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Mentales Rollstuhltraining

Klar, so ein Rolli möchte auch bedient sein, rein körperlich. Das kann man lernen. Aber: Die größte Hürde sitzt im Kopf.

Vor kurzem bin ich mit einer Bekannten mit dem Rollstuhl durch die Stadt gesaust, wir nannten es Rollstuhltraining. Aber nicht körperlich sondern mental.

Angeschaut zu werden ist zu Beginn immer eine sehr große Hürde. Oft macht man sich das Leben schwerer, weil man das Hilfsmittel lieber nicht benutzen mag.

Das Denken der anderen

Das legt man mal in eine Waagschale, auf der einen Seite die fürchterlichen Anstrengungen und auf der anderen Seite einfach nur angeschaut werden.

  • Warum will man immer wissen, was andere Menschen denken?
  • Und was würde mir das Wissen darüber wohl bringen?

Es bringt mir auf keinen Fall eine Erleichterung. Ich denke eine gewisse Art von Eitelkeit steckt dahinter. Diese abzulegen, ist für viele Menschen wirklich richtig schwer. Aber was bringt die Eitelkeit, wenn ich dadurch nicht mehr am sozialen Leben teilhaben kann? Ich gehe nicht mehr unter Menschen, weil ich mich schäme. Aber für was schäme ich mich eigentlich? Benennen konnte mir das bisher noch keiner.

Ich kann mich erinnern, dass eine Freundin mit Multipler Sklerose oft einen Stock eingepackt hatte, damit die Menschen nicht denken, sie sei betrunken, weil sie beim Gehen so schwankte.

Die Gesichter - unbezahlbar!

Was hilft da? Für mich immer nur die pure Konfrontation. Ich mach nämlich den Anblick noch schlimmer. Wenn ich mich beobachtet fühle, dann strecke ich mich kräftig und stehe dann aus dem Rolli auf. Die Gesichter der Menschen sind dabei wirklich unbezahlbar. Wenn man das 50 mal gemacht hat, dann fällt einem alles sehr viel leichter.

Manchmal ist es auch für den, der den Rolli schiebt, wohl auch eine teils unangenehme Erfahrung. Weil oft wird nur der Schiebende von Fremden angesprochen und der im Rolli Sitzende einfach ignoriert.

Eine nette Geschichte erzähle ich heute immer noch sehr gerne. Mein Vater schob mich im Rollstuhl über das Stadtfest. Es war brechend voll und er benutzte mich schlechthin als Mengenteiler und hatte sichtlich Spaß daran. Er fuhr den Leuten in die Hacken, die sich empört umwandten. Als sie sahen, es war eine Rollstuhlfahrerin, haben sie sich glatt entschuldigt. Was ihm jedes Mal einen extremen Lachanfall bescherte, mit Schenkelklopfer und den Worten „als hätte man hinten Augen“. Also auch als Schiebender kann man es sich auf die extreme Tour leichter machen.

Hilfsmittel, die erheitern

Allerdings war mir das dann wieder peinlich! Haha, man schämt sich, egal wie alt man ist, immer für seine Eltern, das hört wohl nie auf…

Was ich mit meinen Geschichten herüberbringen mag. Das Leben ist schön, auch wenn man ein Hilfsmittel hat und vielleicht ist es dadurch manchmal sogar lustiger. Die Geschichten erlebte ich nur durch die Hilfsmittel. Also Leute, seid nicht dumm, wenn es euch körperliche Erleichterung schafft, dann benutzt ein Hilfsmittel und bringt die Schauenden ein wenig durcheinander! Und habt ordentlich Spaß dabei.

Eure Daniela

Daniela

  • Geboren 1979, hat MS seit 2004.
  • Sie wohnt in Ettlingen, liebt Katzen und ernährt sich vegetarisch.
  • Sie ist in sozialen Netzwerken unterwegs, hat viele Hobbies und mehrere Ehrenämter.
  • Unter anderem leitet sie die AMSEL-Kontaktgruppe Ettlingen.
  • 2018 erhielt sie die Bundesverdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland.

Redaktion: AMSEL e.V., 20.08.2020