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Verlangsamung führendes Symptom

08.12.04 - Hirnforscher Prof. Yves von Cramon setzte sich auf dem Jubiläumssymposium der AMSEL mit kognitiven Störungen bei MS auseinander.

Kognition ist ein psychologischer Schirmbegriff, unter dem Hirnfunktionen, wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Denken Platz finden. Alle kognitiven Funktionen können durch
Gewebsschäden im Marklager (weiße Substanz) und in der Rinde (graue Substanz) des Gehirns, wie sie durch die Multiple Sklerose verursacht werden, betroffen sein.

Das Ausmaß der kognitiven Funktionsdefizite erreicht bei dieser Erkrankung nur selten das Niveau einer Demenz.
Dennoch tragen die Einbußen dieser höheren Hirnfunktionen vielfach zu einer substanziellen Minderung der Chancen
der Betroffenen bei, am Erwerbsleben teilzunehmen. Sie können auch ein Grund dafür sein, dass die Fahrtauglichkeit
eines MS-Kranken eingeschränkt ist.

Führendes "kognitives" Symptom bei MS ist die Verlangsamung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
oder anders ausgedrückt, die verminderte Fähigkeit, aus
der Außenwelt und der eigenen Innenwelt einlangende Informationen nicht nur genau, was zumeist noch gelingt, sondern auch schnell verarbeiten zu können.

Im Verein mit der kognitiven Verlangsamung führen exekutive Defizite dazu, dass Planung und Kontrolle zielgerichteter
Handlungen erschwert sind und dem Verhalten die Flexibilität abhanden kommt, die notwendig ist, um sich den ständig wechselnden Umgebungsbedingungen in unserem
Alltag optimal anzupassen.

Häufig sind bei MS-Erkrankten Gedächtnisleistungen betroffen. Beeinträchtigt sind vor allem die Aufnahme
und der freie Abruf von Gedächtnisinhalten, während das Behalten einmal aufgenommener Informationen und das Wiedererkennen von gespeichertem Material lange verschont
bleibt.

Während kognitive Funktionsstörungen bei MS in den letzten zwei Dekaden eingehend mit psychometrisch abgesicherten, neuropsychologischen Testverfahren untersucht wurden, steht die Untersuchung mit subtileren, diagnostisch trennschärferen experimentellen Untersuchungsparadigmen erst am Anfang.

Das Ziel muss sein, kognitive Abweichungen, die möglicherweise den körperlichen Symptomen der MS zeitlich vorausgehen, schon in ihrem Anfangsstadium zu entdecken, um damit die Chancen zu erhöhen, die Krankheit insgesamt
und im Besonderen natürlich die kognitiven Dysfunktionen so früh wie möglich therapieren zu können.

Bemerkenswert ist, dass für kognitive Dysfunktionen nicht nur die schon länger bekannten tiefen (bevorzugt um die Seitenventrikel angeordneten) Entmarkungsherde eine Rolle spielen, sondern auch Unterbrechungen so genannter U-Fasern bedeutsam zu sein scheinen. U-Fasern sind unmittelbar an die Hirnrinde angrenzende Nervenfaserbündel,
die benachbarte Hirnwindungen miteinander verbinden.

Auch Mikroläsionen in der weißen Substanz des Gehirns und die Hirnrinde scheinen eine Rolle zu spielen und werden MR-basiert Untersuchungen. Es hat sich gezeigt, dass die Hirnrinde schon sehr früh an Volumen verliert und dieser Rindenverlust eng mit der Entwicklung kognitiver Dysfunktionen zusammenhängt. Ob dieser Verlust direktes oder indirektes Symptom der MS ist, muss noch geklärt werden.

Es muss unser Ziel sein, diese für den Lebensalltag von MS-Kranken zentralen Hirnfunktionen künftig noch professioneller
zu diagnostizieren, zu behandeln und in jedem Fall noch eingehender zu erforschen.

Prof. Dr. med. D. Yves von Cramon ist Direktor
der Abteilung für kognitive Neurologie am
Max-Planck-Institut für Kognitions- und
Neurowissenschaften in Leipzig sowie wissenschaftliches
Mitglied und Direktor am Max-
Planck-Institut für neuropsychologische Forschung
in Leipzig.

Hier können Sie die Broschüre zu den Referenten des Symposiums und ihren Vorträgen bestellen.

Redaktion: AMSEL e.V., 08.12.2004