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MSIF-Profil des Monats: November 2010

"Als gehörten die Beine nicht zu mir." - Cristina Osorio ist Jockey. Seit ihrer MS reitet sie nicht mehr nur, um ans Ziel zu kommen, sondern genießt auch die Aussicht.

Cristina Osorio

Land: Spanien
Form der MS: schubförmig-remittierend
Jahr der Diagnose: 2001

Alles begann Ende August 2001. Es war sehr heiß und ich lag auf der Wiese im Schatten eines Baums, als ich ein seltsames Gefühl auf meiner Haut verspürte. Ich hatte mich ohnehin nicht gut gefühlt und die Hitze machte mir zu schaffen. Als ich meiner Mutter davon erzählte, schickte sie mich direkt ins Krankenhaus. Ich dachte zwar, das sei übertrieben, ging aber dennoch.

Als ich im Krankenhaus eintraf, haben sie mich aufgenommen und das machte mir Angst. Sie machten alle möglichen Tests mit mir, darunter eine Lumbalpunktion, die zu Komplikationen führte und mich lange anderthalb Monate ans Bett band, komplett flach liegend. Ich konnte nicht mal ein Kissen unter meinen Kopf stecken. Nur so blieben die Kopfschmerzen unter Kontrolle.

Nach dieser Hölle kam der Arzt in mein Zimmer und sagte: "Wir haben ihre Diagnose, sie haben Multiple Sklerose." Und das war’s, mehr sagte er nicht.

Ich schwöre, ich dachte, das sei das Ende. Die einzigen Bilder, die in meiner Vorstellung aufflammten waren Rollstuhl und der Tod. Ich wusste nichts über diese Krankheit und niemand erzählte mir etwas darüber. Für einige Zeit ergriff mich die Angst, sie versteinerte mich.

Einige Zeit später ging ich zu einem anderen Neurologen, um eine Zweitmeinung einzuholen, und er beruhigte mich. Er sagte, das sei nur eine kleine Verschlimmerung gewesen und dass ich wahrscheinlich nie wieder eine hätte. Ich schob die Sache aus meinem Kopf und lebte weiter.

2007 dann, während ich nach einem Pferderennen duschte, realisierte ich, dass ich das Wasser auf meinen Beinen nicht spüren konnte, als gehörten die Beine gar nicht zu mir. Sofort war mir klar, dass die Krankheit wieder aufflammte. Ich ging direkt ins Krankenhaus. Am nächsten Tag spürte ich von der Brust abwärts nichts mehr, die Schmerzen waren unerträglich und ich konnte kaum laufen. Für fast alles brauchte ich Hilfe.

Das Ganze ging einher mit einer großen Traurigkeit, die ich nicht kontrollieren konnte. Nach einer Woche, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, musste ich allein nach Hause gehen. Das entpuppte sich als echtes Abenteuer – mein Haus hat Treppen! Ich musste sie hinaufkrabbeln, und schaffte es kaum. Gottseidank funktionierten meine Arme und Hände noch.

Nach und nach merkte ich, dass mein Körper sich erholte und dass die Schmerzen nachließen. Ich konnte die Verbesserungen nicht von einem Tag auf den andern wahrnehmen, sondern ich musste mich erinnern, wie es vor einer Woche war, um sie wirklich zu bemerken. Ich bin überzeugt, dass allein zu leben, Treppen steigen zu müssen und mit dem Hund Gassi zu gehen für mich große Anstrengungen bedeutete, die mich wiederum dazu zwangen, meine Behinderung so schnell wie möglich zu überwinden. Ich hatte niemanden, der mir half und keinen, der mich bedauerte, und gerade das war ein großer Vorteil.

Nach einiger Zeit entschied ich mich, wieder zu reiten und zu sehen, wie sich das anfühlt. Zunächst fühlte es sich an wie ein Sack Kartoffeln. Ich konnte meine Beine nicht kontrollieren und nach einem Monat, in dem ich mich kaum bewegt habe, hatte ich auch einen Teil meiner Muskulatur verloren. Ein Vorteil war allerdings, dass meine Beine kaum ermüdeten. Ich dachte, es wäre gut, wieder fit zu werden und so schnell als möglich wieder bei Wettbewerben mitzumachen. Ich weiß, es klingt etwas verrückt, aber die Erfahrung, ein Rennen zu beenden ohne dass die Beine schlapp machten, war eine großartige Erfahrung. Ich dachte sogar, das wäre ein Vorteil gegenüber anderen Jockeys. Binnen zwei Monaten war ich fast vollständig genesen, mein Leben ging weiter wie zuvor. Ich meldete mich sogar für Triathlons an und für Langstreckenrennen!

Ein Jahr später, 2008, nach einer stressigen Zeit, hatte ich meinen dritten Schub. Ich fühlte, dass mein Leben nicht weitergehen konnte wie zuvor, ich hatte das Gefühl, etwas würde passieren. Ich gebe zu, ich hatte Angst davor, und es passierte: Ich hatte einen Anfall von optischer Neuritis, wovon ich mich niemals erholte und der mich zwang, in Rente zu gehen. Es war eine der traurigsten Phasen meines Lebens und eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich zu treffen hatte.

Im August 2008 ging ich in Rente, nachdem ich einen großen Wettbewerb organisiert hatte. Es war ein Traum von mir und es war wirklich unvergesslich. Einige Monate später wurde mir klar, dass anspruchsvolle Wettbewerbe mir nicht gut tun, und ich begann, die Dinge von einer andern Seite aus zu betrachten.

Ich nehme nun an athletischen Rennen teil. Ich habe gelernt, nicht zu kämpfen, sondern den Sport einfach so zu genießen ohne mich zu verletzen. Zwar an Bergrennen teilzunehmen, aber anzuhalten, um mich an der Aussicht zu erfreuen, den Bergen und dem Himmel. Es ist mir egal, wie lange es bis zum Ziel dauert, ich denke nur daran, dorthin zu gehen, wo ich hin möchte und das zu genießen. Der Sehverlust in meinem linken Auge hat mir neue Prioritäten gezeigt, das Leben und einzelne Dinge besser wahrzunehmen, die Dinge, die ich sehe, mehr wertzuschätzen, all die wunderbaren Dinge, die uns umgeben.

Jeden Morgen laufe ich mit meinen Hunden. Das erste, woran ich denke, ist wie glücklich ich bin. Ich lebe in der Nähe des Casa-de-Campo-Parks in Madrid, und ich glaube, dass ich sehr viel Glück habe. Ich habe gelernt, dankbar zu sein für den Geruch von Gras, den Regen auf meinem Gesicht, den Geruch nach Sonnenaufgang im Sommer, die Stille des Schnees, den Himmel und die Sterne, und ich bin mir bewusst darüber, wie klein wir sind und welch große Dinge wir tun können.

Ich möchte meine Krankheit in etwas noch Positiveres verwandeln, indem ich Menschen helfe. Manchmal überbeschützen uns die Menschen um uns herum, unsere Familie und selbst Freunde, mit den allerbesten Absichten, aber indem sie so sind, schränken sie uns ein. Sie geben uns das Gefühl, noch kränker zu sein und führen uns sogar zum Selbstmitleid.

Ich möchte gerne andere Menschen mit Multipler Sklerose finden, die das Beste geben wollen, Leute mit Ideen, mit Träumen und Enthusiasmus. Menschen, die dem Trübsal die Stirn bieten und es in einen Vorteil ummünzen möchten und anderen helfen, die ihre Hilfe brauchen, weil Solidarität uns zu besseren Menschen macht, die Anstrengungen vervielfacht und damit den Träumen eine Form gibt und die Ängste vertreibt. Wir sind nicht allein, wir haben einander. Wir sind, was wir sein wollen.

 
Wenn Sie Cristina gern kontaktieren möchten, wenden Sie sich bitte an die MSIF: infomsiforg MSIF bedankt sich bei Dr. phil. Patricia Fleischmann von AMSEL e.V. für die deutsche Übersetzung dieses Textes. 
 

Quelle: MSIF, November 2010

Redaktion: AMSEL e.V., 29.11.2010