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Symptome sind behandelbar

27.12.04 - Prof. Dr. Thomas Henze referierte auf dem Jubiläumssymposium der AMSEL über die "Symptomatischen Therapien der MS".

Die symptomatische Behandlung ist neben der Immunmodulation und Immunsupression ein wichtiger Schwerpunkt innerhalb eines umfassenden Behandlungskonzepts der Multiplen Sklerose (MS).

Die Ziele der symptomatischen Behandlung sind folgende:

  • Symptome, welche die funktionellen Fähigkeiten der Betroffenen und ihre Lebensqualität beeinträchtigen, zu beseitigen oder zumindest jedoch zu reduzieren,
  • die Entwicklung von Folgeschäden durch bestehende Symptome und damit weiterer Funktionsstörungen zu vermeiden.

Das klinische Bild der MS ist bekanntlich auserordentlich vielgestaltig. Die Patienten leiden unter einer großen Zahl von Symptomen, die wiederum in unterschiedlicher Kombination, Ausprägung und zeitlicher Abfolge auftreten. Dabei handelt es sich vorwiegend um folgende Symptome:

  • Störungen der Motorik und Koordination (u.a. Spastik, Muskelschwäche, Ataxie und Tremor)
  • Störungen im Bereich der Hirnnerven (u.a. Augenbewegungsstörungen, Dysarthrie, Dysphagie)
  • Vegetative Funktionsstörungen (u.a. Blasen- und Darmentleerungsstörungen, Störungen der Sexualität)
  • Neuropsychologische Symptome (u.a. kognitive Defizite, Fatigue, Depression)
  • Schmerzen und paroxysmale Symptome einschließlich epileptischer Anfälle.

Einige dieser Symptome bilden sich im Krankheitsverlauf spontan zurück, andere sind nur während eines umschriebenen Krankheitsabschnitts vorhanden, oder sie nehmen mit zunehmender Krankheitsdauer zu. Letzteres gilt vor allem für motorische und zerebelläre Symptome (Spastik, Paresen, Ataxie, Dysarthrie), ebenso für Blasenfunktionsstörungen. Einige Symptome werden erst seit kurzer Zeit intensiver beachtet, u.a. die Fatigue sowie auch die vielfältigen Schmerzsyndrome und kognitiven Funktionsstörungen.

Es gibt unterschiedliche Formen von Spastik, von Blasenfunktionsstörungen oder von Schmerzen, und auch zahlreiche andere MS-Symptome können hinsichtlich ihrer klinischen Einzelheiten weiter differenziert werden. Diese Differenzierung ist umso wichtiger, als sich aus ihrer dann auch unterschiedliche Behandlungsoptionen ergeben. Beispielsweise werden die meisten Schmerzformen bei der MS eben nicht mit den üblichen Schmerzmitteln behandelt. Vielmehr kommen in vielen Fällen Antikonvulsiva, Antidepressiva, Steroide und auch Physiotherapie zum Einsatz, da hier mittlerweile umfangreiche evidenzbasierte Daten zur Verfügung stehen.

Auch vor Beginn der Behandlung von Blasenfunktionsstörungen ist eine genauere Einordnung notwendig, um anschließend die gezielte, zumeist medikamentöse Behandlung zu beginnen. Klare Empfehlungen gibt es auch für die antibiotzische Therapie, die Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfektionen, den Einsatz von Hilfsmitteln sowie von invasiven Techniken.

Die Rehabilitation, deren Bedeutung durch die Entwicklung neuer Behandlungstechniken sowie aufgrund der aktuellen Erkenntnisse zur Neuroplastizität ständig wächst, ist ebenfalls zu einem wichtigen Bestandteil der symptomatischen MS-Behandlung geworden. Rehabilitation spielt - im Gegensatz zu früheren Auffassungen - nämlich auch bei einer chronisch progredienten und nicht heilbaren Erkrankung Wie der MS eine wichtige Rolle: Sie kann viel zu Verbesserung oder Aufrechterhaltung körperlicher Funktionen, zur Vermeidung sekundärer Komplikationen sowie zur Steigerung der Lebensqualität beitragen.

Zahlreiche unzweifelhaft wirksame Medikamente sind allerdings nicht für die Indikation "Multiple Sklerose" oder die Therapie spezieller Symptomkomplexe untersucht oder zugelassen ("Off-label"-Gebrauch). Auch wenn oftmals auf umfangreiche Erfahrungen von langjährig mit der Therapie der MS befassten Ärzten und Klkiniken zurückgegriffen werden kann, ergibt sich unter den aktuellen Gegebenheiten im Gesundheitswesen die Schwierigkeit der Kostenerstattung.

Aus diesem Grund wurden jüngst Leitlinien für die symptomatische Therapie der MS formuliert. Damit soll verhindert werden, dass eine Vielzahl von offenkundig wirksamen, jedoch mittels kontrollierter Studien niemals vollständig überprüften bzw. überprüfbaren Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen einer streng angewandten "Off-Label"-Regelung künftig enfallen könnte und dadurch Lücken innerhalb des therapeutischen Angebots entstehen. Gleichzeitig gestatten die Leitlinien eine gestufte und nachvollziehbare Behandlung der unterschiedlichen MS-Symptome.

Es ist zu hoffen, dass sie - ähnlich wie die Empfehlungen zur immunmodulatorischen und immunsuppressiven Therapie - zu einem wichtigen und auch bei Kostenträgern anerkannten Standard bei der Behandlung der einzelnen MS-Symptome werden.

Prof. Dr. med. Thomas Henze ist Ärztlicher Direktor der Klinik am Regenbogen in Nittenau und Mitglied des Ärztlichen Beirats der DMSG, Bundesverband e.V.

Redaktion: AMSEL e.V., 27.12.2004