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Uhthoff, Schmerzen und andere unsichtbare Symptome

Das Uhthoff-Phänomen verstärkt die Fatigue in ganz besonderem Maß, ist die Erfahrung von Dr. Gerald Lehrieder. Im Expertenchat gibt er Antworten zu unsichtbaren Symptomen der Multiplen Sklerose.

Andy: Hallo! Ich bekomme bei Hitze (schon seit Juni 2006) immer Probleme mit Taubheit Nase u. Oberlippe, Sehstörungen. Die Ausfälle sind bei kühleren Temperaturen sofort wieder weg. Außerdem vermute ich nach der Lektüre der Beschreibung des Uhthoff-Phänomens auch Fatigue. Kann das auch einen dauerhaften Schaden durch einen Schub auslösen?

Dr. Gerald Lehrieder: Hallo Andy, zum einen verstärkt die Hitze im Zuge des Uhthoff-Phänomens natürlich auch die Fatigue und die meiner Erfahrung nach ganz besonders. Insofern ist Ihre Beobachtung an sich selbst sicher richtig. Das mit dem dauerhaften Schaden kann man so nicht bestätigen. Es ist so, dass man das Uhthoff-Phänomen ehe man einen Schub oder eine Verschlechterung immer ausschließen muss. D.h. wenn einer Verschlechterung/ einem neuen Symptom eine Erhöhung von Körpertemperatur (Fieber, äußere Hitzeeinwirkung, Sauna etc) zugrundeliegt oder das Symptom dadurch verursacht ist, geben die Neurologen kein Cortison, sondern regulieren die Körpertemperatur, z.B. durch Fiebersenkung und Infektbehandlung, Abstellen der Hitzeeinwirkung etc.

Flori: Guten Tag Hr. Dr. Lehrieder, ich habe folgende Symptome: gesamter Rumpf die ganze Zeit angespannt, rechte Hand als ob sie „einen zu kleinen Handschuh“ anhätte. Beide Knie inkl. halber Oberschenkel und halber Unterschenken verkrampft. Allgm. über mich: 29 Jahre, M, MS seit 3 Jahren, Tys, 2x zu 2Std Sport pro Woche mindestens (eher mehr). was könnte ich da verbessern, bzw. gibt es passende Zusatzmedikamente?

Dr. Gerald Lehrieder: Ohne sie untersucht zu haben, klingt das ja nach Spastik in den Extremitäten und im Rumpf. Fragen Sie doch Ihren Neurologen oder Ihren Physiotherapeuten, ob meine Mutmaßung stimmt. Ja, dann kann man zum einen mit Medikamenten, das bekannteste ist Baclofen, aber auch mit spezieller Physiotherapie helfen.

Moderator Jutta Hirscher: Guten Abend, liebe Chatter, bei Temperaturen, die wie bestellt scheinen zum heutigen Thema. Der Chat ist geöffnet und Dr. Lehrieder, den ich ebenfalls herzlich begrüße, bereit für Ihre Fragen.

Max: Hallo Herr Dr. Lehrieder, mein rechtes Bein beschäftigt mich aktuell. Die Wade fühlt sich verkrampft/bandagiert an. Mein Oberschenkel ist schwächer als sonst. Das Bein läuft, trotz einer Fußheberorthose, nicht mehr „rund“. Eher plump! Im Verlauf des Tages nehmen die Beschwerden zu. Was kann das sein und was kann ich tun? Tysabri seit 2013, JCV negativ, keine Antikörper und stabile MRT. Vielen Dank!

Dr. Gerald Lehrieder: Hallo Max, wenn diese Beschwerden jetzt in der jüngsten Zeit rasch aufgetreten sind, sollten Sie Ihren Neurologen konsultieren. Ein neu aufgetretenes Symptom oder eine deutliche Verschlechterung eines vorbestehenden Symptoms (bei Ihnen jetzt: Krämpfe in der Wade, verschlechterte Gangstörung, Schwäche im Oberschenkel), das länger als 24 Stunden vorliegt und für das es keine andere Erklärung gibt (z.B. Uhthoff), nennt man Schub. Dann sollten Sie mit Ihrem Neurologen besprechen, wie die Therapie jetzt aussieht. Das ist erst mal unabhängig von der Langzeitimmuntherapie.

Moni: Hallo Herr Dr. Lehrieder! Dieses Jahr (hatte ich in den vergangen Jahren nie) ist das Uhthoff-Phänomän bei mir stark ausgeprägt. Kann bei diesen Temperaturen schlechter laufen und was ganz blöd ist, ich habe keinen Appetit mehr, kriege so gut wie nix mehr runter. Gibt es da irgendwelche Medikamente? Wird das jetzt immer so sein? Vielen Dank.

Dr. Gerald Lehrieder: Guten Abend Moni, Gegen das Uhthoff-Phänomen gibt es leider keine Medikamente. Außer dass man bei infektionsbedingtem Fieber rascher zu fiebersenkenden Medikamenten greift als bei Gesunden. Kann es sein, dass dem Uhthoff bei Ihnen zuletzt häufiger mal Infektionen welcher Art auch immer zugrundeliegen? Das würde auch den Appetitverlust erklären. Der gehört nämlich in der Tat nicht zu den typischen Symptomen des Uhthoff-Phänomens. Wie die langfristige Entwicklung des Uhthoff-Phänomens im individuellen Fall ist, läßt sich nie wirklich vorhersagen. Das Phänomen unterliegt meiner Erfahrung nach in der Tat starken Schwankungen, aber Sie können auch lernen damit umzugehen. D.h. die entsprechenden Situationen zu meiden.

Jacky: Guten Abend Herr Lehrieder. Derzeit habe ich eine Läsion im Hirnstamm. Hierdurch sehe ich Doppelbilder. Diese Doppelbilder sind Morgens nach dem Aufwachen vorhanden, verschwinden dann aber nach einigen Minuten wieder. Wenn ich versuche nach links zu blicken sind die Doppelbilder permanent vorhanden. Hierzu meine Fragen: 1. Wäre es hilfreich tagsüber eine Augenklappe zu tragen um mein betroffenes Auge zu schonen oder wäre das Gegenteil der Fall und es fehle der Reiz welcher dem Hirn suggerieren würde, dass es neue Nervenverbindungen schaffen müsste? Mich verunsichert es ein wenig dass die Doppelbilder nach dem Schlafen, also einer Erholung immer zunächst wieder schlimmer sind. Dies spricht meinem Eindruck nach eher gegen eine Augenklappe. 2. Hatten Sie bereits Patienten mit dem selben Symptom und können Sie verraten wie lange es bei Diesen gedauert hat bis die Doppelbilder wieder verschwunden sind? 3. Warum sind die Doppelbilder nach zwei Cortison-Gaben zunächst verschwunden, aber dann jeweils nach einer Woche wieder aufgetaucht? (1. Cortison-Gabe: 5 Tage 1 g / d; 2. Cortison-Gabe zwei Wochen später: 3 Tage 1,5 g / d) Weiterhin würde ich gerne wissen, ob Sie spezielle Übungen zur Vorbeugung von leichtem Schwindel empfehlen können? Sehr herzlichen Dank für Ihre Mühen, Jacky.

Dr. Gerald Lehrieder: Guten Abend Jacky, Solche Fluktuationen, also Schwankungen eines Symptoms im Tagesverlauf kennen wir von anderen Symptomen auch. Wir raten dazu, eher in Momenten, in denen Sie dies tolerieren können, auch auf eine Augenklappe zu verzichten. Wenn der Schwindel zu groß wird oder die Doppelbilder zu stark stören, muss man vorübergehend auf die Augenklappe zurückgreifen. Ansonsten wird die Augenklappe rasch wieder abtrainiert, quasi um den "Druck" auf die Augenmuskulatursteuerung hoch zu halten, die gestörten Verbindungen wieder in Ordnung zu bringen. Das gelingt nämlich. Flankierend kann man mit neuropsychologischer Unterstützung oder in der "Sehschule" zu lernen, die Blickrichtungen mit den stärksten Doppelbildern zu meiden. Wenn nach einer Schubbehandlung mit hochdosiertem Cortison es rasch zu einem Rebound-Phänomen kommt, kann man auch versuchen, das Cortison auszuschleichen. Das kann das Rückkehren der Symptome verhindern. Aber Ausschleichen muss sein!! Keine Cortisondauertherapie draus machen!! Zu d) Spezielle Übungen macht mit Ihnen Ihr Physiotherapeut. Der gibt Ihnen auch Hausaufgaben mit, also Übungen, die Sie zuhause machen können. Die "Bauernregel" dahinter: Sich nicht in Watte packen. Nicht über die Schwindelgrenze gehen, aber ruhig nahe an die Schwindelgrenze kommen.

Waltraud: Seit 1978 habe ich MS; anfangs habe ich 4 Jahre lang Imurek genommen, mußte es aber absetzen. Danach habe ich mit der Fratzer-Therapie angefangen, aber aufgehört, weil mir Präparate nicht mehr erstattet wurden. Als die Basistherapeutika auf den Markt kamen, habe ich nichts mehr unternommen. Seit 2004 brauche ich ganztäglich einen Rollstuhl wegen einer Tetraparese. Belastend sind meine Thermo-Regulationsstörungen in den Füssen. Meine Füsse und Beine sind teilweise gelähmt; die Füsse sticheln und brennen; manchmal sind sie auch eiskalt. Durch die Einnahme von Gabapentin nimmt meine Lähmung noch zu, da ich mich nicht mehr aus meinem Rollstuhl erheben kann, um z.B. die Toilette zu benutzen. Ich warte auf weitere Erkenntnisse bzgl. eines Gen-Defekts. Meine Mutter weist ebenfalls Störungen in den Beinen auf. Vielen Dank im voraus für eine Antwort

Dr. Gerald Lehrieder: Ist für mich schwierig jetzt alles unter einen Hut zu bringen. Aber die Schmerzen und Temperaturregulationsstörungen mit schmerzhaften Sensibilitätsstörungen lassen mich schon an neuropathische Schmerzen, z.B. bei Rückenmarksherden zu denken. Das ist leider so, dass Gabapentin und vergleichbare Medikamente manchmal die Rumpfinstabilität verstärken und die Kraft im Rumpf reduzieren. Die Folgen haben Sie ganz zu treffend beschrieben. Dennoch muss bei anderen Medikamenten, die vergleichbar wirken, nicht zwingend mit denselben Begleiterscheinungen gerechnet werden. Fragen Sie mal Ihren Neurologen, der kennt bestimmt eine Alternative, die ganz vorsichtig eindosiert werden kann. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass das ohne dieselben Nebenwirkungen dann besser funktioniert.

Max: Hallo Herr Lehrieder, kann mittels Messungen (SEP?) festgestellt werden, ob in der Region für das rechte Bein etwas kaputt/gestört ist? Ich bin Morgen bei meiner Neurologin und werde es ansprechen. Nochmal Danke!

Dr. Gerald Lehrieder: Ich persönlich halte die klinische Untersuchung, also Kraftprüfung, Suche nach Hinweisen für Spastik und die Gangprüfung für aussagekräftig. Neurophysiologie und Technik ist immer nur eine Zusatzmethode, in manchen Zweifelsfragen aber hilfreich. Insofern hoffe ich, dass Sie mit Ihrer Neurologin auf die richtige Spur finden.

hot: Guten Abend Dr. Lehrieder Kann es sein, dass bei Uthoff sich Symptome zeigen, die man vorher von sich nicht kannte oder ist es nur ein Tick? ( Ich stand Stunden im Stau und konnte der Sonne, die durch Fenster knallte nicht ausweichen. Im nächsten klimagekühlten Schnellrestaurant habe ich dann Wasser getrunken, besser gesagt versucht. Wenn ich den Becher zum Mund führen wollte, zitterte die Hand je näher ich dem Mund kam. Das ist mir ähnlicherweise jetzt zum dritten Mal geschehen. Nachdem ich abgekühlt war, war es wieder gut). Vielen Dank beim Einsortieren des Ereignis. :)

Dr. Gerald Lehrieder: So wie Sie das beschreiben, kriege ich das noch bei Uhthoff unter. Versuchen Sie es in solchen Situationen mal im Waschbecken mit kaltem Wasser mit Armtauchbädern. Das geht dann oft schneller mit der Runterkühlung. Aber dann bei Hitze selbstverständlich das Trinken trotzdem nicht vergessen.

Moderator Jutta Hirscher: Liebe Chatter, Sie können sich auch gerne in der Plauderecke untereinander austauschen, solange Dr. Lehrieder Fragen beantwortet.

Josefa: Sehr geehrter Herr Dr.Lehnrieder, ich habe zur Zeit verstärktes Brennen in den Händen und Füßen. Dazu kommen so innerliche Stiche und die Finger fühlen sich eingebunden an. Kühle mit Tüchern, wird aber nur temporär etwas besser! Ich nehme aktuell Lyrica wegen Schmerzen in den Beinen, Sativex ,Spasmex und IBU 800. Aber dies hilft nicht viel! Habe SPMS und eine Fußheberschäche rechts, Blasenprobleme und oft bleierne Müdigkeit. Jetzt hat mir eine Bekannte gesagt ich solle mal Dronabinol nehmen! Was sagen Sie als Fachmann?

Dr. Gerald Lehrieder: Dronabinol wirkt ja über die gleichen Rezeptoren, also Andockstellen im Nervensystem wie das Sativex. Bin mir nicht sicher, ob das zur Lösung ihrer vielen Themen führt. Mir scheint insgesamt auf der Ebene der symptomatischen Therapie Handlungsbedarf zu sein. Vielleicht sprechen Sie mal mit Ihrem Neurologen drüber, ob nicht eine Rehabilitation was bringen könnte. Ich würde ungern mit dem Schließen einer Baustelle zwei weitere neu aufmachen wollen.

Nalusan: Ist bei einer trigeminusneuralgie bei diesem wtter etwa zuberücksichtigen? Ich kann dem wetter ja nicht ausweichen, bin aber bei der ms sonst nicht sehr hitzeanfällig, wobei kalt ist besser.

Dr. Gerald Lehrieder: Die Trigeminusneuralgie wird bei diesem Wetter zunächst mal nicht anders behandelt als sonst. Ich hoffe Sie sind gut eingestellt und können auslösende Situationen im Alltag vermeiden. Was manchmal bei solcher Hitze ein Problem ist, wenn man sich "einen Zug" holt im Wind von Ventilatoren oder bei zu kräftig eingestellten Klimaanlagen. Sonst gibt es meines Wissens nach zunächst nichts zu berücksichtigen. Dass Sie nicht hitzeempfindlich sind, freut mich für Sie.


Allgemein - Josefa: Wie kühlt Ihr z.B.einen erhitzten Kopf? Ich merke, dass es mit einfachen Käppies oder Hüten nicht ausreichend ist!
Suse: Hallo Herr Lehrieder, wirkt sich Uhthoff auch auf das Denken aus? Habe das GEfühl, bei großer Wärme langsamer zu denken. Oder ist das Einbildung? Danke für Ihre Antowrt.

Dr. Gerald Lehrieder: Nein, das muss keine Einbildung sein. Das Uhthoff-Phänomen (Uhthoff war soweit ich weiß gar kein Neurologe, sondern Augenarzt) wurde ursprünglich ja nur für die Sehstörung beschrieben. Das gibt es aber in der Tat für alle MS-bedingten Symptome, und da gehören ja wie Sie wissen, die kognitiven Funktionen dazu.


Allgemein - Nalusan: @jacky: also mir hilft bei leichtem schwindel immer pfefferminztee, am besten aus frischer pflanze.
Nalusan: Danke, aber eingestellt eher schlecht, ich hoffe da auf eine reha.

Dr. Gerald Lehrieder: Hmm, das tut mir leid. Dann setzen wir mal drauf, dass die Reha ganz schnell beginnt. Ansonsten sollten Sie das nicht anstehen lassen und fragen Sie nach einer optimierten Therapie der Neuralgie. Die ist doch wahrscheinlich zu belastend als dass man auf die Genehmigung und den Antritt einer Reha warten kann.


Allgemein - Suse: @Nalusan: Danke für den Tipp. Habe selber auch Schindel und werde mal Pfefferminztee ausprobieren.
Nalusan: Mein neurologe bietet das nicht, das ist leider schwierig zu ereichen.

Dr. Gerald Lehrieder: Jetzt wird es ganz schwierig für mich. Vielleicht finden Sie selbst die richtige Antwort darauf.

Marie: Hallo, mal eine vielleicht dumme Frage: Ich habe Sehstörungen. Wie kann ich unterscheiden, ob es ein Schub oder Uhthoff ist? Vielen Dank für eine Antwort

Dr. Gerald Lehrieder: Ist gar keine dumme Frage, so was gibt es bekanntlich nicht. Vielleicht lag die Frage schon vielen anderen "auf der Zunge" oder auf der Tastatur. Wenn eine Erhöhung der Körpertemperatur oder hohe Außentemperaturen beim Auftauchen des Symptoms im Spiel waren, dann liegt Uhthoff nahe. Dann wird die Hitzeeinwirkung ausgeschaltet und abgewartet, dann sollte sich die Störung auch rasch wieder zurückbilden, das haben manche Chatter ja ganz eindrucksvoll geschildert (vgl. die Teilnehmerin im Schnellrestaurant). Wenn keine Temperaturproblematik dabei war oder die Störung nicht weg geht, dann muss man an einen Schub denken.

Lore: Guten Abend Dr. Lehrieder. Ich schlafe sehr schlecht. Immerzu wache ich auf und bin morgens total müde. Das schlechte Schlafen hat nichts mit der Hitze zu tun, das habe ich immer. Was kann ich dagegen tun?

Dr. Gerald Lehrieder: Zunächst mal den Schlafstörungen auf den Grund gehen. Offenbar sind es Durchschlaf-, weniger Einschlafstörungen. Was tun Sie dann? Was beschäftigen Sie für Gedanken? Gibt es Themen, die immer in den Gedanken wiederkehren? Gibt es klassische Auslösesituationen? All das wir Ihr Nervenarzt von Ihnen wissen wollen, ehe er die Therapie mit Ihnen bespricht. Und da gibt es medikamentöse und nichtmedikamentöse Strategien: Die Schlaftablette ist zwar eine einfache, aber keinesfalls eine dauerhaft gute Lösung. Entspannungstraining, Abstellen von schlafstörenden Ursachen etc. ist da viel nachhaltiger. Aber erst kommt die Ursachenforschung...

Josefa: Danke für die Antwort. Bin bei einem Neurologen in der MS - Ambulanz, nächster Termin ist im Oktober. Zwischendurch bekomme ich nur sehr schwierig Termine. Der Hausarzt schreibt die Rezepte und könne aber anrufen in der MS -Ambulanz, so steht es im Befundbericht immer geschrieben, was aber utopisch ist! Eine regelrecht belastende Situation, weil ich nicht weiß an wen ich mich zeitnah wenden kann und soll. jetzt beim Schreiben merke ich, dass es wahrscheinlich besser wäre den Arzt zu wechseln! Kann ich den Hausarzt bitten mir eine Überweisung zur Reha zu schreiben? Kennen Sie eine gute MS - Rehaeinrichtung?

Dr. Gerald Lehrieder: Zur letzten Frage halte ich mich mit konkreten Empfehlungen aus nachvollziehbaren Gründen zurück. Aber auch der Amsel-Homepage oder der DMSG-Seite finden Sie ein Verzeichnis von Reha-Einrichtungen, die auch für MS-Betroffene zertifiziert sind. Oder fragen Sie Mitbetroffene nach Ihren Erfahrungen. Und wenn Reha-Bedarf bei Ihnen vorliegt, wird Sie Ihr Hausarzt sicherlich unterstützen. Die MS-Ambulanzen der Großklinika oder Universitäten sind oftmals so stark frequentiert, dass Ihre Erfahrung leider allzu oft gemacht wird. Ich kenne viele Betroffene, die haben einen kurzfristig bei Problemen (symptomatische Therapie, akuter Schub ja/nein) ansprechbaren Neurologen und nutzen daneben die große Erfahrung, die in den MS-ambulanzen vorhanden ist, gehen nämlich einmal pro Jahr zum Überprüfen der Strategie in diese Ambulanz. Kein schlechter Weg. Und die niedergelassenen Neurologen sind da gar nicht böse.

MO: Guten Abend Dr. Lehrieder. Kann Fatigue plötzlich wieder verschwinden?

Dr. Gerald Lehrieder: Ja, das gibt es auch, nicht allzu häufig, aber es geht. Fatigue kann auch mal ein Schubsymptome sein, als plötzlich auftreten und nach einer Cortisontherapie wieder weg sein.

Marta: Hallo, ich habe seit ca 10 Jahren sehr oft Kopfschmerzen und vor allem Schwindel, der mich zum Liegen zwingt. Wenn ich mich hinlege, also in der Waagerechten bin, wird es meist nach kurzer Zeit wieder gut. Meine Diagnose MS habe ich erst seit 10 Monaten. Hängen die Schmerzen und der Schwindel mit der MS zusammen oder ist das evt eine ganz andere Baustelle? Ich habe schon einen Ärztemarathon durch. Fazit: es bleibt nur Spannungskopfmscherz übrig. Komisch nur, dass diese nach langer Physiothearpie nicht weggegangen sind.

Dr. Gerald Lehrieder: Ob die Kopfschmerzen jetzt als Spannungskopfschmerz einzuschätzen ist, kann ich aufgrund Ihrer Angaben jetzt nicht sagen. Ein Schwindel der nur kurz auftritt und einen zum Ruhig-liegen zwingt, damit er dnn wieder ganz schnell gut wird, könnte auch im Innenohr als sogenannter "Gutartiger plötzlich auftretender Lagerungsschwindel" entstehen. Dieser Schwindel hat mit der MS nix zu tun, sondern ist durch kleine Steinchen oder Kristalle im Innenohr, wo das Gleichgewichtsorgan sitzt, bedingt. Hier hilft Lagerungstraining oft Wunder, aber dieser Schwindel kommt auch gern wieder.

Josefa: Ich habe noch eine allgemeine Frage: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Empfindungsstörungen und neuropathischen Schmerzen? Finden Sie es aus ihrer Sicht sinnvoll bei neuropathischen Schmerzen Lyrica zu verschreiben? Und muss man dies ausschleichen, oder kann man es abrupt absetzen?

Dr. Gerald Lehrieder: Empfindungs- oder Sensibilitätsstörungen müssen nicht zwangsläufig schmerzhaft sein. Also auch eine reduzierte Wahrnehmung der Berührung in einem bestimmten Körperbereich ist eine Empfindungsstörung, aber längst nicht immer schmerzhaft. Die Trennung ist schwierig bei schmerzhaften Sensibilitätsstörungen. Wenn also die Wahrnehmung mit unangenehmen Emfindungen, Brennen, Schmerzen, Toben, etc. verbunden ist, da ist der Übergang sicherlich fließend. Die Therapie mit dem von Ihnen genannten Medikament ist sicherlich einen Versuch wert und wir setzen diese Strategie auch ein. Daneben gibt es auch andere Strategien, z.B. Elektrotherapie.

Thea: Hallo, wie wird Fatigue eigentlich festgestellt? ich fühle mich manchmal als hätte ich Blei in den Füßen. Kann das Fatigue sein? Danke für Ihre Antwort.

Dr. Gerald Lehrieder: Fatigue ist eine sogenannte klinische Diagnose, d.h. Ihr Arzt stellt die Diagnose ohne technische Untersuchungen einzig aus der Anamnese, also Ihren Informationen als Betroffene heraus und seinen Beobachtungen bei der Untersuchung und im Verlauf. Fatigue gibt es sowohl auf körperlicher Ebene als auch mental. Um die Diagnose abzusichern, kann man auch Fragebögen oder Skalen verwenden, die dann je nach Verfahren Hinweise auf die Schwere der Fatigue geben. Ihr Neurologe kennt diese Verfahren sicherlich.

Josefa: Wird diese Elektrotherapie direkt an den betroffenen Gebieten z.B. der Hände eingesetzt oder an speziellen Rezeptoren? Raten Sie bei diesen schmerzhaften Sensibilitätsstörungen auch zu einer gesamtheitlichen Schmerztherapie, die alle verabreichten Medikamente miteinschließt?

Dr. Gerald Lehrieder: Das hängt in der Tat von den betroffenen Gebieten ab. Häufig sind es ja die Extremitäten, also Hände oder Beine. Dann nutzen wir in der Klinik gerne die Zwei- oder Vierzellenbäder. Es gibt auch die TENS-Verfahren, bei denen die Elektroden je nach Betroffenheit geklebt werden. Eine eigentliche Schmerztherapie im engeren Sinn ist in seltenen Fällen nötig, man sollte aber bei hohem Leidensdruck nicht davor zurückschrecken.

Ingrid: Hallo, was kann ich gegen dieses starke Schwitzen tun?

Dr. Gerald Lehrieder: Auch hier gilt: Erst mal nach den Ursachen forschen. Starkes Schwitzen ist manchmal durch Medikamente bedingt, es tritt bei der MS ganz häufig im Rahmen von Cortisontherapien auf. Also lassen Sie einfach mal Ihren Medikamentenplan danach durchschauen. Ein Hausmittel, mit dem man manchmal Erfolg hat, ist ein Salbei-Extrakt-Präparat. Und wenn das Schwitzen vor allem Achseln und Füsse betrifft, reichen die Maßnahmen bis hin zum Botulinumtoxin.

Josefa: Vielen herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen!

Dr. Gerald Lehrieder: Gerne, es ist mir ein Vergnügen, ich hoffe sehr, einigen mit den Antworten einen oder zwei Schritte weitergeholfen zu haben. Allen Chattern erstmal alles Gute und mittlerweile ist es ja auch etwas kühler, dass man vielleicht noch ein bisschen raus kann. Einen schönen Abend noch.

Nalusan: Kann man TENS im gesicht anwenden oder besser nicht um den nerv nicht zu reizen?

Dr. Gerald Lehrieder: Bei der Trigeminusneuralgie wirkt es unserer Erfahrung häufig auch als Stimulationsreiz. Wir tun das nicht aus dem von Ihnen genannten Grund.

Moderator Jutta Hirscher: Ein herzliches Dankeschön an alle Teilnehmer des Chats für ihre Fragen und Dr. Lehrieder für seine Antworten. Der Chat schließt für heute und wir wünschen allen einen entspannten Abend.

Redaktion: AMSEL e.V., 21.06.2017