale Unterstützung verbessert werden (Trainingspartnerschaften, Sportgruppen etc.) und ebenso die sogenannte „Selbstwirksamkeit“. Diese bezeichnet das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, bestimmte Aufgaben meistern zu können. Durch Erfolgserlebnisse bei Sport und Training können das Selbstvertrauen gestärkt und gesteigert werden und man fühlt sich leistungsfähiger. Des Weiteren gibt es Hinweise für Wirkungen von Training auf immunmodulatorische oder neuroprotektive (also die Nervenzellen und -fasern schützende) Prozesse im Nervensystem. So könnten möglicherweise nicht nur die Symptome der MS, sondern auch der Krankheitsverlauf selbst positiv beeinflusst werden.

Entscheidend sind Wille und Einstellung bei der Diagnose Multiple Sklerose (MS)

Trotz der positiven Erkenntnisse ist Bewegungsmangel bei Personen mit MS immer noch verbreitet. Die Gründe hierfür sind zum einen krankheitsbedingt, vor allem wenn die Gehfähigkeit reduziert ist, Spastik oder Fatigue vorliegen. Auch eine Depression mit dem verbundenen verringerten psychischen/ motivationalen Antrieb erschwert die körperliche Aktivierung. Hinzu kommen schließlich auch Umweltbedingungen (schlechte Wege, schlechte Erreichbarkeit von Einkaufszentren etc.) oder auch personenbezogene Faktoren wie Alter, Bildungsstand oder Einkommen. Eine sehr große Rolle spielt aber auch die Einstellung zu körperlicher Aktivität.

Freude an der Bewegung, Motivation und der Wille, sich zu bewegen, sind enorm wichtige Voraussetzungen, um körperlich aktiv zu sein oder zu werden. Beispiele von Betroffenen, die trotz erheblicher Einschränkungen der körperlichen Funktionsfähigkeit sehr aktiv sind, zeigen die Bedeutung von Einstellung und Willen.

Empfehlungen für Training und Bewegung bei Multipler Sklerose

Training muss nicht hart und erschöpfend sein, um zu wirken. Eine Orientierung für die richtige Belastung gibt die Anstrengung-Skala (vgl. Abb. S. 5). Ein optimales und effektives Training erreicht man bei einer Anstrengung zwischen 4 und 6. Für den Einstieg reicht auch die 3, für Fortgeschrittene könnte es gelegentlich die 7 oder 8 sein.

Vorsicht gilt bei Hitzeempfindlichkeit und Fatigue. Doch selbst wenn man es einmal etwas „übertrieben“ hat und nach einer Anstrengung Symptome auftreten, bilden sich diese meist nach 60 Minuten wieder zurück. In seltenen Fällen kann es bis zum nächsten Tag dauern. Die MS kann durch Anstrengung nicht negativ beeinflusst werden und Schübe kann man dadurch auch nicht provozieren.

Die folgende Tabelle gibt einen kurzen Überblick über verschiedene Möglichkeiten, Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Gleichgewicht zu trainieren. Gleichzeitig werden die wichtigsten Belastungsempfehlungen für Personen mit Multipler Sklerose gegeben.
Generell entscheiden der persönliche Gesundheitszustand und die Fitness, sportliche Vorerfahrungen und nicht zuletzt die Beratung durch Therapeut und Arzt, welche Sport- oder Bewegungsart man ausführen und wie viel man sich zumuten sollte.

Regelmäßig körperlich aktiv bleiben

Die positiven Wirkungen von Bewegung sind nur von kurzer Dauer. Studien zeigen, dass Erfolge eines achtwöchigen Trainings nach weiteren acht Wochen Trainingspause komplett verschwunden sind. Es kommt also nicht darauf an, nur für eine bestimmte Zeit „Gas zu geben“, sondern darauf, kleine, aber andauernde Änderungen seines Bewegungsverhaltens vorzunehmen. Eine chronische Erkrankung erfordert auch chronische Aktivität.

Strategien und Tipps beim Training mit Multiple Sklerose

Die folgenden Tipps können helfen, körperliche Aktivität vermehrt und dauerhaft in den Alltag zu integrieren.

  • Selbstbeobachtung: Beobachten Sie Ihr Bewegungsverhalten (Tagebuch, Fitnesstracker) und stellen Sie sich entscheidende Fragen: Wie viel/ häufig bewege ich mich wirklich? Was hindert mich daran, mich zu bewegen? Welchen Stellenwert hat körperliche Aktivität für mich? An welchen Stellen könnte ich mehr Bewegung in meinen Alltag integrieren?
  • Zielsetzung: Setzen Sie sich realistische, nicht zu ambitionierte Ziele, die Sie auch kurz-, mittel- und langfristig, z.B. nach einer Woche, vier und zwölf Wochen überprüfen können.
  • Feste Absichten und genaue Planung: Konkretisieren Sie das Was, Wann, Wo und Wie, z.B. „Ich gehe ab sofort jeden Dienstagabend um 19.00 Uhr mit meiner Freundin im Park laufen“.
  • Priorisierung: Geben Sie einer Bewegungseinheit denselben Stellenwert im Kalender wie z.B. einem Arztbesuch.
  • Hindernisse bedenken und überwinden: Was kann in die Quere kommen (Wetter, Müdigkeit, Stress etc.) und was kann ich dagegen tun (Kleidung, Bewegung früh morgens etc.)?

Autor: Dr. Alexander Tallner
Quelle: together, 3.22

Redaktion: AMSEL e.V., 25.01.2023